Scheidung ist kein Kündigungsgrund

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Urteil des EuGH vom 11.09.2018

Die Kündigung eines Arbeitnehmers katholischer Konfession in leitender Stellung wegen einer zweiten standesamtlichen Heirat nach Scheidung kann eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung wegen der Religion darstellen, die nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbaren ist.

Der Kläger war als Chefarzt für die Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ und die Beratung und medizinische Pflege in einem katholischen Krankenhaus in Düsseldorf tätig, welches dem Erzbistum Köln untersteht.

Nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2005, lebte er zwischen 2006 und 2008 mit seiner jetzigen Ehefrau unehelich zusammen. Die Scheidung von seiner ersten Ehefrau erfolgte Anfang 2008. Im August 2008 heiratete er seine jetzige Ehefrau standesamtlich. 

Der Arbeitsvertrag mit dem Krankenhaus wurde unter Anwendung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22. September 1993 (GrO) geschlossen. Danach wird von den katholischen Mitarbeitern gefordert, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere stellt danach der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar, der eine Kündigung rechtfertigen kann. Eine ungültige Ehe schließt nach dem katholischen Rechtsverständnis, wer durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Da die erste Ehe des Klägers nicht kirchenrechtlich annulliert wurde, bestand sie im Sinne des katholischen Glaubensverständnisses fort und die standesamtliche Heirat im Jahr 2008 war folglich ungültig. 

Der Arbeitgeber erfuhr davon spätestens im November 2008. Die darauffolgenden Gespräche und Beratungen der Parteien endeten mit der Kündigung des Arztes im März 2009 fristgerecht zum 30.09.2009. Als Kündigungsgrund gab der Arbeitgeber an, der Arzt habe durch Eingehung einer ungültigen Ehe im Sinne des katholischen Kirchenrechts in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Er sei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig zu verhalten, nicht nachgekommen.

Der Kläger wehrte sich gegen die Kündigung im Wege einer Kündigungsschutzklage. Er vertrat die Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung nicht beendet worden war. In der Folgezeit wiesen sowohl das Landesarbeitsgericht die Berufung als auch das Bundesarbeitsgericht die Revision des Krankenhauses zurück und gaben somit dem Kläger in allen Instanzen recht.

Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch in seinem Urteil über die Verfassungsbeschwerde der Trägerin des Krankenhauses gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dass dieses die Beschwerdeführerin in ihrem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verletze. Es hob das Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zurück.

Das Bundesarbeitsgericht wendete sich daraufhin mit einem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV an den EuGH. Inhalt war die Frage, ob Art. 4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf dahingehend auszulegen ist, dass die Kirche für eine Organisation wie die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits verbindlich bestimmen kann, bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.

Der EuGH hat nun mit seinem Urteil vom 11. September 2018 über das Ersuchen des Bundesarbeitsgerichts entschieden. 

Danach ist Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG dahingehend auszulegen, dass eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete Klinik betreibt, nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, ohne dass dieser Beschluss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann.

Nach Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG stellt eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung dar, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt.

Der EuGH stellt fest, dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Ungleichbehandlung von dem objektiv überprüfbaren Vorliegen eines direkten Zusammenhangs zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit abhängt.

Diese Anforderung ist dann wesentlich, wenn die Zugehörigkeit zu der Religion aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos notwendig erscheint.

Das Merkmal rechtmäßig zeigt nach Ansicht des EuGH, dass der Gesetzgeber sicherstellen wollte, dass die Anforderung nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zu diesem Ethos oder zur Ausübung des Rechts dieser Kirche dient.

Ob eine berufliche Anforderung gerechtfertigt ist, eröffnet die Überprüfbarkeit durch ein innerstaatliches Gericht. Der Kirche oder Organisation obliegt darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist und die Anforderung angemessen ist und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht.

Der EuGH erteilt Hinweise zur Entscheidung in dem anhängigen Rechtsstreit. Nach seiner Auffassung erscheint für die konkrete berufliche Tätigkeit (Chefarzt) die Akzeptanz des Eheverständnisses der katholischen Kirche für die Bekundung des Ethos nicht notwendig, stellt also keine wesentliche Voraussetzung im Sinne der RL dar. Grund dafür ist insbesondere, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession sind und nicht derselben Anforderung unterworfen waren.

Auch stellt der EuGH fest, dass das Bundesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung gegebenenfalls entgegenstehende, nicht richtlinienkonforme nationale Rechtsprechung, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder nationale Rechtsvorschriften, wie § 9 Abs. 2 AGG, unangewendet lassen muss.

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