Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres – ist das möglich?

  • 4 Minuten Lesezeit

Die Scheidung nach Ablauf des Trennungsjahres stellt den in der gerichtlichen Praxis häufigsten Fall der Ehescheidung dar. Dabei kommt es auf einen übereinstimmenden Willen der Ehegatten tatsächlich nicht an. Es genügt, wenn die Ehegatten ein Jahr getrennt voneinander gelebt haben und einer der Ehegatten im Anhörungstermin vor dem zuständigen Familiengericht erklärt, er wolle geschieden werden.

Von diesem Regelfall gibt es nach dem Familienrecht eine bedeutsame Ausnahme. Diese liegt vor, wenn einer der Ehegatten sich auf einen besonderen Härtefall beruft, aufgrund dessen Vorliegens es ihm nicht zuzumuten ist, das Trennungsjahr abzuwarten. Die Annahme eines solchen Härtefalls ist an die Feststellung besonderer Voraussetzungen geknüpft.

Die Scheidung einer Ehe setzt nach § 1565 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Regelfall voraus, dass die Ehegatten ein Jahr voneinander getrennt gelebt haben. Erst dann gilt die Ehe als gescheitert. Mit der Pflicht zur Einhaltung des Trennungsjahres soll verhindert werden, dass Paare sich voreilig scheiden lassen, obwohl die Ehe durch die Versöhnung der Ehegatten vielleicht noch gerettet werden könnte.

Dabei kann die Trennung auch innerhalb der ehelichen Wohnung vollzogen werden. In diesem Fall dürfen die Ehegatten allerdings keine Versorgungsleistungen zugunsten des jeweils anderen erbringen. Gemeinsame Mahlzeiten sind genauso tabu wie häusliche Erledigungen (Wäsche waschen, einkaufen) für den anderen. Getrennte Schlafzimmer sind selbstverständlich.

In Abgrenzung zu diesem Regelfall kann die Ehe jedoch ausnahmsweise auch nach einer kürzeren Zeit als einem Jahr geschieden werden. Dies setzt nach § 1565 Abs. 2 BGB voraus, dass die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde.

Die Familiengerichte stellen strenge Anforderungen an das Vorliegen eines solchen Härtefalls. Es genügt nicht, dass ein Ehegatte überzeugt ist, das Verhalten des anderen sei unzumutbar. Würde allein das subjektive Empfinden eines Ehegatten genügen, wäre fast bei jeder Scheidung ein Härtefall anzunehmen, denn niemand lässt sich ohne einen triftigen Grund scheiden. Nach der Rechtsprechung liegt ein Härtefall vielmehr nur dann vor, wenn ein Ehepartner schwerwiegende Verstöße gegen die Gebote der ehelichen Solidarität begangen hat, die es geradezu als entwürdigendes Unrecht ihm gegenüber erscheinen lassen würden, wenn man ihn dazu zwänge, an der Ehe festzuhalten.

Der Einsatz körperlicher Gewalt des einen Ehegatten gegen den anderen wird häufig ein Grund für die Annahme eines Härtefalls sein. Sie muss allerdings ein gewisses Ausmaß erreicht haben und häufiger vorgekommen sein. Auch hier gibt es etwa im Hinblick auf die Häufigkeit derartiger Vorfälle keine starren Regeln. Die Familiengerichte entscheiden je nach Einzelfall und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände. Die behaupteten Vorfälle müssen zudem durch die Benennung von Zeugen und die Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen unter Beweis gestellt werden.

Ein Seitensprung ist ebenso wenig ausreichend für einen Härtefall wie das Zusammenziehen mit einem neuen Partner. Anders verhält es sich, wenn sich hieraus Umstände ergeben, unter denen die neue Beziehung zu einer unzumutbaren Härte wird, weil sie eine besondere Demütigung des Partners bedeutet. Nimmt der eine Ehegatte beispielsweise mit dem besten Freund des Partners oder der Partnerin eine intime Beziehung auf, um diesen gezielt zu verletzen, so kann dies die Annahme eines Härtefalls begründen. Auch für diese Behauptung müsste der betroffene Ehegatte Beweis antreten, was schwierig fallen dürfte.

Das Zusammenleben mit jemand anderem in der bisherigen Ehewohnung sehen die Gerichte da schon eher als Härtegrund an. Auch ein öffentlich ausgelebtes ehebrecherisches Verhältnis in einer Kleinstadt wird als nicht mehr zumutbar betrachtet. Gleiches gilt, wenn die Ehefrau ein Kind von einem anderen Mann erwartet. Beantragt jedoch die Ehefrau die Härtefallscheidung, weil sie inzwischen mit einem anderen Mann zusammen lebt und diesen vor der Geburt des gemeinsamen Kindes heiraten will, so soll nach der Rechtsprechung ein Härtefall nicht vorliegen. Auch die Nichtzahlung von Unterhalt stellt in der Regel keinen Härtegrund dar.

Im Ergebnis bedeutet eine Härtefallscheidung nicht selten, dass vor Gericht Vorwürfe von einigem Gewicht gegen den anderen Ehegatten vorgetragen werden, der in der Regel hierauf mit eigenen Anschuldigungen reagiert. Es müssen dann häufig Verwandte und Freunde als Zeugen aussagen. Auch wenn man vom Partner wirklich genug hat und so schnell wie möglich geschieden werden möchte, ist das Abwarten des Trennungsjahres der emotionalen Belastung und der möglichen Beeinträchtigung anderer sozialer Beziehungen als Folge eines solchen Verfahrens oft vorzuziehen. War die Ehe hingegen von wiederholten Gewalttätigkeiten gekennzeichnet, so sollte der betroffene Ehegatte meiner Überzeugung nach unbedingt eine Härtefallscheidung beantragen.

Michael Titze
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Familienrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Beiträge zum Thema