SCHUFA-Scoring als Profiling?- Absurde Scheingefechte vor dem EuGH - Teil 1

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Ausweislich der Pressemitteilung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) Nr. 49/23 führte der Generalanwalt Priit Pikamäe in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-634/21 und in den verbundenen Rechtssachen C-26/22 und C-64/22 aus, es handele sich bei der automatisierten Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Fähigkeit einer Person, einen Kredit zu bedienen, hier das Kreditscoring der SCHUFA Holding AG, um ein unzulässiges Profiling im Sinne des Art. 22 DSGVO.


Ein weiterer Kernaspekt des Vorlageverfahrens beim EuGH betrifft die Frage, ob § 31 BDSG als Rechtsgrundlage für das Scoring in Betracht kommt. Dies wird vom Generalanwalt sowohl in Bezug auf Art. 22 DSGVO (Zulässigkeit der automatisierten Entscheidungsfindung) als auch auf Art. 6 DSGVO (Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung) mit dem Argument verneint, dass die DSGVO gerade keine Öffnungsklauseln oder Ausnahmen vorsehe, die es den Mitgliedstaaten erlauben, abweichende oder spezifische Vorschriften zu erlassen, die die Erstellung von Score-Werten durch Wirtschaftsauskunfteien datenschutzrechtlich gestatten.


Bankrechtsanwältin und SCHUFA-Expertin Dr. Ina Becker zeigt sowohl Hintergründe als auch massive rechtliche Irrtümer dieser Einschätzungen auf. Im ersten Teil des Beitrags stellt sie in Frage, warum es hier überhaupt erforderlich war, die Gerichte und den EuGH im Rahmen langjähriger Rechtsstreitigkeiten anzurufen.


In einem folgenden weiteren zweiten Teil begründet Dr. Becker vertiefend wissenschaftlich die seit Jahrzehnten bekannte fehlende Informationstransparenz sowie nicht feststellbare Informationseffizienz der Kreditauskünfte in Form des Scorings. Sie stellt klar, dass es hier keinesfalls um ein Profiling geht. Sie zeigt die eklatanten Fehler des § 31 BDSG auf und weist auf bislang ignorierte, neuartige Gefahren des SCHUFA-Verfahrens hin.


In ihrem Fazit plädiert die Hamburger Bankrechtsanwältin für eine Rückkehr zur Einfachheit, höherer Eigenverantwortlichkeit und zum gesunden Menschenverstand, für das stärkere Hinterfragen sogenannter Autoritäten und von komplexen, teuren justiziellen Strukturen auf EU-Ebene, deren Legitimation anscheinend selbst nach Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH) oftmals fragwürdig erscheint.


Scoring- ein sehr alter Hut


Das Kreditscoring oder Bonitätsscoring der SCHUFA Holding AG gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten. Es handelt sich um ein Verfahren, mit dem die SCHUFA mittels einer statistisch-mathematischen Methode das durchschnittliche Risiko aller Personen mit gleichartigem Datenprofil in einem Punktwert, dem sogenannten Score oder Scorewert, darstellen will.


Der errechnete Scorewert soll es den Vertragspartnern der SCHUFA ermöglichen, über die Kreditwürdigkeit eines prospektiven Kunden besser entscheiden zu können. Gleichzeitig soll er Kreditnehmer vor einer möglichen Überschuldung schützen.


Werden die intentionalen Ziele des SCHUFA-Scorings erreicht?


Ob die rein intentionalen Ziele des seit jeher stark kritisierten Scorings in praxi erreicht werden, ist bis dato nicht hinreichend evaluiert worden. Vielmehr zeigt sich, konform der ebenfalls seit Jahrzehnten bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Wissenssoziologie, dass Scoring weder zu Informationstransparenz noch zu einer erhöhten Informationseffizienz von Kreditauskünften führt (s. hierzu vor allem Strulik, Soziale Welt, 2000, 443 ff. m. w. N.; Becker, Datenschutzrechtliche Fragen des SCHUFA-Auskunftsverfahrens - Unter besonderer Berücksichtigung des sogenannten Scorings, Verlag Dr. Kovac, Hamburg, zugleich Dissertation, Universität Hannover, 2006 m. w. N.). Hierzu wird noch im zweiten Teil des Beitrags ausführlich zurückzukommen sein.


Nach bekannter Kritik vieler Juristen sowie Verbraucherschutzorganisationen führt das Scoring eher zu einer Verteuerung von Krediten sowie kreditähnlichen Leistungen, so dass auch die zweite, rein beabsichtigte Funktion des Scorings fragwürdig ist. Das Scoring dient als reines Marketinginstrument vor allem dazu, die Entscheidungsverantwortlichkeit von kreditgebenden Stellen verlagern zu können- sie berufen sich auf „schlechte Scorewerte“ des Kundeninteressenten. Da viele Geschäftsentscheidungen in Massengeschäften schnell und nur noch automatisiert getroffen werden, war und ist es seit Jahrzehnten naheliegend, dass Vertragspartner einen schlechten Scorewert als „K.O-Kriterium“ werten. Alternativ können Kreditgeber insbesondere ein vermeintlich höheres Risiko in Form höherer Zinsen und sonstiger Kosten in ihre Produkte "scorewertbedingt" einpreisen, was einer Verschuldung von vielen Betroffenen sogar Vorschub leisten könnte.


Wozu das Verfahren vor dem EuGH- cui bono? 


Die Hamburger SCHUFA-Expertin Dr. Becker rät ihren Mandanten bereits seit mehreren Jahrzehnten regelmäßig dazu, alle Scorewerte, die die SCHUFA inzwischen auch „branchenspezifisch“ berechnet, sperren zu lassen.


Sie erstritt mit wissenschaftlich fundierten Argumenten bereits vor sehr langer Zeit gegenüber der SCHUFA Holding AG, dass diese die völlig intransparenten und keinesfalls „objektiven“ Scorewerte von Mandanten in SCHUFA-Auskünften nicht mehr an eine Vielzahl von Vertragspartnern beauskunftet. Die SCHUFA erkennt, je nach Sachbearbeiter, regelmäßig nach bis zu circa zwei gut begründeten anwaltlichen Aufforderungen eine Sperrung der Scorewerte "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" an. Sie erteilt den Hinweis, dass im Rahmen einer eventuellen Auskunft zum jeweiligen Mandanten der Empfänger ab sofort den Hinweis erhalte, dass zu der angefragten Person keine Scoreberechnung durch die SCHUFA erfolge.


Erfolgreiche Praxisbeispiele einer simplen Scoresperrung


Ein selbstständiger Handelsvertreter erhielt nach einem erfolgreichen Antrag der Bankrechtskanzlei Dr. Becker auf Sperrung der zu seiner Person berechneten Scorewerte unmittelbar einen Dispokredit eingeräumt, der ihm zuvor wegen seines eher mäßigen SCHUFA-Scorewerts in der Branchensparte Banken noch verwehrt geblieben war. Die Einräumung des Kredits erfolgte nach Scoresperrung automatisiert, ohne dass überhaupt ein neuer Antrag des Mandanten erforderlich war.


Weitere Beispiele betreffen zahlreiche GmbH-Geschäftsführer, die Rechtsanwältin Dr. Becker nach Einrichtung einer beantragten Scoresperrung berichteten, sie würden nunmehr zu vielen Kreditgesprächen persönlich eingeladen, die zuvor nicht angeboten worden waren. In den persönlichen Verhandlungen war es den Unternehmensleitern möglich, mit ihren Bilanzen, Sicherheiten und Abschlusszahlen sowie ihrer Persönlichkeit zu überzeugen. Sie konnten nach ergänzenden, sinnvollen Bereinigungsmaßnahmen ihrer privaten SCHUFA-Datenbestände durch Anwältin Dr. Ina Becker erfolgreich Kredite erhalten und z. B. ihr Eigenkapital aufstocken oder weitere Unternehmen gründen.


Insoweit berichtete die Hamburger SCHUFA-Expertin bereits, Links https://www.anwalt.de/rechtstipps/erfolgreiche-schufa-bereinigungen-fuer-unternehmer-teil-1-208261.html


https://www.anwalt.de/rechtstipps/erfolgreiche-schufa-bereinigungen-fuer-unternehmer-teil-2-208319.html


EuGH-Kläger als „Opfer“ der SCHUFA?


Der Kläger im EuGH-Verfahren beschwert sich, er sei durch einen „schlechten Scorewert“ der SCHUFA in seiner Kreditwürdigkeit beeinträchtigt worden- er habe bei einem Finanzierungsinstitut keinen Kredit erhalten. Außerdem habe er die SCHUFA vergeblich dazu aufgefordert, Informationen sowie Auskunft zu den konkreten Grundlagen der Scorewertberechnung erhalten zu haben, die nach Rechtsprechung des BGH dem Geschäfts- sowie Betriebsgeheimnnis der SCHUFA unterliegen.


Anstatt den einfachsten Weg zu beschreiten, indem er nach adäquater anwaltlicher Beratung einer Scorewertberechnung der SCHUFA einfach frühzeitig anwaltlich widersprach und sich andere Finanzierungsinstitute suchte, klagte der sogenannte „Betroffene“ zeitaufwändig und völlig ineffektiv bis zum EuGH. Er erhält nun, mit mutmaßlich jahrzehntelanger Verzögerung ggf. ein (zudem voraussichtlich sachlich falsch begründetes) Ergebnis, dass ihm bei korrekter anwaltlicher Beratung und Betreuung bereits weitaus früher und kostengünstiger möglich gewesen wäre.


Ein etwaiges Argument, der Scorewert sei im Geschäftsverkehr „unvermeidbar“, da sämtliche Kreditgeber einen solchen „bankenüblich“ verlangten, überzeugt nicht. Banken und sonstigen kreditgebenden Stellen ist bestens bekannt, dass Scoring seit Jahrzehnten in der Kritik steht. Jemand, der datenschutzbewusst keine Kosten scheut, um seine Scorewerte anwaltlich sperren zu lassen, zeigt ja gerade im Sinne seiner Bonität, dass er finanzstark und persönlich weise handelt. Eine zu starke „Scorewerthörigkeit“ ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls spricht umgekehrt aus Sicht des jeweiligen Interessenten gerade gegen einen Vertrag mit einer derartigen Bank. Das Prinzip der Vertragsfreiheit und der -autonomie gilt stets beidseitig für die prospektiven Vertragsparteien, keineswegs unilateral.


Regresse der Rechtsschutzversicherungen gegen Verfahrensbevollmächtigte?


Vielen Anwälten, die teils in ihren Beiträgen in diesem Forum sogar fragten, warum so wenige Kollegen bei der EuGH-Verhandlung anwesend waren, könnten aus Sicht von Rechtsanwältin Dr. Becker nun Regresse von etwaig beteiligten Rechtsschutzversicherungen wegen unnötiger Verfahrenskosten in erheblicher Höhe drohen. Denn eine Rechtsverfolgung darf nicht auf Kosten und zu Lasten der Gesamtheit der Versicherungsnehmer erfolgen, wenn die gerichtliche Rechtsverfolgung gar nicht erforderlich ist oder mutwillig erscheint.


Anwälte haften zwar nicht, wenn Gerichten oder den EuGH-Generalanwälten Fehler unterlaufen. Dies gilt jedoch nicht, wenn aus objektiver Sicht und mit einfachsten Überlegungen nach sorgfältigen Recherchen der Rechtsgrundlagen von vorneherein für den jeweiligen Anwalt erkennbar war, dass die gerichtlich angestrebten Ergebnisse auch außergerichtlich durch einfachste Maßnahmen erzielbar gewesen wären. Dann kommt eine Haftung für unnötige Verfahrenskosten in Frage.


Aus Sicht der SCHUFA-Expertin Dr. Becker hätten die von den Anwälten im EuGH-Verfahren gerichtlich beantragten Ergebnisse schlicht, wie oben gezeigt, effektiv und kostengünstig außergerichtlich für Mandanten erreicht werden können. Dies hätte freilich vorausgesetzt, dass sich die Verfahrensbeteiligten des EuGH-Verfahrens hinreichend mit der bereits jahrzehntelang existierenden einschlägigen Rechtsliteratur auseinandergesetzt hätten.


Eine Fortsetzung des Beitrags folgt in Kürze.


Autorin: Rechtsanwältin Dr. Ina Becker hat eine wissenschaftliche Dissertation zum Melde- und Auskunftsverfahren sowie Scoring der SCHUFA verfasst. Mit ihrer Hamburger Bankrechtskanzlei unterstützt seit mehr als 20 Jahren bundesweit Unternehmen und Privatpersonen in allen Fragen der Kreditwürdigkeit.  



Foto(s): Rechtsanwältin Dr. Ina Becker

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