Spritzenabzess Schulter: 2.500 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 08.09.2014 hat sich ein Dortmunder Orthopäde verpflichtet, an meine Mandantin einen Abfindungsbetrag in Höhe von 2.500 Euro zu zahlen.

Die am 15.01.1958 geborene Bestatterin suchte den niedergelassenen Arzt im Februar 2010 wegen zunehmender Schmerzen in der linken Schulter auf. Der Beklagte setzte am 09.02.2010 und 10.02.2010 Spritzen in die linke Schulter. Die Klägerin hatte dem Beklagten vorgeworfen, die Haut nur kurz eingesprüht und unmittelbar danach mit derselben Spritze zwei Injektionen an zwei verschiedenen Stellen in die linke Schulter gesetzt zu haben. Er habe sich vor dem Eingriff nicht die Hände desinfiziert und bei den Injektionen an zwei verschiedenen Stellen jeweils die Nadel ins Gewebe gesetzt, herausgezogen und die Injektionsnadel nicht gewechselt. Weil die Schmerzen am nächsten Tag noch schlimmer wurden, suchte sie ein Krankenhaus in Lünen auf. Nach einer Punktion des linken Schultergelenkes am 12.02.2010 musste die Schulter geöffnet werden. Es fand eine Lavage des Schulterdaches und der Weichteile mit Einlagen einer 10er Antibiotika-Minikette statt. Am 18.02. wurde eine offene Revision des Schulterdaches mit Lavage durchgeführt. Zusätzlich wurde ein Antibiotika-Schwamm eingelegt. Die Mandantin musste vom 08.03. bis 24.03.2010 ein weiteres Mal stationär an der linken Schulter behandelt werden. Ein dritter stationärer Aufenthalt mit OP erfolgte vom 26.05. bis 29.05.2010.

Die Mandantin behauptete, der Beklagte habe aufgrund des Nichteinhaltens der Hygienevorschriften eine Infektion mit dem Keim Staphylococcus aureus bei ihr verursacht. Neben der mangelnden Händedesinfektion sei die erforderliche Einwirkzeit nach dem Einsprühen der Schulter mit dem Desinfektionsmittel nicht eingehalten worden. Sie erhob die Aufklärungsrüge. Der Beklagte habe sie vor den jeweiligen Injektionen in die Schulter nicht über die Gefahren einer Infektion aufgeklärt. Die Aufklärung sei aber notwendig gewesen, da ein allgemeines Gefahrenbewusstsein des Patienten bei Injektionen nicht vorausgesetzt werden könne.

Aufgrund der Infektion sei die Klägerin insgesamt vier Mal operiert worden und vom 10.02. bis 30.07.2010 arbeitsunfähig gewesen. Bis heute bestünden erhebliche Bewegungs- und Belastungseinschränkungen ihrer linken Schulter. Sie leide unter einer erheblichen kosmetischen Veränderung der Schulter und unter Kraftlosigkeit. Ihre Nackenmuskulatur sei aufgrund des Ausfalles der linken Schulter total verspannt. Sie leide verstärkt an Migräneschüben. Sie könne mit der linken Hand kaum etwas greifen. Ihr fielen Gegenstände aus der Hand.

Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt: Bei den durchgeführten subacromialen Infiltrationen mit Schmerzmitteln handele es sich nicht um eine intraartikuläre Medikamentenverabreichung (Injektion ins Gelenk). Dennoch sei die Injektion nicht mit einer klassischen intramuskulären Spritze vergleichbar, da sie zum einen nicht in gut durchblutetes Muskelgewebe, sondern in bindegewebige Gleitschichten der Schulter gesetzt worden sei. Zum anderen sei neben dem relativ neutralen Betäubungsmittel das entzündungsfördernde Mittel Cortison eingesetzt worden. Aus diesem Grunde sei die durchgeführte Injektion zwar in die Risikogruppe 2, nicht aber in die Risikogruppe 3 einzustufen. Die hohen Hygieneanforderungen, welche an Infiltrationen der Risikogruppe 3 gestellt werden würden, seien bei der Mandantin nicht anwendbar.

Das Tragen von sterilen Handschuhen, Mundschutz und/oder Kittel seien keine Pflicht bei extraartikulären Injektionen. Händedesinfektion werde dagegen vor jeder Infiltration gefordert. Nach der Hautdesinfektion – egal ob Sprüh- oder Wischdesinfektion – müsse die Einwirkungszeit von zumindest einer Minute eingehalten werden. Bei jeder erneuten Perforation der Haut müsse die Einstichnadel gewechselt werden. Das Folgegeschehen lasse die Schlussfolgerung zu, dass die Infektion des linken Schultergelenkes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die vom Arzt vorgenommenen Infiltrationen zurückzuführen sei.

Das Landgericht Dortmund hatte die Klage mit Urteil vom 12.12.2013 abgewiesen. Die Klägerin könne nicht beweisen, dass der Beklagte die Injektionen am 09. bzw. 10.02.2010 behandlungsfehlerhaft verabreicht habe. Da der Klägerin kein Zeuge zur Verfügung gestanden habe, könne die Kammer nicht feststellen, dass der Beklagte bei den Infiltrationen nicht die Hygiene-Anforderungen der Risikogruppe 2 gewahrt habe. Der Beklagte habe bei seiner persönlichen Anhörung überzeugend und glaubhaft dargestellt, dass bei einem regelmäßigen Praxisablauf die Einwirkungszeit von einer Minute nach der vorgenommenen Hautdesinfektion eingehalten werde und er für jede Infiltration eine neue Spritze benutze. Es könne dahinstehen, ob der Arzt die Mandantin ordnungsgemäß vor der Spritze aufgeklärt hätte. Selbst wenn Aufklärungsdefizite vorliegen würden, so greife der Einwand der hypothetischen Einwilligung. Die Patientin habe selbst eingeräumt, sie wisse nicht, wie sie sich entschieden hätte, wenn der Arzt sie ordnungsgemäß über das Risiko einer Keiminfektion aufgeklärt hätte.

Gegen dieses Urteil habe ich im Januar 2014 Berufung eingelegt mit der Begründung, der Beklagte habe die hypothetische Einwilligung nicht schlüssig dargelegt. Hätte die Kammer die Äußerungen der Klägerin richtig bewertet, hätte sie einen echten Entscheidungskonflikt bejaht und der Klage aufgrund der Rechtswidrigkeit des Eingriffes stattgegeben. Darüber hinaus sei der Klägerin nicht die echte Behandlungsalternative der konservativen Behandlung in Form von Ruhigstellung der Schulter, Eispackungen und Schmerzmitteln näher gebracht worden. Nach erneuter Anhörung des Sachverständigen vor dem Oberlandesgericht in Hamm hat der Senat darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft sei, wie er über die Frage der rechtmäßigen Aufklärung und den Einwand der hypothetischen Einwilligung entscheiden werde.

Er riet deshalb den Parteien, sich auf einen Betrag in Höhe von 2.500 Euro zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche zu vergleichen.

(OLG Hamm, Vergleichsbeschluss vom 08.09.2014, AZ: I-3 U 27/14)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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