Ungerechtfertigten Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Krankheit - Schwerbehinderung oder Gleichstellung.

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Was war passiert?


Der Kläger war seit 2011 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist den schwerbehinderten Arbeitnehmern gleichgestellt. In den Jahren 2017 bis 2019 war er zunehmend jährlich zwischen 40 und 103 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Am 5. März 2019 führten die Parteien ein Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM). Anschließend war der Arbeitnehmer bis zur Kündigung am 26. Februar 2020 an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich. Dagegen klagte der Arbeitnehmer und beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei.


Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das Landesarbeitsgericht wies die Berufung zurück.


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kurz dargestellt:


Das Bundesarbeitsgericht bestätigte mit der Entscheidung unter dem Aktenzeichen BAG 2 AZR 138/21 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Der Kläger behielt recht. 

Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt i.S.d. § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG. Danach sei die Kündigung unverhältnismäßig, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich sei. Werde die Kündigung wegen Krankheit des Arbeitnehmers ausgesprochen, so sei sie nicht gerechtfertigt, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gebe. Dies könne die Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz sein. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses könne sich der Arbeitgeber grundsätzlich auf die Behauptung beschränken, es gebe keine dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten.

Anders sei dies jedoch zu beurteilen, wenn der Arbeitgeber zur Durchführung eines bEM verpflichtet ist. Das bEM konkretisiere die Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Mit dessen Hilfe können mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden.


Ist der Arbeitnehmer schwerbehindert oder diesen Personen gleichgestellt, so ist der Arbeitgeber verpflichtet ein bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Dabei könne der Arbeitgeber das bEM nicht einseitig abschließen, es sei denn, der Arbeitnehmer und die übrigen beteiligten Stellen treiben den Prozess des bEM nicht ernsthaft voran.

Wurde bereits ein bEM durchgeführt und abgeschlossen und ist der Arbeitnehmer anschließend wieder innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, so sei grundsätzlich erneut ein bEM durchzuführen. Hiervon könne abgesehen werden, wenn das vorhergehende bEM bereits kein positives Ergebnis erbracht habe und es keine für den Suchprozess relevanten Änderungen gebe. Diese können in der Person des Arbeitnehmers in Form seiner Erkrankung oder seiner inneren Einstellung liegen; aber auch in der Weiterentwicklung von Heilungsprozessen oder den betrieblichen Abläufen und Umständen. Hierfür sei der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Er könne sich aber auf Ausführungen zu den ihm bekannten Krankheiten des Arbeitnehmers beschränken. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, ob ein erneutes bEM durchgeführt werden müsse, sei der Zeitpunkt der Kündigung.

Im vorliegenden Fall führte die Arbeitgeberin kein erneutes bEM durch. Sie berief sich vielmehr darauf, dass ein erneutes bEM nutzlos wäre. Dies sah das Gericht anders, da der Arbeitnehmer zum einen seine Einstellung insofern änderte, dass er nun auch der Inanspruchnahme dritter sachverständiger Stellen zustimmte; zum anderen nicht alle Zeiten der Arbeitsunfähigkeit auf den vorhandenen Erkrankungen beruhte. Dementsprechende hätten sich die für den Suchprozess relevanten Umstände geändert. Die Arbeitgeberin brachte selbst im Prozess vor, dass er zumindest zeitweise anderweitig, eher seinem Gesundheitszustand entsprechend, beschäftigt wurde. Damit wäre die erneute Durchführung eines bEM geboten gewesen, da diese möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung ergeben hätten.


Fazit:


Ist ein Arbeitnehmer schwerbehindert oder diesen Personen gleichgestellt, so sollte bei längerer Erkrankung des Arbeitnehmers immer ein bEM durchgeführt werden, auch wenn eines kurz vorher durchgeführt wurde. Es ist dem Arbeitgeber zwar möglich, dessen Nutzlosigkeit darzulegen und zu beweisen, doch wird dies in der Praxis nur selten erfolgreich sein. Eine derartige Prüfung ist so umfangreich, dass die Durchführung eines bEM weniger aufwendig und rechtssicherer ist.

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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