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Verbraucherfrust — Geschmacksverlust?

  • 7 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

Immer wieder ringen Ernährungs-, Verbraucher- und Gesundheitsschützer mit der Lebensmittelindustrie um eine gesunde, vollwertige Ernährung und plädieren für Transparenz bei Nahrungsmitteln zugunsten der Verbraucher. Sicher ist Ernährung letztendlich Geschmackssache. Allerdings muss der Konsument die Gelegenheit haben, sich darüber zu informieren, was er sich einverleibt. Ohne Verbraucherinformationen kann man weder den Wassergehalt einer Tomate erkennen noch, was in der Tütensuppe steckt. Daher ist auch für Nahrungsmittel größtmögliche Transparenz erforderlich. Die Redaktion von anwalt.de stellt die neuesten Entwicklungen rund um das Thema Lebensmittel vor.

[image]Falsche Ernährung macht krank

Es dürfte inzwischen bekannt sein, dass sehr fetthaltige oder gesüßte Nahrung Fettleibigkeit und dadurch bedingte Erkrankungen auslöst, insbesondere Herz- und Gefäßkrankheiten. Für Kinder ist eine gesunde Ernährung besonders wichtig. Zu viel Zucker und Fett können bei ihnen zu erheblichen Konzentrationsschwächen führen. Doch gerade die Kleinen müssen schon in der Schule Leistung bringen, die für ihr Leben als Erwachsener von entscheidender Bedeutung ist. Deshalb sind sich im Kampf gegen Zucker und Fett Ärzte-, Verbraucher-, Ernährungsverbände und die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend einig. Ihnen gegenüber steht die Lebensmittelindustrie, die bei ihren Produkten chemische und gentechnische Zutaten verwendet. Gel-Schinken, Analogkäse und Aromen sind nur einige Beispiele dafür, wie dem Verbraucher die Qualität eines Produktes suggeriert wird, die tatsächlich nicht oder nicht in diesem Umfang besteht.

Weil künstliche Zusatzstoffe quasi die Geschmacksnerven täuschen, ist es notwendig, dass man zumindest beim Einkauf erkennen kann, was man da tatsächlich einkauft. Inzwischen finden sich so viele Angaben auf den Verpackungen, dass man daraus nicht wirklich schlau wird oder sich die Fähigkeiten eines Ernährungsexperten aneignen muss, damit man die Angaben bewerten kann. Bislang setzt der Gesetzgeber oft auf eine freiwillige Umsetzung einer Kennzeichnung durch die Lebensmittelindustrie. Doch dass eine freiwillige Kennzeichnung von Nahrungsmitteln in den meisten Fällen nicht ausreicht, zeigt ein Test, den die Verbraucherzentralen im August 2009 durchgeführt haben. Geprüft wurden die Nährwertkennzeichen von Lebensmitteln in Supermarktketten. Bei fast der Hälfte aller 17 Supermarktketten fehlte die vollständige Kennzeichnung der sog. „Big Eight“, der acht Nährwerte: Energiegehalt, Eiweiß, Kohlenhydrate, Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren, Natrium, Salz. Besonders schlecht schnitten bekannte Markenhersteller ab. Bei 68 Prozent bewerteten die Verbraucherschützer die Kennzeichnung als unbefriedigend, bei kalorienreichen Produkten fehlten die Nährwertangaben besonders häufig. Überraschenderweise schnitten die Lebensmitteldiscounter im Vergleich zu den Supermarktketten besser ab: Bei ihren Lebensmitteln fehlten insgesamt lediglich bei 6 Prozent die „Big Eight“.

Ampelkennzeichnung abgelehnt

Im Kampf gegen die Fettleibigkeit hat zuletzt der Verband der Kinderärzte einen Appell zugunsten der Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln erhoben. Der blieb jedoch zunächst ohne Erfolg: Am Dienstag hat der federführende EU-Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit die Anträge auf eine verpflichtende Ampelkennzeichnung abgelehnt. Bei der Ampelkennzeichnung sollen die Nährwertangaben farblich entsprechend einer Ampel hinterlegt werden. Jedoch ist dieser Entschluss noch nicht das Ende der Lebensmittelampel, denn er hat für das Europaparlament lediglich empfehlenden Charakter. Es wird voraussichtlich im Mai über die Ampelkennzeichnung entscheiden. Im Anschluss muss noch der Europäische Rat der Verordnung zustimmen. Weil das Abstimmungsergebnis vom Dienstag mit 30 zu 32 Stimmen sehr knapp ausfiel, bleibt es weiter spannend.

Der Entwurf der Verordnung zur Kennzeichnung von Lebensmitteln sieht keine Ampelkennzeichnung vor. Aus Sicht der Ernährungsschützer ist besonders fatal, dass die Verordnung darüber hinaus so formuliert ist, dass auch die einzelnen Mitgliedstaaten keine Ampelkennzeichnung in ihren Ländern installieren dürfen. Darum hat die europäische Entscheidung erhebliche Bedeutung für alle Verbraucher und stellt einen erheblichen Eingriff in die Kompetenzen der EU-Mitgliedstaaten dar. Gleichzeitig mit der Ablehnung der Ampelkennzeichnung hat sich der Ausschuss für eine andere Lebensmittelkennzeichnung ausgesprochen. Auf den Etiketten von Nahrungsmitteln sollen künftig der Nährwert und der Gehalt in 100 Gramm für Fett, ungesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker und Salz angegeben werden.

Auf den Verpackungen sollen künftig spezielle Warnhinweise für Allergiker und bei Fleisch, Fisch und Milchprodukten die Herkunft stehen und gentechnisch veränderte oder nanotechnologisch behandelte Lebensmittel gesondert gekennzeichnet sein.

Bio-Siegel und Warnhinweise

Ab 1. Juli wird man das neue EU-Biosiegel in den Regalen der Lebensmittelläden finden können. Dieses Bio-Siegel wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 zur Produktion und Kennzeichnung von Bioprodukten eingeführt. Mit dem neuen Bio-Siegel soll das Vertrauen der Verbraucher in Biolebensmittel gestärkt werden. Allerdings wurden im Zuge der Einführung des Bio-Siegels gleichzeitig die Anforderungen an Bioprodukte herabgesetzt. Nach wie vor dürfen bei Bio-Produkten keine Pestizide eingesetzt werden. Aber die Neuregelung erlaubt jetzt in Ausnahmefällen den Einsatz von chemisch-synthetischen Spritzmitteln. Nun dürfen darüber hinaus Zusatzstoffe bei Bio-Produkten verwendet werden, die mit gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden, wenn diese Stoffe nicht anders verfügbar sind.

Bioprodukte dürfen wie bisher keine sog. Azofarbstoffe enthalten. Für diese Farbzusätze, die insbesondere Süßigkeiten beigemischt werden, wird Anfang Juli 2010 auch ein Warnhinweis eingeführt. Mit diesen synthetischen Zusatzstoffen versehene Nahrungsmittel müssen auf der Verpackung neben der Bezeichnung des Farbstoffes auch der Hinweis „Kann Aktivitäten und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen.“ enthalten. Die Universität Southampton hat in einer Studie belegt, dass eine Mischung aus Azofarbstoffen oder der Farbstoff Chinolingelb (E 104) und der Konservierungsstoff Benzoesäure (E 210) bei Kindern Aufmerksamkeitsdefizite und Hyperaktivität auslösen kann. Darüber hinaus können Azofarbstoffe Pseudoallergien hervorrufen und zu Nesselsucht, Hautödemen oder Asthma führen. Die Europäische Lebensmittelbehörde hat für Azofarbstoffe aufgrund gesundheitlicher Bedenken und neuen Erkenntnissen die duldbaren, täglichen Aufnahmemengen (ADI) reduziert.

Beispiele - Azofarbstoffe:

E-NummernBezeichung
E 102Tartrazin
E 110Gelborange
E 122Azorubin
E 124aCochenillerot
E 129Allurarot

Strafurteile zum Gammelfleisch

Nicht nur der Gesetzgeber muss sich momentan mit dem Thema Nahrung auseinandersetzen, sondern auch die Gerichte. Inzwischen sind bereits einige Strafurteile zum sog. Gammelfleischskandal gefällt worden, der deutschlandweit für Aufsehen gesorgt hat. Letzte Woche verurteilte das Landgericht Memmingen einen Fleischhändler wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung. Der Geschäftsführer einer Firma aus Illertissen hatte im Jahr mehr als 300 Tonnen Schlachtabfälle, die nicht für den Verzehr geeignet waren, in mehreren Ländern in den Handel gebracht. Dieses sog. K-3-Material besteht aus Abfallprodukten aus Schlachtbetrieben, Küchen- und Speiseabfällen, ist nicht zum Verzehr geeignet und darf nur zu Tierfutter verarbeitet werden. Noch härter fiel die Strafe im Oldenburger Gammelfleischprozess aus. Ein Geflügelfleischhändler hatte mindestens 25 Tonnen Putenbrust mit Salzwasser aufgespritzt und über 14 Tonnen davon an eine Hamburger Firma verkauft. Das Landgericht Oldenburg verurteilte den Händler zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren und drei Monaten und ordnete darüber hinaus ein fünfjähriges Berufsverbot an. Der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die gegen das Urteil gerichtete Revision verworfen (Beschluss v. 27.03.2008, Az.: 3 StR 526/07).

Verkehrsbezeichnungen laut Lebensmittelbuch

Kennen Sie die sog. Lebensmittelbuchkommission? Dieses Gremium ist für die Festlegung der Verkehrsbezeichnungen von Lebensmitteln zuständig und damit mit dafür verantwortlich, dass bei uns Produkte unter folgenden Bezeichnungen über die Ladentheke wandern dürfen: zusammengeklebte Fleischfasern als „Formfleisch-Schinken“, Schinkenbrot ohne Schinken („Ein Zusatz von Schinken ist nicht üblich“), Fruchtcremefüllungen vollständig „ohne Früchte", Schokoladenpudding mit nur einem Prozent Kakaopulver etc. Solche von der Kommission festgelegten Leitsätze werden im Lebensmittelbuch zusammengefasst und vom Bundesernährungsministerium veröffentlicht. Die Leitsätze haben rechtlich in etwa die Funktion von Sachverständigengutachten. Die 32 Kommissionsmitglieder werden vom Bundesernährungsministerium für insgesamt 5 Jahre ernannt und bestehen aus Vertretern der Lebensmittelindustrie, der Veterinärmedizin, dem Bauernverband, dem Deutschen Fleischerverband, Mitarbeitern der Lebensmittelüberwachungsbehörden, Universitäten, Verbraucherzentralen und auch Lebensmittelunternehmen. Alle Gremienmitglieder sind zur Geheimhaltung verpflichtet, so dass die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen kann, wie die Entscheidungsfindung abläuft und welche Interessen von wem vertreten werden. Die Organisation foodwatch wollte gegen die Geheimhaltung der Sitzungsprotokolle vorgehen und reichte beim Verwaltungsgericht Köln Klage gegen die Bundesregierung ein. Das Verwaltungsgericht hat kürzlich die Klage abgewiesen, weil eine Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle eine sachliche Diskussion innerhalb der Kommission gefährden würde (Urteil vom 25.02.2010, Az.: 13 K 119/08). foodwatch hat bereits angekündigt, gegen diese Entscheidung Berufung einzulegen.

Erfreuliche Nachrichten für Kartoffelfreunde

Zum Schluss noch eine gute Nachricht für alle Linda-Fans: Das Bundessortenamt hat am 26.02.2010 grünes Licht für die Neuzulassung der beliebten Speisekartoffel Linda gegeben. Der Konzern Europlant hatte 2005 kurz vor Ablauf der Sortenschutzzeit die Zulassung für Linda zurückgezogen. So war es Bauern nicht mehr erlaubt, Linda als Pflanzkartoffel zu vermehren. Um zu verhindern, dass Linda vom Markt verschwindet, machten Bauern und Verbraucherschützer mit der Aktion „Rettet Linda“ die Öffentlichkeit auf das Geschehen aufmerksam und es entwickelte sich ein breites Bewusstsein, dass die Allgemeinheit auch nach Ablauf der Sortenschutzzeit Zugang zu nachgefragten Sorten haben soll. Das Engagement für die Kartoffel hatte nun Erfolg: Nachdem bereits im Sommer letzten Jahres in Großbritannien Linda als Pflanzkartoffel wieder zugelassen wurde, hat sich dem jetzt das Bundessortenamt angeschlossen.

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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