Verdachtskündigung: Aufklärungsmaßnahmen nach Kündigung machen diese unwirksam

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„Vor Ausspruch einer Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts unternehmen. Unterlässt er dies, ist die Kündigung unwirksam. Eine nachträgliche Aufklärung ist nicht möglich (hier: Befragung von Kunden zu Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung von Kassiervorgängen im Einzelhandel).“ – so lautet der amtliche Leitsatz des LAG Köln, Urteil vom 07.10.2009 - 3 Sa 662/09; Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

Klägerin lässt Barauszahlungen gegen Vorlage eines „Geschenk-Gutscheins“ zu. Laut LAG Köln heißt es wie folgt: „Sie bestreitet, dass Barauszahlungen von Gutscheinen nicht erlaubt gewesen seien. Solche hätten vielmehr auch ohne Einwilligung der Kassenleitung stattgefunden und nachträgliche Verbuchungen seien auch bei anderen Kaufverträgen erfolgt. Insgesamt habe die Klägerin sich also nicht ungewöhnlich verhalten.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitgeber meint: Einwilligung der Verkaufsleitung hätte zwingend eingeholt werden müssen

LAG Köln: Die Beklagte „trägt weiter vor, dass jegliche Barauszahlung des Wertes eines „Geschenk-Gutscheins“ unzulässig gewesen sei. Selbst ausnahmsweise durchgeführte Teilrückzahlungen hätten in jedem Fall zwingend der vorherigen Einwilligung der Kassen- bzw. Verkaufsleitung bedurft. Außerdem hätte selbstverständlich die Gutschrift immer nur bei dem Kaufvorgang vorgenommen werden dürfen, bei dem der Gutschein von dem jeweiligen Kunden vorgelegt worden sei. Dementsprechend sei es keineswegs üblich, dass Mitarbeiter solche Gutscheine während des Tages unter der Kassentastatur sammelten, wie dies die Klägerin unstreitig getan habe. In Anbetracht des allenfalls normalen Kundenaufkommens habe für eine solche Vorgehensweise auch keine Veranlassung bestanden.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitgeber begeht für den Ausspruch einer Verdachtskündigung entscheidenden Fehler

LAG Köln: „Beide Kündigungen vom 08. und 11.07.2008 sind rechtsunwirksam und haben das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aufgelöst. Sie erfüllen weder die an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigungen zu stellenden Anforderungen noch hat die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört.“ Quelle: Beck-online.de

Verdachtskündigung nur möglich, wenn Arbeitgeber – vor Ausspruch – Sachverhalt aufgeklärt hat

LAG Köln: „Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Prüfung der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen bzw. einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung aufgezeigt, wie sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorzunehmen ist. Darüber hinaus hat das erstinstanzliche Gericht weiter die nach der ständigen, gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine Verdachtskündigung zu stellenden Anforderungen dargestellt. Danach ist eine Verdachtskündigung nur dann möglich, wenn starke Verdachtsmomente vorliegen, die sich auf objektive Tatsachen gründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat. Diese Anforderungen gelten für die außerordentliche wie auch für die ordentliche Kündigung gleichermaßen. Ebenfalls vollkommen zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil die strengen Anforderungen herausgestellt, die wegen der Unschuldsvermutung an die Verdachtskündigung zu stellen sind.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitgeber hätte vor Ausspruch der Verdachtskündigung Rücksprache mit Kunden führen müssen

LAG Köln: „Der Kündigungsvorwurf der Beklagten gegenüber der Klägerin gründet sich auf den Verdacht, die Klägerin habe entweder in kollusivem Zusammenwirken mit den Kunden K und P oder ohne deren Wissen Einkaufsgutscheine, die diese Kunden im Rahmen eines Gewinnspiels unstreitig rechtmäßig erworben hatten dergestalt zu ihren persönlichen Gunsten eingelöst, dass sie diese mit anderweitigen Verkäufen verrechnet habe, ohne dass diese fremden Kunden hiervon Kenntnis gehabt hätten. Die Klägerin hat sich dazu dahingehend eingelassen, dass die Kunden K und P am 26. und 28.06.2008 tatsächlich Waren bei der Beklagten eingekauft hätten und sie lediglich die förmliche, kassenmäßige Verrechnung der Gutscheine mit anderen Kaufvorgängen vorgenommen habe. Letzteres wäre aber allenfalls ein abmahnungswürdiges Fehlverhalten der Klägerin, sofern die von ihr bestrittene Behauptung der Beklagten hinsichtlich der Verfahrensweise bei Gutscheineinlösungen zutreffend wäre. Damit kommt es für die rechtliche Erheblichkeit des Kündigungsvorwurfs entscheidend darauf an, ob die Behauptung der Klägerin zu den Einkäufen der oben genannten Kunden zutrifft. Diesen Umstand hätte die Beklagte ohne Mühe durch eine Rückfrage bei den Kunden K und P aufklären können, deren Anschrift und Telefonnummer auf den Gutscheinen angegeben waren. Warum die Beklagte hier anders als bei den Kunden, mit deren Einkaufen die Klägerin die Gutscheine verrechnet hatte und deren Kontaktdaten noch ermittelt werden mussten, eine Nachfrage unterlassen hat, ist nicht nachvollziehbar. Die Einlassung der Beklagten, derartige Nachfragen hätten allenfalls den Verdacht gegenüber der Klägerin weiter erhärten können, überzeugt jedenfalls nicht. Allein die objektive Möglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte eine Nachfrage zwingend erforderlich gemacht. Das gilt umso mehr, als darüber hinaus die Möglichkeit einer Entlastung der Klägerin jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen war und die Nachfrage für die Beklagte keinen weiteren unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete.“ Quelle: Beck-online.de

Unterlassende Aufklärungsmaßnahmen können nicht nach Kündigungsausspruch nachgeholt werden

LAG Köln: „Schließlich kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, entweder die Klägerin oder die vorgenannten Kunden hätten ihrerseits für eine entsprechende Klarstellung sorgen müssen und ihr Schweigen sei offensichtlich beredt. Eine solche Argumentation stellt die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess auf den Kopf. Nicht die Klägerin muss sich entlasten, sondern es ist Aufgabe der Beklagten, der Klägerin ein entsprechendes Fehlverhalten nachzuweisen. Das gilt erst recht und insbesondere für die Verdachtskündigung, zu deren vom Arbeitgeber zu erfüllenden Voraussetzungen gerade die erforderliche Sachverhaltsaufklärung gehört. Diese von der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung unterlassenen notwendigen Aufklärungsmaßnahmen können nicht im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens nachgeholt werden. Denn nach ihrem Sinn und Zweck dienen sie dazu, die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers maßgeblich zu beeinflussen. Sind sie vor Ausspruch der Kündigung unterblieben, hat dies zwangsläufig die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.



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