Wann und wo fängt Stalking an? Wie wird Stalking von der Polizei verfolgt und vom Gericht bestraft?

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Medialer gepushter Regelungsbedarf 

Das Gesetz ist durch das 40. Strafrechtsänderungsgesetz 2007 eingeführt worden.

Laut Gesetzgeber/ BMJ wollte man „ein Zeichen setzen“ und einen „noch effektiveren Opferschutz“ herstellen (BT-Drs. 15/5410). Vorher kannte man Nachstellungs-Fälle vor allem aus den USA, wo regelmäßig vor allem weibliche Prominente Opfer ihrer besessenen Stalker wurden.

Zwar konnten verschiedene Handlungsweisen bereits vorher geltende Straftatbestände verwirklichen, es fehlte aber an einem Strafgesetz, die dem Gesamtbild der Taten und dem Leiden des Opfers gerecht werden, vorher gab es das sog. Gewaltschutzgesetz (GewSchG 2002), danach wurde aber nur Zuwiderhandeln gegen eine gerichtliche (Eil)-Anordnung umfasst.

Die Verurteilungszahlen – minimal 

Laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) wurden in Deutschland anno 2007 ca. 11.500 Fälle erfasst und zur Anzeige gebracht und Ermittlungsverfahren aufgenommen. Die Verurteilungen im Jahre 2008 lagen jedoch nur bei 5% und damit am untersten Rande im einstelligen Bereich.

Man kann daraus ableiten, dass der Ruf nach Strafe lauter war denn die Wirksamkeit des danach eilig gefassten Strafgesetzes. Es gab Probleme für die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte den sehr schwammig formuliert und subjektiv auslegbaren Paragraphen anzuwenden.

Viele Strafanzeigen wurden auch nur daher gestellt, damit der Kontakt zum unliebsamen Exfreund oder zur unliebsamen Exfreundin in jedem Fall unterbunden wird, für eine Strafe und Verurteilung wegen Nachstellung reichte der Fall meist nicht aus (§ 238 StGB: „in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen“).

Die Worte des Gesetzes/ der Tatbestand: schwammig formuliert/ Sollbruchstellen 

Der Begriff „Nachstellen“ stammt aus der Jäger-Sprache (vgl. § 292 StGB). Der Gesetzgeber hat bei Fassung des § 238 StGB im Auge gehabt als Einzelhandlungen (BT Drucksache 16/575): das Nachspüren, Heranpirschen, Auskundschaften, Auflauern, Verfolgen.

Der Begriff setzt sich also aus mehreren Handlungen zusammengenommen, die dann zusammengenommen ein strafbares Gesamtverhalten darstellen.

Bloße Belästigungen oder Beunruhigungen gehören nicht dazu, denn es gibt einen „Streitraum“, welchen der Staat den Menschen überlässt und der untereinander gelöst werden muss, ohne dass das Strafrecht bemüht werden soll und ein Strafgericht eingreift. Häufig ist festzustellen, dass Anzeigende bei der Polizei sich vor Ort akut erhoffen, den Menschen, der einem (zB als Ex-Freund oder als Ex-Freundin) nunmehr unliebsam geworden ist, mittels Einschaltens der Behörden loszuwerden.

Dass die Anzeigende später zu einer Zeugenvernehmung erscheinen und Details des (Vor-)Lebens mit dem Täter bei der Polizei oder gar beim Strafgericht schildern muss, wird häufig missverstanden und von Geschädigten unterschätzt.

Manchmal kann auch wegen Zeitablaufs zwischen Tat(en) und polizeilicher Intervention der Leidensdruck auf Opferseite zwischenzeitlich nachgelassen haben, etwa wenn nach Anzeigenerstattung des Opfers die Polizei eine Beschuldigtenanhörung versendet hat und der vermeintliche Täter sodann jeden Kontakt zum Opfer einstellte.

Wo und wann beginnt Stalking?

Einen klaren oder typischen Tatort für Stalking gibt es nicht.

Das Auflauern vor der Wohnung, das plötzliche Erscheinen am Arbeitsplatz, das Abpassen auf dem Nachhauseweg sowie Bestellungen etwa von Warensendung oder anderen Dienstleistungen an die Privatadresse des Opfers oder an die Arbeitsstätte sind noch mildere Beispiele aus Aktenerfahrungen eines Strafanwalts. Es können auch andere Straftaten in das Gesamtverhalten einfließen wie etwa der in § 123 StGB geregelte Hausfriedensbruch, die Erpressung § 253 StGB oder die Verletzung einer amtsrichterlich erlassenen Kontaktsperre („beharrlich“).

Häufig werden mobile Endgeräte wie Smartphones etc. für Tatabschnitte genutzt, um dem Opfer irgendwie nachzustellen, dazu wird es zB getrackt, dh der Aufenthaltsort mit Endgerät bestimmt, Bilder mit verschiedensten Inhalten oder Sprachnachrichten (über Dritte im Falle vorherigen Blockens), E-Mails ggf. von verschiedenen Versendungs-Adressen verschickt, Bilder aufgenommen, verändert und auf sozialen Medien hochgeladen.

Wann die Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt ist folgt ebenfalls subjektiver Vorstellung, davon, wie man sein Leben individuell gestaltet und mit welchen Abwehrmechanismen die oder der Einzelne ausgestattet ist und wie belastbar man psychisch und physisch ist.

Reicht hier ein heutzutage technisch einfaches Unterbinden der Kommunikationswege (Blockieren in allen sozialen Medien)? Oder ist das Wechseln der Rufnummern erforderlich um darzulegen, dass man als Opfer „schwerwiegend beeinträchtigt“ wurde?

Ist der Umzug mit der Wohnung oder das Ummelden der Kinder an anderer Schule gefordert, um Stalkingopfer zu sein? Die Rechtsprechung deutscher Gerichte verhält sich bei diesen Fragen nicht einheitlich, sondern überlässt die Würdigung der Tatfragen den Einzelgerichten. Die hier angesprochenen Beispiele entfalten jedenfalls für sich genommen Indizwirkung.

Auch kann eine Frage spielen, ob der oder die Geschädigte eine krankhafte Historie mit sich bringt, die ihn oder sie möglicherweise im sozialen Kontext als sensibler oder anfälliger für Tätertypen des § 238 StGB erscheinen lassen. Hier können auch neuartige Persönlichkeitsstörungen und Persönlichkeitserkrankungen nach ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation wie Border-Line, Schizophrenie, Narzissmus auf beiden Seiten, dh Täter wie Opfer eine Rolle spielen.

Strafrichter und Strafjuristen - die über den Fall zu entscheiden berufen sind - dürften dabei regelmäßig – schon durch den Alltag bei den Strafgerichten und den langen Karriereweg hin bis zum Juristen (in der BRD ca. 10 Jahre) immer eine dickere Haut haben und sich schwerer in eine Beeinträchtigung der Lebensweise schon institutionell hinein versetzen können.

Folglich bleibt eine Verurteilung wegen § 238 StGB trotz richterlich abverlangter Empathie ein schwieriges Unterfangen. In unsicheren Fällen verbleibt es dem Gericht, einen Sachverständigen einzuschalten, um mittels Explorationsgesprächen des Sachverständigen (meist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) mit dem Opfer zu untersuchen, ob und wie sich eine Schädigung auf dessen Seite auswirkte.

Ein solcher Sachverständiger für das Gerichtsverfahren kann natürlich auf den Wunsch des Angeklagten bestellt werden.

In jedem Fall sollte bei der Wahl eines Strafverteidigers die Kenntnis und die Erfahrungen mit den benannten Problemen vorhanden sein, um den Fall in die jeweils richtige Direktion zu leiten.

RA D. Lehnert


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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