Wohnraummietrecht

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Themenschwerpunkt: 

Die von der 66. Kammer des LG Berlins kreierte "mildere Licht" Rechtsprechung bei der sog. "Doppelkündigung" aufgrund Zahlungsverzugs"


Die 66. Zivilkammer des LG Berlin hat  mit Urteil v. 30.3.2020 (66 S 293/19) die Auffassung vertreten, dass die Nachzahlung sämtlicher Mietrückstände durch den fristlose wg. Zahlungsverzuges gekündigten Wohnraummieter auch eine ordentliche Kündigung unwirksam machen kann.

Dem hat der BGH eine Absage erteilt (BGH, Urteil v. 1.7.2020, VIII ZR 323/18)


Einfaches Fallbeispiel (fiktiv) zu Thematik 

Der Mieter (M) ist langjährig verbunden (30-jähriges-Wohnraummietverhältnis) mit der Vermieter (V). Das Mietverhältnis läuft immer beanstandungsfrei.

Im November und Dezember 2022 kommt aus aufgrund von unverschuldeten Zahlungsschwierigkeiten, dass der M. die Miete jeweils nicht zahlt. Auch zahlt der M. die Miete für Januar (vereinbart sind 1.000€) am 3 Werktag des Monats nur in Höhe von 900,00€. Es besteht also ein Zahlungsrückstand von 2100,00 EUR (Monate November bis einschließlich Januar 23).

Der V. nimmt diesen aufgelaufenen Zahlungsrückstand zum Anlass und kündigt das Mietverhältnis fristlos und ordentlich zum nächstmöglichen Termin und fordert den M. zur Rückgabe der Wohnung auf. 

Nach Erhalt der Kündigung gleich der M. die aus der Vergangenheit bestehende oben aufgeführte Zahlungsrückstände umgehend aus. Er richtet ab Februar 2023 zudem einen Dauerauftrag ein in Höhe der Miete von 1.000 €. Er erklärt zudem den Sozialwiderspruch nach §§574, 574a BGB gegen die gleichzeitig ausgesprochene ordentliche Kündigung. 

Rechtlicher Background, wie folgt: 

Grundsätzlich hat der M. durch die Zahlung die fristlose Kündigung durch Zahlung unwirksam gemacht. Die folgt aus § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB. 

Es fragt sich, ob damit auch die gleichzeitig ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen Pflichtverletzung hier nicht Zahlung der vertraglich vereinbarten Mieten aus der Welt ist. Das sieht das Landgericht so. 

Das Landgericht hatte der Berufung des Mieters stattgeben  und die Räumungsklage des V. abgewiesen. Ferner hat es ausgesprochen, dass sich das Mietverhältnis nach §§ 574, 574a BGB infolge einer nicht zu rechtfertigenden Härte auf unbestimmte Zeit verlängere.

Aufgrund der Schonfristzahlung des Mieters sei auch die fristgemäße Kündigung unwirksam geworden. Das Gericht stellt sich dabei ausdrücklich gegen die ständige Rechtsprechung des BGH (Verweis auf BGH v. 16.2.2005 – VIII ZR 6/04, MietRB 2005, 173 [Dickersbach]).

Seit der Mietrechtsreform 2001 beziehe sich die Regelung über die Schonfristzahlung nicht mehr nur auf die außerordentliche Kündigung (§ 569 BGB), sondern auch auf die ordentliche Kündigung (§ 573 BGB). Beide Vorschriften gehörten im mietrechtlichen Untertitel 2 (Mietverhältnisse über Wohnraum; §§ 549 ff. BGB) zu dem mit § 568 BGB einsetzenden Kapitel 5 (Beendigung des Mietverhältnisses). Sie stünden dort aber gerade nicht auf derselben Ebene (nebeneinander). Stattdessen enthielte Kapitel 5 zunächst das Unterkapitel 1, in dem „Allgemeine Vorschriften“ versammelt und systematisch vorangestellt seien. Zu diesen „Allgemeinen Vorschriften“ zähle § 569 BGB. Die darin geregelte Schonfristregelung gehöre damit zu dem „vor die Klammer gezogenen“ allgemeinen Teil dessen, was für die „Beendigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum“ (Untertitel 2, Kapitel 5) maßgeblich sei. Die Anwendung von § 569 BGB auf die im nachfolgenden Unterkapitel 2 (Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit) geregelte Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sei damit die zwingende Konsequenz aus der 2001 neu eingeführten gesetzlichen Struktur.

Dem stehe auch der Gesetzeswortlaut nicht entgegen. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB konkretisiere nicht lediglich die in § 543 Abs. 2 S. 3 BGB enthaltene Regelung zur Aufrechnung um den weiteren Fall der nachträglichen Zahlung. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich ein solches beschränkendes Verständnis nicht.

Die Beschränkung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf die außerordentliche Kündigung widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Reformgesetzgeber 2001 habe mit der Schonfristzahlung den praktischen Verbleib des Mieters in der Wohnung sichern wollen. Dies ergebe sich aus dem geäußerten Wunsch des Gesetzgebers, dass Sozialbehörden sich häufiger einschalten (und öffentliche Gelder für Mietrückstände ausgeben). Dieser Wunsch werde konterkariert, wenn die Schonfristzahlung nicht auch zur Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung führe.

Bei der Betrachtung der historischen Rechtsentwicklung sei im Übrigen der Bereich des SGB zu berücksichtigen. Die enge Verzahnung zwischen den mietrechtlichen Folgen einer Schonfristzahlung und den in diesem Bereich existenten Aufgaben und Zielen der öffentlichen Sozialbehörden werde über § 22 SGB II (im Bereich der Jobcenter) bzw. § 35 f. SGB XIII (im Bereich der Sozialämter) realisiert. Damit solle der dauerhafte Verbleib des Mieters in der Wohnung erreicht werden. Dies erspare der Behörde – also dem Staat – Geld und Ressourcen. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH, wonach die Schonfristzahlung die ordentliche Kündigung nicht erfasse, gingen die Behörden zunehmend dazu über, die fraglichen Zahlungen nicht mehr zu leisten, um die nutzlose Aufwendung öffentlicher Gelder bei gleichzeitiger Verfehlung der damit verfolgten Zwecke zu beenden. Praktisch sei diese in sich schlüssige Konsequenz der Ämter gleichbedeutend mit der Abschaffung des Instituts der Übernahme von Mietschulden zum Erhalt der Wohnung des Leistungsbeziehers. Eine Auslegung im Bereich des Zivilrechts, in deren Konsequenz ein gesamtes damit unmittelbar verknüpftes Instrument des Sozialrechts leerläuft und faktisch abgeschafft wird, verdiene keine Gefolgschaft

Dafür müsste die Vorschrift des § 574 BGB entsprechend auf die ordentliche Kündigung anzuwenden sein, mithin eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers vorliegen, der diesen Fall versehentlich nicht geregelt hat. 

Entscheidung des BGB: Schonfristzahlung heilt ordentliche Kündigung nicht.

Diese Sicht wurde nicht geteilt von dem BGH. Die Entscheidung des Landgerichts Berlin wurde von dem V. mit der Revision bestanstandet und führte iE zur Aufhebung des Urteils. 

In der Entscheidung betont der BGH ausdrücklich seine ständige Rechtsprechung, dass eine Schonfristzahlung zwar eine fristlose, aber nicht eine ordentliche Kündigung heilt


Meine Anmerkung zur Entscheidung des LG Berlin:

Die Begründung des Urteils liest sich m.E gut. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass der BGH seine ständige Rechtsprechung ändert. Zumal der Gesetzgeber im Mietrechtsanpassungsgesetz 2019 die vielfach geforderte Korrektur des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht umgesetzt hat.

Beraterhinweis: Die 66. Kammer des LG Berlin hat schon einmal auf anderem Wege versucht, einer hilfsweisen Zahlungsverzugskündigung die Wirksamkeit zu nehmen. Schon diesen Versuch hat der BGH zurückgewiesen (BGH v. 19.9.2018 – VIII ZR 231/17, MietRB 2019, 5

Stellungnahme zur Thematik:

Man muss sich meines Erachtens den  § 574 S.2 BGB vor Augen führen: 

Demnach ist der Widerspruch des M. nach Satz 2 aber ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer außerordentlichen/fristlosen Kündigung berechtigt.

Dies ist hier gegeben. Daher ist hier für den M. game over bei dem Fallbeispiel der "Doppelkündigung" sowohl fristlos und gleichzeitig ordentlich. 

Es fragt sich, wie dem Mieter zu helfen ist. 

Hier gibt § 242 BGB eine Möglichkeit einer Einwendung gegen die Durchsetzung der ordentlichen Kündigung durch (V.).

Hier kommt daher die mildere Licht Rspr. des BGH ins Spiel. 

§ 242 gilt für das gesamte Vertragsrecht, also auch für das BGB. Eine Rechtsverfolgung ist daher unzulässig , die in erhebliche Weise in ein Mietverhältnis eingreift und Rechtsfolgen anknüpft, obgleich der Zahlungsrückstand inzwischen ausgeglichen ist (s. oben) (§ 242 BGB/Kähler, Stand 15.9.22, § 242 Rn 1547; Jauering/Mansel, § 242 Rm 40).


Hier ist die lange Kündigungsfrist der ordentliche Kündigung in den Blick zu nehmen. Die beträgt  bei dem langjährigen Mietverhältnis mindestens 9 Monate. Aufgrund des inzwischen von M. eingerichteten Dauerauftrags könnte man dies mE erfolgsversprechend gegen die ordentliche Kündigung ins Feld führen. 

Ich helfe Ihnen gerne in ähnlichen Konstellationen mit Rat und Tat.


Mit besten Grüßen 

Rechtsanwalt Robin Wulff



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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