Zur Kostenbeteiligung für die Entfernung eines Brustimplantats nach ästhetischer Brustvergrößerung

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2019, L 16 KR 1513/17

Der 16. Senat des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen entschied, dass sich gesetzlich versicherte Frauen, die eine Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen vornehmen ließen, an den Kosten notwendiger Folgebehandlungen beteiligen müssen.

Die gesetzlich krankenversicherte Klägerin ließ 2011 eine medizinisch nicht indizierte Brustvergrößerung durchführen. Es handelte sich um eine sog. Schönheitsoperation, also eine kosmetische Operation ohne medizinische Indikation. Das Implantat rechts riss in der Folgezeit mehrfach und musste entfernt werden. Im Mai 2017 wurde eine „Entfernung der Mammaprothese mit Exzision einer Kapselfibrose beidseits“ durchgeführt. Zuvor hatten die Behandler „Entzündliche Krankheiten der Mamma“ (N 61), „Kapselfibrose der Mamma durch Mammaprothese oder -implantat“ (T 85.82) sowie „andernorts klassifizierte Krankheit, für die der Verdacht besteht, dass sie Folge einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder eines Piercings ist“ (U 69.20) diagnostiziert. Die Klägerin entschied sich für eine Implantate-Entfernung bei gleichzeitigem Einbringen neuer Implantate. Für das operative Einsetzen der Brustimplantate schloss die Klägerin mit dem Krankenhaus einen privatärztlichen Vertrag über 1.500,00 €. Die Kosten für die stationäre Behandlung der Klägerin (~ 6.500.- €) stellte das Krankenhaus der Krankenversicherung in Rechnung.

Die Krankenversicherung stellte fest, dass keine Zusage zur Kostenerstattung gegenüber der Klägerin vorlag und verlangte von der Klägerin anteilige Kostenbeteiligung (~ 1.300.- €) mit der Begründung, dass sie Leistungen erbracht habe, die durch eine Krankheit infolge einer medizinisch nicht notwendigen, ästhetischen Operation erforderlich geworden wären. An den Kosten, die durch diese Folgeerkrankung entstanden seien, habe sich die Klägerin angemessen zu beteiligen. Hiergegen klagte die Klägerin.

Gesetzlich versicherte Frauen, die eine Brustvergrößerung aus ästhetischen Gründen vornehmen ließen, müssen sich an den Kosten notwendiger Folgebehandlungen beteiligen, § 52 Abs. 2 SGB V

Der 16. Senat des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen bestätigte im Berufungsverfahren die Verpflichtung zur Kostenbeteiligung. Die Voraussetzungen zur Kostenbeteiligung nach § 52 Abs. 2 SGB V seien erfüllt.

§ 52 SGB V regelt die „Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden“. In Abs. 2 heißt es: „Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“

Nach Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen bestimme § 52 Abs. 2 SGB V die Grenzen des Solidaritätsprinzips und schütze die Solidargemeinschaft vor unsolidarischem Verhalten einzelner. Es bilde eine Ausnahme von der Regel, wonach im Interesse der Versicherten und der Allgemeinheit Krankenbehandlungen und andere notwendige Leistungen ohne Rücksicht auf die Krankheitsursachen zu gewähren sind. 

Zu der Regelung in § 52 Abs. 2 SGB V bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere sei kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz anzunehmen. Es handele sich bei ästhetischen Operationen, Tätowierungen und Piercing um die häufigsten Erscheinungen der „Körpermodifikationen“. Der Gesetzgeber habe diese herausgreifen können, denn er habe die praktisch weitaus bedeutsamsten Erscheinungsformen benannt und berücksichtigt, dass es hierbei jeweils um willkürliche Veränderungen am eigenen Körper gehe. Den Gesetzgeber treffe bei der obigen Auswahl allenfalls eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht; er sei zur Typisierung und Generalisierung berechtigt, ohne dabei wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien nicht medizinisch indizierte Brustvergrößerungen keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Solidarprinzip der Krankenversicherung sei nicht grenzenlos. Da feststehe, dass die Erkrankung der Entzündung der Brust auf die eigenverantwortliche Entscheidung der Klägerin zurückzuführen sei, sich aus ästhetischen Gründen Brustimplantate einsetzen zu lassen, habe die Klägerin eine wesentliche Mitursache im Sinne des § 52 Abs. 2 SGB V gesetzt. Die Krankenkasse sei daher verpflichtet, die Versicherte dem Grunde nach an den Kosten zu beteiligen. Die Krankenkasse habe hierbei keine Wahl; das „Ob“ der Beteiligung stehe nicht in ihrem Ermessen.

Notwendige Operationen, etwa nach Krebserkrankungen, sind von dieser Wertung allerdings nicht betroffen.

Die Höhe der Kostenbeteiligung liegt im Ermessen der Krankenkasse

Die Höhe der Kostenbeteiligung liegt unter Berücksichtigung maßgeblicher Kriterien – wie der Grad des Verschuldens, die Höhe der Aufwendungen der Krankenkasse sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten – im Ermessen der Krankenkasse. Nach Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen – aber auch des Sozialgerichts Berlins (vgl. SG Berlin, Urteil vom 10.12.2013, S 182 KR 1747/12) kann sich die Krankenkasse hierbei an den Vorgaben des § 33 Abs. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) halten.

Die Krankenkasse kann sich bei der Bemessung der Höhe der Kostenbeteiligung an der nach § 33 EStG zu berechnenden existenziellen Grundsicherung orientieren

Der Gesetzgeber verfolgt im Einkommensteuerrecht mit den Regelungen in § 33 EStG das Ziel, gewisse Aufwendungen für die existenzielle Grundsicherung des Steuerpflichtigen und seiner Angehörigen steuermindernd zu berücksichtigen. Nach § 33 Abs. 1 EStG werden zwangsläufig erwachsene außergewöhnliche Belastungen, soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen. Die zumutbare Belastung stellt mithin den Betrag für die existenzielle Grundsicherung dar, der steuerlich nicht privilegiert werden soll. Diese vom Gesetzgeber festgelegte Zumutbarkeitsgrenze kann – nach sich abzeichnender Rechtsprechung der Sozialgerichte – auf das Krankenversicherungsrecht übertragen werden.

Professionelle Beratung

Soweit Sie eine betroffene Patientin sind, berate und vertrete ich Sie gerne im Rahmen der Auseinandersetzung mit Ihrer Krankenkasse. Es ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob überhaupt eine Kostenbeteiligung nach § 52 Abs. 2 SGB V zur Anwendung kommt. Gerade Betroffene nach medizinisch notwendigen Mastektomien sollten sich zur Wehr setzen. Daneben ist stets zu prüfen, ob Ihre Krankenkasse bei der Bestimmung der Höhe Ihrer Kostenbeteiligung ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Rechtsanwältin Maike Bohn, Hamburg


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