11-jähriges Kind trifft keine Mitschuld am Verkehrsunfall – Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz

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Ein elfjähriges Mädchen wurde beim Überqueren der Straße angefahren und verletzt. Das OLG Celle sprach ihm vollen Schadenersatz und Schmerzensgeld zu. Das Kind treffe keine Mitschuld, entschied das OLG mit Urteil vom 19. Mai 2021 (Az.: 14 U 129/20). Das Mädchen habe Entfernung und Geschwindigkeit der heranfahrenden Autos falsch eingeschätzt. Dabei handele es sich um eine typisch kindliche Fehleinschätzung, so das OLG.

Kinder sind im Straßenverkehr besonders gefährdet, da sie Situationen und Gefahren oft noch nicht richtig einschätzen können. Bis zur Vollendung ihres zehnten Lebensjahres sind sie daher für Unfälle, die sie im Straßenverkehr fahrlässig herbeigeführt haben, nicht verantwortlich. Das bedeutet jedoch nicht, dass ab dem 11. Geburtstag grundsätzlich ein Verschulden oder Teilverschulden des Kindes angenommen werden kann. „Wie an dem Urteil des OLG Celle deutlich wird, kommt es maßgeblich darauf an, inwieweit ein Kind die Situation erkennen und richtig einschätzen kann. Diese Fähigkeit wird erst mit zunehmenden Alter entwickelt“, sagt Rechtsanwalt Christian Heitmann.

So konnte auch in dem zu Grunde liegenden Fall die Situation an einem dunklen und nassen Wintermorgen von dem Mädchen nicht richtig beurteilt werden. Um nicht den Anschluss an ihre Freunde zu verlieren, lief die 11-Jährige unvorsichtig über die Straße. Obwohl der herannahende Autofahrer schon die Freunde des Mädchens beim Überqueren der Straße gesehen hatte, fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit weiter und das Auto erfasste das Kind. Das Mädchen erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen und klagte auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Das OLG Celle gab der Klage statt. Der beklagte Autofahrer hafte vollständig für die Unfallfolgen. Nachdem er die ersten Kinder beim Überqueren der Straße gesehen hatte, hätte er damit rechnen müssen, dass noch weitere Kinder folgen und seine Geschwindigkeit reduzieren oder ggf. auch anhalten müssen, so das Gericht. Stattdessen sei er mit überhöhter Geschwindigkeit weitergefahren. Laut eines Sachverständigen-Gutachtens hätte der Unfall vermieden werden können, wenn sich der Fahrer an die zulässige Höchstgeschwindigkeit gehalten hätte.

Dem Mädchen sei hingegen keine Mitschuld anzulasten, auch wenn es die Straße unvorsichtig überquert hat, führte das OLG Celle weiter aus. Sie habe Entfernung und Geschwindigkeit des Autos falsch eingeschätzt. Dies begründe sich mit ihrem kindlichen Alter und der gruppendynamischen Situation. Die Verkennung der wahren Verkehrslage, insbesondere die fehlerhafte Einschätzung von Geschwindigkeiten und Abständen, sei geradezu ein Merkmal der noch in der Entwicklung befindlichen kindlichen Wahrnehmungsfähigkeit, machte das OLG Celle deutlich. Doch selbst wenn man ein Mitverschulden bejahen würde, trete dieses hinter das überragende Verschulden des Autofahrers zurück, so das Gericht.

„Das Urteil zeigt, dass Kinder im Straßenverkehr einen besonderen Schutz genießen und auch nach Vollendung des zehnten Lebensjahres ein Mitverschulden an einem Unfall oft nicht gegeben ist. Dementsprechend besteht ein vollumfänglicher Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld“, so Rechtsanwalt Heitmann.

Mehr Informationen: https://www.rechtsmeister.de/schadenersatz-nach-unfall


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