Veröffentlicht von:

Abschiebung in Erstzutrittsland kann rechtswidrig sein

  • 2 Minuten Lesezeit

VG Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2015, Az. 23 L 899.14 A

Der Antragsteller begehrte die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebung in das Erst-Zutrittland Ungarn der EU. Diese hatte nach summarischer Prüfung des Gerichts Erfolg.

Eine Überstellung des Antragstellers nach Ungarn ist nicht möglich, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass ihm im Asylverfahren in Ungarn systematisch eine Verletzung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Grund- und Menschenrechte droht.

Dabei greift allerdings Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO nicht unmittelbar ein. Danach ist es unmöglich, einen Antragsteller in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta mit sich bringen.

Die der Dublin III-VO zugrunde liegende Annahme, dass alle Mitgliedstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a.-, Rn. 81 ff.), begründen die grundsätzliche Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht

Diese grundsätzliche Vermutung kann und muss im Abschiebungsverfahren wiederlegt werden. Wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems genügen für ihre Widerlegung jedoch nicht schon einzelne Verstöße eines Mitgliedstaates. Es muss vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bestehen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK ausgesetzt wird (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO).

Die Beschränkung der Tatsachengrundlage der zu treffenden Prognose auf systemische Mängel ist Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite. Diese sind zu bejahen, wenn sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Hiervon ist auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von WIPPER Rechtsanwälte

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten