Amtsermittlungspflicht bei Zweifeln an der Minderjährigkeit einer Person in Kindschaftsverfahren

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Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die vom Betroffenen erstrebte Feststellung, dass die für ihn bestehende elterliche Sorge ruht und ihm daher ein Vormund zu bestellen ist. Der Betroffene wurde durch das Jugendamt in Obhut genommen, nachdem er aus seinem Heimatland geflohen ist. Nach seiner Ankunft am Hauptbahnhof hatte er sich bei der Polizei gemeldet. Aufgrund der Inaugenscheinnahme des Betroffenen ergaben sich für die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamts gravierende Zweifel an dessen Minderjährigkeit. Eine auf Veranlassung des Jugendamtes erstattete ärztliche Stellungnahme auf der Basis einer am 29.01.2015 gefertigten Röntgenaufnahme der linken Hand kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Skelettalter ein Mindestalter des Betroffenen von 18 Jahren ergebe. Das Jugendamt beendete daraufhin am 02.02.2015 die Inobhutnahme.

Am 02.02.2015 beantragte der Betroffene seinerseits beim Amtsgericht Freiburg die Bestellung eines Vormunds. Entgegen des radiologischen Befundes sei er noch minderjährig. Am 17.03.2015 wurde der Betroffene vor dem Familiengericht angehört. Auf Frage des Gerichts, ob er bereit sei, weitere Untersuchungen (körperliche Untersuchung, Röntgen des Schlüsselbeines, Zahnbefund usw.) zur weiteren Abklärung seines Alters vornehmen zu lassen, teilte er mit, dass er damit nicht einverstanden sei. Mit Beschluss vom 23.03.2015 stellte das Familiengericht Freiburg fest, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nicht vorliegen. Der erhobene Röntgenbefund spreche für ein Mindestalter von 18 Jahren. Um gesichert von Volljährigkeit ausgehen zu können, müssten weitere Untersuchungen des Betroffenen erfolgen, die vorliegend nicht durchgeführt worden seien, weil der Betroffene sich hiermit nicht einverstanden erklärt habe. Gegen diesen ihm am 25.03.2015 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit am 07.04.2015 beim Amtsgericht Freiburg eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Betroffene kam am 25.01.2015 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland. Die elterliche Sorge eines Elternteils für ein minderjähriges Kind ruht, wenn das Familiengericht feststellt, dass ein Elternteil auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben kann. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Einrichtung einer Vormundschaft zu erfolgen hat, wenn das tatsächliche Lebensalter des Betroffenen nicht sicher festgestellt werden kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur bislang nicht abschließend geklärt. Voraussetzung für das Eingreifen der Amtsermittlungspflicht ist, dass das Alter des Betroffenen zweifelhaft ist. Vorliegend ist der Senat auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse von der Minderjährigkeit des Betroffenen nicht überzeugt.

Der Zweifelssatz - demzufolge bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der Volljährigkeit zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen ist - greift erst ein, wenn sich das Gericht trotz Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten keine hinreichende Gewissheit über das tatsächliche Alter des Betroffenen verschaffen kann. Auch aufgrund des Zweifelssatzes ist vorliegend nicht von der Minderjährigkeit des Betroffenen auszugehen. Vorliegend könnte durch die Einholung eines medizinischen Altersgutachtens das Alter des Betroffenen näher bestimmt werden. Eine zuverlässige Altersdiagnostik erfordert insoweit verschiedene körperliche Untersuchungen (Erfassung anthropometrischer Maße, Feststellung sexueller Reifezeichen sowie möglicher altersrelevanter Entwicklungsstörungen), eine zahnärztliche Untersuchung mit Erhebung des Zahnstatus und Gebissbefundes sowie den Einsatz bildgebender Verfahren im Rahmen radiologischer Untersuchungen. Das Ergebnis dieser Einzeluntersuchungen ist sodann zusammenführend zu würdigen. Weitere Untersuchungen insbesondere körperlicher und zahnärztlicher Natur sind dem Betroffenen auch zumutbar. Dabei kann dahinstehen, ob ein Betroffener grundsätzlich im Rahmen seiner Mitwirkungsverpflichtung nach § 27 FamFG auch gehalten wäre, sich weiteren radiologischen Untersuchungen zu unterziehen. Denn jedenfalls ist vorliegend das Spektrum der unproblematisch zumutbaren Untersuchungsmethoden noch nicht ausgeschöpft.

Nachdem der Betroffene weitere Untersuchung ausdrücklich und aus nicht nachvollziehbaren Gründen ablehnt, kann der Sachverhalt aus Gründen, die in der Sphäre des Betroffenen liegen, nicht weiter aufgeklärt werden. Nach alledem kann die vom Betroffenen begehrte Feststellung der Minderjährigkeit nicht getroffen werden, sodass die Bestellung eines Vormunds ausscheidet und die Beschwerde zurückzuweisen war.

(OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. August 2015, 18 UF 92/15)


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