Anwalt bei Vorladung, Anklage, Strafbefehl mit Vorwurf Unterlassene Hilfeleistung

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Unfälle passieren. Oft. In solchen Situationen wie auch in einigen sonstigen Notsituationen ist man oftmals von der Hilfe anderer Personen abhängig. Durch das Einschreiten und Helfen durch beispielsweise Zeugen eines Unfalls können regelmäßig erhebliche Schäden verhindert oder jedenfalls minimiert werden. Solidarität zu zeigen, ist dann erforderlich. Und diese Solidarität stuft der Gesetzgeber als so wichtig sein, um Rechtsgüter wie beispielsweise das Leben oder die körperliche Unversehrtheit zu schützen, dass das Unterlassen des Ergreifens von bestimmten Hilfsmaßnahmen in bestimmten Situationen sogar mit einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe bedroht ist. Eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung steht dann im Raum.

Wie hoch ist die Strafe für unterlassene Hilfeleistung?

Unterlassene Hilfeleistung wird grundsätzlich mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft (§ 323c StGB).

Wann macht man sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar?

So einfach wie es die amtliche Überschrift „Unterlassene Hilfeleistung“ vermuten lässt, ist die Feststellung der Anforderungen an eine Strafbarkeit dann doch nicht. Nicht allein das reine „nicht Helfen“ bei einem Unfall beispielsweise ist strafbar.

Hilfspflicht bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr, gemeiner Not

Zunächst besteht nur in bestimmten Situationen eine Hilfspflicht. Nämlich bei …

  • einem Unglücksfall,
  • gemeiner Gefahr oder
  • gemeiner Not

(§ 323c Abs.1 StGB).


Ein Unglücksfall zeichnet sich dadurch aus, dass er in gewisser Weise plötzlich eintritt und durch ihn eine erhebliche Gefahr der Verletzung von Individualrechtsgütern (z.B. Leben oder körperliche Unversehrtheit) mit sich bringt (vgl. BGH, NJW 1983, 350). Hier kann beispielsweise an einen schweren Autounfall gedacht werden.

Wird eine Straftat begangen, aus der die Gefahr erwächst, dass das Opfer stark verletzt wird, so kann auch dies einen Unglücksfall darstellen (BGH, Beschluss v. 11.04.2017 – 2 StR 345/16 m.w.N.).


Gemeine Gefahr und Gemeine Not haben gemeinsam, dass es sich um Situationen handelt, die einen größeren, nicht genau bestimmbaren, Personenkreis betreffen.

Bei gemeiner Gefahr droht demnach ein Schaden für einen unbestimmbar großen Personenkreis. Beispiele hierfür können Brände oder Überschwemmungen sein.

Der Begriff der gemeinen Not geht weiter als die gemeine Gefahr und meint beispielsweise nachgelagerte Folgen gemeiner Gefahr, wie z.B. ein Stromausfall in Folge einer Überschwemmung. Auch hier ist wieder die Allgemeinheit betroffen.


Ob ein Fall eines Unglücksfalls oder einer Notsituation bestand, ist nach Maßgabe der Beurteilung einer objektivierten Sicht in der konkreten Situation (objektiv ex ante) zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil v. 01.09.2020 – 1 StR 373/19).

Hilfspflicht nur, wenn erforderlich und zumutbar

Zudem besteht eine Hilfspflicht nur dann, wenn die Hilfeleistung sowohl erforderlich und zumutbar ist.

Bei der Zumutbarkeit sind – so § 323c Abs.1 StGB – insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Bringt der Hilfeleistende sich durch die Hilfe selbst in erhebliche eigene Gefahr?

Kann er helfen, ohne dabei andere wichtige Pflichten zu verletzen?


Die Hilfeleistung ist dann nicht mehr erforderlich, wenn der Verletzte zum Beispiel bereits tot ist. Also allgemeiner ausgedrückt, wenn es von Anfang an offensichtlich nutzlos ist, noch Hilfsmaßnahmen vorzunehmen, weil das Opfer ersichtlich nicht mehr gerettet werden kann. Aber Achtung: Nur weil im Nachhinein festgestellt wird, dass das Opfer nicht mehr gerettet werden konnte, schließt das die Hilfspflicht noch nicht aus. Es muss von Anfang an offensichtlich gewesen sein (wie es beispielsweise der Fall ist, wenn das Opfer bereits tot ist). Vgl. BGH, Urteil v. 20.01.2000 – 4 StR 365/99 (unter Verweis auf stRspr).

Allgemeiner ausgedrückt setzt sich die Erforderlichkeit einer Maßnahme im Rahmen der Hilfeleistung insbesondere dadurch zusammen, dass die Maßnahme helfen kann (also geeignet ist) und die Maßnahme auch notwendig ist, damit nicht (weitere) Schäden eintreten.


Es ist zu beachten, dass die Rechtsprechung dem zur Hilfeleistung Verpflichteten grundsätzlich wohl eine Art „Schrecksekunde“ gewährt, während derer noch keine Strafbarkeit begründet wird (BGH, Beschluss v. 15.09.2015 – 5 StR 363/15 m.w.N.).

Sind nur bestimmte Personen bei einem Unfall zur Hilfeleistung verpflichtet?

Nein. Die Straftat der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c StGB betrifft Jeden, also insbesondere nicht nur Ärzte oder sonstige professionelle Nothelfer. Die strafrechtlich abgesicherte Hilfspflicht richtet sich an jeden, für den es zumutbar und möglich ist, eine erforderliche Hilfsmaßnahme in einer solchen Notsituation vorzunehmen.

Macht man sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn man sich durch die Hilfeleistung selbst in Gefahr bringt?

Eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung scheidet dann aus, wenn man sich durch die Hilfeleistung selbst in „erhebliche eigene Gefahr“ (§ 323c Abs.1 StGB) bringen muss.

Machen sich Ärzte oder Notfallsanitäter schneller wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar?

Grundsätzlich handelt es sich bei der Hilfspflicht, die durch § 323c des Strafgesetzbuches strafrechtlich abgesichert werden soll, um eine allgemeine – jedermann treffende – Hilfspflicht. Sie trifft also grundsätzlich sowohl medizinische Laien als auch Ärzte oder Notfallsanitäter.

Da wie bereits dargestellt, die Hilfeleistungspflicht nur in dem Maße besteht, wie es für den Helfer möglich und zumutbar war, können unter Umständen unterschiedliche Anforderungen an Ärzte oder sonstige medizinisch geschulte Personen im Vergleich zu medizinischen Laien gestellt werden.

Eine Betrachtung und rechtliche Würdigung des konkreten Einzelfalls ist also notwendig. Wenn Sie mit dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung konfrontiert sind, sollten Sie sich daher bestenfalls an einen Anwalt für Strafrecht wenden, der die nötige berufliche Erfahrung und fachliche Expertise hat, um Ihren Fall einschätzen und eine geeignete Verteidigungsstrategie erarbeiten zu können.

Verliert man seine Approbation als Arzt, wenn man bei einem Unglücksfall während der Freizeit nicht hilft?

Bei Ärzten tritt im Falle eines Strafverfahrens zu der Sorge der Verurteilung zu einer Freiheits- oder Geldstrafe noch die Sorge um den Verlust der Approbation hinzu.

Tatsächlich kann im Falle eines laufenden Strafverfahrens das Ruhen der Approbation, im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung der Widerruf der Approbation drohen.

Bei der Begehung von Straftaten durch einen Arzt kann nämlich dessen Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit im Raum stehen, welche Voraussetzung für das Innehaben einer Approbation sind. Das Ruhen der Approbation kann im Falle der Einleitung eines Strafverfahrens aber nur dann angeordnet werden, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung besteht; der konkrete Einzelfall ist zu betrachten (vgl. BVerwG, Urteil v. 10.09.2020 – 3 C 13.19).

Wenn Sie als Arzt Beschuldigter eines Strafverfahrens sind, sollten Sie sich bestenfalls an einen auf das Medizinstrafrecht spezialisierten Anwalt für Strafrecht wenden. Bestenfalls ein solcher Anwalt für Strafrecht, der entweder selbst auch umfassende Fachkenntnisse im Verwaltungsrecht hat oder in einer Kanzlei mit einem Fachanwalt für Verwaltungsrecht eng zusammenarbeitet (die Approbation ist nämlich ein sog. Verwaltungsakt).

Ist es strafbar, Rettungssanitätern beim Einsatz im Weg zu stehen?

Ja, es kann strafbar sein, Rettungssanitätern bei einem Einsatz im Weg zu stehen, sodass diese ihre Arbeit nicht bzw. nur erschwert durchführen können. Gem. § 323c Abs.2 StGB ist das Behindern von hilfeleistenden Personen im Falle eines Unglücksfalls, gemeiner Gefahr oder gemeiner Not strafbar. Auch hierfür droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Solche hilfeleistenden Personen können auch Rettungssanitäter sein. Zu beachten ist, dass lediglich das vorsätzliche Behindern von hilfeleistenden Personen gem. § 323c Abs.2 StGB strafbar ist, nicht aber fahrlässiges Verhalten. Man muss also wissentlich und willentlich die Hilfe behindern. Zu beachten ist aber auch, dass Vorsatz bereits dann bejaht werden kann, wenn der Täter das Behindern von hilfeleistenden Personen lediglich als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen hat (sog. Bedingter Vorsatz).

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