Arbeitszeiterfassung – neue Regelungen? – Was Sie als Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin beachten sollten.

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Wer diese Thematik aufmerksam verfolgt, an dem wird die Rechtsprechung des EuGH in der Sache CCOO nicht vorbeigegangen sein. Viel bedeutender war jedoch, dass sich auch unsere nationalen Gerichte mit diesem Thema auseinandersetzen mussten.


Somit sollte Ihnen, als Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin, spätestens mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 die Verpflichtung zur Arbeitserfassung bewusst sein, sowie die weiteren Eckpunkte aus dem Beschluss zumindest bekannt sein.


Doch was ist damit konkret gemeint? Welche Verpflichtungen müssen Sie umsetzen und treffen diese ausschließlich Sie oder besteht die Möglichkeit, Aufgaben zu delegieren?


Wie kam es überhaupt dazu, dass sich das BAG mit der Materie der Arbeitszeiterfassung befassen musste? Stark vereinfacht ist der Hintergrund ein Rechtstreit gewesen, in dem die Beteiligten darüber stritten, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zusteht. Im Wege dieser zu Grunde liegenden rechtlichen Beurteilung wurden im Wesentlichen sieben Orientierungssätze durch die Richter und Richterinnen des BAG herausgearbeitet. Diese Orientierungssätze geben auch die wichtigsten Eckpunkte für Sie als Arbeitgeber wieder und sollten so schnell wie nur möglich umgesetzt werden.


Was bedeutet das für Sie und die Ausgestaltung Ihrer Arbeitsvereinbarungen?


I. Arbeitszeiterfassung


Beginnen wir mit einem der für Sie wohl wichtigsten Orientierungssätze des BAG. Dieser hat zum Inhalt, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen den Beginn, die Dauer und das Ende der Arbeitszeit zu erfassen haben, sowie die Überstunden und die Pausenzeiten. 

Es besteht folglich eine Pflicht zur tatsächlichen Arbeitszeiterfassung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Neu ist, dass nach diesem Orientierungssatz ein schlichter Dienst- oder Schichtplan nicht mehr ausreichend sein wird. Denn aus den Entscheidungsgründen geht hervor, dass die Arbeitszeitdaten nicht nur erhoben werden sollen. Vielmehr sollen die Daten so erfasst und aufgezeichnet werden, dass eine Kontrolle durch Behörden möglich ist. Wichtig ist auch, dass es nicht ausreichend sein wird, wenn Sie Ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ein Zeiterfassungssystem lediglich anbieten und es freigestellt wird, ob dieses System genutzt wird oder nicht. Eine diesbezügliche Kontrolle wird wohl von Nöten sein.


Interessant könnte jedoch an dieser Stelle für Sie als Arbeitgeber sein, dass aus den Entscheidungsgründen die Möglichkeit hervorgeht, dass das Aufzeichnen der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen delegiert werden kann. Dies könnte zum Beispiel durch eine Richtlinie oder Betriebsvereinbarung erfolgen, in welcher verbindlich festgehalten wird, wie mit der Zeiterfassung verfahren wird und zugleich die Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen zur ordnungsgemäßen Nutzung eines Systems zur Zeiterfassung verpflichtet werden.

II. Form


Je nachdem wie Sie es als Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin handhaben, kommen gute oder eher unbefriedigende Nachrichten hinzu. In der Form des Systems sind Sie zunächst erstmal frei. Dies ergibt sich aus einem weiteren Orientierungssatz. Das bedeutet, solange der Gesetzgeber keine konkretisierenden Regelungen zur Form des Systems vorgibt, haben Sie freie Hand. 


Was bedeutet das für Sie?


Es ist Ihnen überlassen, ob die Zeiterfassung elektronisch erfolgt oder in Papierform. Das kann je nach Tätigkeit bzw. dem jeweiligen Unternehmen variieren.


Durch diesen Orientierungssatz richten sich die Richterinnen und Richter des BAG nicht an Sie als Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin, sondern an den Gesetzgeber dem es nun obliegt genauere gesetzliche Vorgaben zu schaffen. Wenn Sie in diesem Thema schon informiert sind und den Verlauf durchaus aktiv verfolgt haben, dann wissen Sie, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigt hat, zunächst auf die Begründung des BAG warten zu wollen. Das bedeutet für Sie, dass Sie leider weiterhin zur Geduld angehalten sind. Denn es gibt leider nach mehr als drei Jahren nach dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) weiterhin keine konkrete Regelung zur Art und Weise der Zeiterfassung durch den Gesetzgeber. Sie müssen sich also leider mit den Vorgaben des BAG zufriedengeben.


III. Vertrauensarbeitszeit


Vielleicht sind Ihnen beim Lesen des Artikels schon weiterführende Fragen aufgekommen, zum Beispiel was der Beschluss für die Vertrauensarbeitszeit bedeutet. Im Hinblick auf diesen Bereich treten keine tiefgreifenden Änderungen ein. Falls Sie sich jetzt fragen, was Vertrauensarbeitszeit meint, hier eine kurze Erläuterung: 

Darunter ist zu verstehen, dass Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen den Beginn und das Ende ihrer täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen können und der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin im Gegenzug auf Kontrollen verzichtet, um zu überprüfen, ob die Arbeitszeiten auch tatsächlich eingehalten werden. 

Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass nach wie vor die gesetzlichen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten sind (Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten sowie das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot).


Folglich bleibt die Möglichkeit der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmerinnen bestehen selbst entscheiden zu können, wann sie arbeiten möchten und sich daraus resultierend ihre Arbeitszeit frei einteilen können.


Neu ist, dass Sie als Arbeitgeber bzw. als Arbeitgeberin nicht mehr auf jegliche Dokumentation verzichten können. Wie zu Beginn dargestellt, geht aus den Orientierungssätzen hervor, dass Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Pausenzeiten und Überstunden erfasst werden müssen. Daraus ergibt sich, dass somit auch die Dauer der Arbeitszeit erfasst wird. Eine Möglichkeit der Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen die Arbeitszeit nicht zu erfassen, wird somit nicht mehr bestehen.

IV. Leitende Angestellte


Sofern Sie sich schon genauer mit dem Arbeitszeitgesetz befasst haben, wird Ihnen vermutlich aufgefallen sein, dass dieses nicht anwendbar für echte leitende Angestellte ist. Sofern Sie sich jetzt fragen, was „echte“ leitende Angestellte sind, hier eine kurze - keinesfalls abschließende - Erklärung. Zu Ihnen zählen nur die wenigsten Arbeitnehmenden, da die Anforderungen ziemlich hoch sind. In der Regel sind damit insbesondere Führungskräfte gemeint, die zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen berechtigt sind oder eine nicht unbedeutende Prokura haben.


Entsprechend der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) sind weitere Ausnahmen für Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen, deren Arbeitszeit aufgrund besonderer Merkmale der Tätigkeit nicht bemessen und/ oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmenden selbst bestimmt werden kann, möglich. Auch hier hat der Gesetzgeber bis dato noch keine konkreten Regelungen getroffen.


V. Pflicht zur Zeiterfassung ist Arbeitsschutz


Dieser Orientierungssatz ergibt sich aus dem streitigen Sachverhalt – zur Erinnerung, der Betriebsrat wollte bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems mitbestimmen. Dieses Mitbestimmungsrecht greift jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin schon gesetzlich zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet ist. Diese gesetzliche Verpflichtung ergibt sich nach Auffassung des BAG aus dem Arbeitsschutzgesetz. Denn aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Mitgliedstaaten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen dazu verpflichten müssen ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Zeiterfassung einzurichten, sei § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG so auszulegen, dass der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin die gesamte tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen erfassen muss.


VI. Kein Initiativrecht


Weiter stellt der Beschluss des BAG klar, dass der Betriebsrat die Einführung eines (elektronischen) Zeiterfassungssystems nicht verlangen kann. Sollten die Vorgaben aus dem Beschluss des BAG durch den Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin nicht umgesetzt werden, hat der Betriebsrat grundsätzlich keine Möglichkeit gerichtlich die Zeiterfassung durchzusetzen.

Ganz ausgeschlossen ist der Betriebsrat jedoch nicht. Bei der konkreten Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems kann er involviert werden, ihm kommt folglich ein Gestaltungsspielraum zu.

VII. Verstoß gegen Erfassungspflicht


Wie das BAG herausgearbeitet hat, besteht für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin eine objektive gesetzliche Handlungspflicht ein Zeiterfassungssystem einzurichten. Die Arbeitszeiten müssen also ab sofort erfasst werden. Ein Ausruhen auf den nicht vorhandenen gesetzlichen Regelungen ist also nicht empfehlenswert. Allerdings ist auch kein vorschnelles Handeln von Nöten, denn ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz ist nicht unmittelbar bußgeldbewährt und stellt zunächst keine Ordnungswidrigkeit dar. Damit durch die Behörde ein Bußgeld gegenüber Ihnen verhängen kann, müsste diese zunächst angeordnet haben, dass eine Zeiterfassung im Betrieb erfolgen soll. Erst danach, wenn dieser Anordnung zuwidergehandelt wird, kann ein Bußgeld verhängt werden.

VIII. Fazit


Was bedeutet das jetzt konkret für Sie und sind gegebenenfalls schon Neuerungen in Kraft getreten?


Wie bereits dargestellt, besteht eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung. Deshalb sollten Sie nicht auf konkrete Regelungen durch den Gesetzesgeber warten, sondern selbst proaktiv sich mit dieser Verpflichtung auseinandersetzen und entsprechend der Orientierungssätze des BAG handeln. Auch in Anbetracht der Zeitintensität, die mit einer Implementierung eines elektronischen Zeiterfassungssystems verbunden ist, sowie die Auseinandersetzungen und Abstimmungen mit einem ggfs. vorhandenen Betriebsrat, ist ein alsbaldiges Handeln empfehlenswert.

LINDEMANN Rechtsanwälte

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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