Arzthaftung: Fehlerhafte Behandlung unter der Geburt führt zu Tod des Kindes

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Landgericht Nürnberg-Fürth, 4 O 1742/16

Fehlerhafte Behandlung unter der Geburt führt zu Tod eines Kindes

Chronologie:

Die Kläger nahmen die Beklagte auf Ersatz der immateriellen und materiellen Schäden in Anspruch, die ihnen in Folge der fehlerhaften Behandlung ihrer verstorbenen Tochter entstanden sind.

Die Klägerin zu Ziff. 2. bemerkte in der 37 + 1 SSW einen Blasensprung. Zunächst wartete sie eine regelmäßige Wehentätigkeit ab und fuhr dann gegen 3:30 Uhr zusammen mit ihrer Mutter im Hause der Beklagten vor. Dort wurde sie zunächst an ein CTG angeschlossen. Weitere 45 Minuten später kam die diensthabende Ärztin und untersuchte die Klägerin zu Ziff. 2. gynäkologisch und stellte den Blasensprung fest. Um 10 Uhr stellten sich starke Wehen ein, weshalb die Klägerin zu Ziff. 2. gegen 10:45 Uhr in den Kreissaal gebracht wurde. Es wurde erneut ein CTG gemacht. Am späten Nachmittag bekam die Klägerin zu Ziff. 2. eine Infusion, um eine stärkere Wehentätigkeit zu entwickeln.

Gegen 18 Uhr war der Muttermund 6 cm geöffnet und die Klägerin zu Ziff. 2. im Kreissaal allein gelassen. Daraufhin wurden die Schmerzen der Klägerin zu Ziff. 2. so stark, dass sie nach Hilfe rief. Circa 15-20 Minuten später erschien die Hebamme Lichtenberger im Kreissaal. Die Bitte der Klägerin zu Ziff. 2. den Muttermund zu überprüfen, ignorierte diese und ließ die Klägerin zu Ziff. 2. wieder im Kreissaal allein. Daraufhin kam zufällig eine Hebamme kurz in den Kreissaal. Auch diese wurde von der Klägerin zu Ziff. 2. gebeten, den Muttermund zu überprüfen, jedoch wurde die Klägerin zu Ziff. 2. abermals ignoriert. Erst gegen 19:30 Uhr kam erneut eine Hebamme. Diese stellte fest, dass der Muttermund 10 cm geöffnet war, die Fruchtblase entleerte sich schwallartig.

Die Hebamme stand daneben und gab der Klägerin zu Ziff. 2. die Anweisung zu pressen. Der Pressvorgang dauerte mehrere Stunden. Erst um circa 21 Uhr war das Köpfchen leicht sichtbar. Dennoch ging die Geburt nicht voran, sondern stockte weiterhin. Schließlich kam eine Ärztin kurz in den Kreissaal und ging wieder. Erst kurz vor der Geburt um ca. 21:30 Uhr blieb die diensthabende Ärztin Kreissaal. Diese setzte ihre Hand auf den Bauch der Klägerin zu Ziff. 2. und drückte massiv zunächst auf den Unterbauch der Klägerin zu Ziff. 2. Schließlich war der Kopf des Kindes geboren. Die Nabelschnur war um die Schulter gewickelt und die Schulter klemmte fest. Die diensthabende Ärztin und die Hebamme fragten sich gegenseitig, was sie nun machen sollten.

Zunächst zogen sie die Beine der Klägerin zu Ziff. 2. rund zwei bis drei Mal nach oben und nach unten. Daraufhin zog die Hebamme am Kopf und der Schulter des Kindes. Weitere 5-6 Minuten später wurde das Kind schließlich vollständig geboren. Der Körper des Kindes war schlaff, bläulich verfärbt und regungslos. Auch schrie das Kind nicht. Um 01:33 Uhr das Neugeborene in das Klinikum Nürnberg auf die Intensivstation verlegt. Dort musste der Säugling intubiert und reanimiert werden und verstarb schließlich an den Folgen des Sauerstoffmangels unter der Geburt.

Der Beklagten wurde ein grober Behandlungsfehler vorgeworfen, da über einen Zeitraum von mehreren Stunden die gebotene adäquate Überwachung durch qualifizierte geburtshilfliche Mitarbeiter/Innen (Ärzte, Hebammen) nicht geregelt war. Bei diesem Versäumnis handelt es sich um einen Verstoß gegen die in einer Fachklinik einzuhaltende Sorgfaltspflicht.

Ferner wurde vorgeworfen, dass auf eine Sectio verzichtet worden ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Geburtsverlauf unter auffälligem CTG ins Stocken geriet.

Insgesamt lagen mehrere Faktoren vor, die – zumindest in der Gesamtbetrachtung – die Annahme eines komplikationslosen Geburtsverlaufs nicht mehr rechtfertigten und die Indikation einer Sectio gaben. Spätestens als der Geburtsverlauf gegen 18:30 Uhr ins Stocken geriet, wäre eine Sectio relativ indiziert gewesen.

Insoweit wird auf das Urteil des GBH vom 17.05.2011, Az.: VI ZR 69/10 verwiesen. In dieser Entscheidung wurde vom BGH festgehalten, dass bei Vorliegen einer relativen Indikation für eine Schnittentbindung eine Pflicht zur Aufklärung der Mutter über die Schnittentbindung besteht. In diesem Urteil heißt es:

„Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die jeweils zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt zwar in einer normalen Entbindungssituation, bei der die Möglichkeit einer Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen.

Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstruktion und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Risiken für die Mutter oder das Kind entstehen, weil die Mutter die natürliche Sachwalterin der Belange auch des Kindes ist.“ Weiter heißt es in dieser Entscheidung: „das Recht der Mutter muss möglichst umfassend gewährleistet werden“.

Verfahren vor dem Landgericht:

Außergerichtich erfolgte keine Haftungsanerkennung, weshalb eine Klage beim Landgericht Nürnberg-Fürth eingereicht wurde. Daraufhin zeigte sich die Beklagte vergleichsbereit. Die Parteien einigten sich auf einen Gesamtabfindungsbetrag in Höhe von 50.000,00 € zzgl. außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.


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