Ausgewählte bankrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Liquiditätsbeschaffung

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In Zeiten des infolge der Corona-Pandemie ausgelösten temporären staatlich verordneten wirtschaftlichen Lockdowns und damit einhergehender Liquiditätsprobleme und Zukunftsängste versuchen viele Unternehmen und Privatpersonen, so schnell wie möglich an Liquidität zu gelangen.

Hierfür wird häufig “jeder Stein umgedreht”. Immobilien, inklusive Eigentumswohnungen werden zum Verkauf angeboten, Kapitallebensversicherungen werden widerrufen, Aktien und andere Wertpapiere werden veräußert, ausstehende Schulden werden eingefordert, nicht dringend benötigte Zweitfahrzeuge werden veräußert, Investitionen werden aufgeschoben, nicht dringend benötigte Dauerschuldverhältnisse werden beendet etc.

Auf dem ersten Blick klingt dies nach einer guten “Überlebensstrategie” in diesen unsicheren Zeiten. Jedoch zeigen sich häufig auf dem zweiten Blick “Fallstricke” oder zumindest notwendiger Weise zu beachtende erhebliche juristische Aspekte. Dies soll im Folgenden anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt werden.

Vorfälligkeitsentschädigung nicht vorbehaltlos leisten und dessen Höhe überprüfen lassen

Wenn beispielsweise eine kreditfinanzierte Immobilie veräußert werden soll, so ist an die darlehensgebende Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung zu leisten, denn die Bank verlangt so gestellt zu werden als wäre der Kredit über die gesamte ursprünglich vorgesehene Dauer bedient worden, also inklusive Leistung von Zinszahlungen bis zum vorgesehenen Kreditvertragsende. Mit der Vorfälligkeitsentschädigung wird die Bank in etwa in Höhe der ausstehenden Zinszahlungen per Einmalsumme und zwar vor der ursprünglich vorgesehenen Fälligkeit entschädigt. Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gibt es verschiedene Methoden (Aktiv-Aktiv-Methode einerseits und die Aktiv-Passiv-Methode andererseits) und den Banken wird häufig vorgeworfen, die für sie günstigere Methode zu Lasten des Kreditnehmers anzuwenden. Eine anwaltliche Überprüfung, ggf. in Zusammenarbeit mit einem Kreditsachverständigen ist häufig geboten. Zudem sollte die Vorfälligkeitsentschädigung im Zweifel immer unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet werden. Andernfalls kann die Bank die Zahlung der ggf. überhöhten Vorfälligkeitsentschädigung als vorbehaltlos und endgültig verbuchen. 

Sondertilgungsrechte mindern Vorfälligkeitsentschädigung mitunter erheblich 

Kündigt ein Kunde den Darlehensvertrag vorzeitig, muss er aber nicht die volle Vorfälligkeitsentschädigung an die Bank zahlen, wenn er in dem Kreditvertrag Sondertilgungsrechte vereinbart hat, entschied der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 19.01.2016, Az. XI ZR 388/14). Hierauf ist die Bank zwingend hinzuweisen noch bevor diese die Vorfälligkeitsentschädigung berechnet. Der Bundesgerichtshof entschied hier Verbraucher freundlich, indem er grundsätzlich annimmt, Sondertilgungsrechte wären bei normaler Vertragsdurchführung (bis zum Ende) in voller Höhe ausgeübt worden.   

EuGH: alle ab Juni 2010 geschlossenen Verbraucherkredite und Leasingverträge heute noch widerruflich

Mit Urteil vom 26. März 2020, Az. C-66/19, zum Widerrufsrecht entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass fast alle Verbraucherkredite und Leasingverträge, die ab Juni 2010 geschlossen wurden, auch heute noch widerruflich sind. Zuvor galt Folgendes: Hat eine Bank die Musterwiderrufsinformation verwendet, gab es eine “Gesetzlichkeitsfiktion”, wonach die Rechtmäßigkeit der Widerrufsbelehrung angenommen wurde, wenn die gesetzlich empfohlene Musterwiderrufsinformation verwendet wurde. Da diese Fiktion nun gekippt wurde, ist bei ab Juni 2010 geschlossenen Verbraucherkrediten unter anderem in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Widerrufsbelehrung den Verbraucher wegen mangelnder eindeutiger Nachvollziehbarkeit bezüglich seiner mit einem Widerruf verbundenen Rechte benachteiligt und ob die erforderlichen Pflichtangaben bei der vorvertraglichen Information (Europäisches Merkblatt) und im Verbraucherdarlehensvertrag enthalten sind. Wenn dem nicht so ist, dann sind solche Verträge auch heute noch widerruflich. Auch hier lohnt es sich regelmäßig, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen zwecks Prüfung der Widerruflichkeit solcher Verträge. 

 Zur Widerruflichkeit von kapitalbildenden Lebensversicherungen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 29.07.2015 (Az. IV ZR 384/14) entschieden, dass Versicherungsnehmern von Kapitallebensversicherungen auch noch nach Jahren nach Abschluss des Vertrages ein Widerrufsrecht zustehen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Eine Verwirkung des Widerrufsrechts komme bei Lebens- und Rentenversicherungen nicht in Betracht, da die Versicherung die Situation selbst herbeigeführt hat und daher nicht schutzwürdig sei. Wenn widerrufen wird, findet eine komplette Rückabwicklung der Versicherung statt, sodass die gesamten eingezahlten Beiträge zuzüglich einer Nutzungsentschädigung an den Versicherungsnehmer zu zahlen sind. Bei einer Kündigung erhält man dagegen lediglich den Rückkaufswert zurück, was oft deutlich weniger ist, als über die Jahre eingezahlt wurde. Einen Anspruch auf „Entschädigung“ entsteht deshalb, da die Versicherung mit den entsprechenden Beiträgen wirtschaften und Gewinne erzielen konnte. Nach Kündigung einer Lebensversicherung ist der Widerruf immer noch möglich. Dies wird oft verkannt und deshalb als Option zu Unrecht gar nicht in Betracht gezogen. Denn durch die Kündigung löst sich das Vertragsverhältnis nicht vollständig auf, sondern dieses wird viel mehr in einen Aufhebungsvertrag umgewandelt und besteht demnach in abgewandelter Weise fort. Dies gilt natürlich auch für das darin enthaltene Widerrufsrecht, so dass auch eine bereits gekündigte Lebensversicherung im Nachhinein noch widerrufen werden kann. Da Versicherungsnehmer häufig mehr nach einem Widerruf als nach einer Kündigung zurückerhalten, bietet dies eine attraktive Alternative.

Zum Schluss

Da in bankrechtlichen Fragestellungen auch im Zusammenhang mit Liquiditätsbeschaffungsmaßnahmen viele Fallstricke drohen, empfiehlt sich regelmäßig eine anwaltliche Vorprüfung. Die hierfür aufzuwendenden Kosten können sich am Ende deutlich bezahlt machen.  



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