BAG: Beginn des Kündigungsverbots bei Schwangeren

  • 3 Minuten Lesezeit

Was Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber wissen sollten: 

Das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs.1 S.1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin.

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.11.2022 – 2 AZR 11/22)


Der Fall:

Mit Schreiben vom 06.11.2020 kündigte die Arbeitgeberin - vor Ablauf der Wartezeit von sechs Monaten hinsichtlich des allgemeinen Kündigungsschutzes - den am 15.10.2020 geschlossenen Arbeitsvertrag fristgerecht, wogegen die Arbeitnehmerin am 12.11.2020 Kündigungsschutzklage erhob. Nachdem die Klägerin spätestens am 02.12.2020 ihren Prozessbevollmächtigten informierte, wurde der Arbeitgeberin im Prozess schriftsätzlich unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung am 07.12.2020 die Schwangerschaft mitgeteilt.

Sowohl durch das Arbeitsgericht (ArbG Heilbronn, Urteil vom 15.04.2021 – 8 Ca 327/20) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.12.2021 – 4 Sa 32/21) hatten die Kündigungsschutzklage erst- und zweitinstanzlich zurückgewiesen, weil - in Abweichung zur ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - im Wege der Rückrechnung unter Ansatz von 266 Tagen zum voraussichtlichen Geburtstermin von einer Schwangerschaft auszugehen sei und deshalb ein Sonderkündigungsschutz nicht greife. Das LAG war u.a. der Ansicht, eine Rückrechnung unter Berücksichtigung von "280 Tage führt zu Ergebnissen, die mit typischen Schwangerschaftsverläufen nicht in Deckung zu bringen sind".

Die von der Klägerin eingelegte Revision zum BAG hatte jedoch Erfolg: der Rechtsstreit wurde zur neuerlichen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das die Rechtsansicht des Revisionsgerichts gemäß § 563 Abs.2 ZPO zu berücksichtigen hat.


Die Entscheidung:

Maßgeblich ist für den Beginn des Sonderkündigungsschutzes der Zeitraum von 280 Tagen. Dem Arbeitgeber ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung Mitteilung von der Schwangerschaft zu machen. Wird diese Frist überschritten, kann die Mitteilung unverzüglich nachgeholt werden, wenn die Fristüberschreitung nicht zu vertreten ist. Zu vertreten ist die verspätete Mitteilung nach ständiger Rechtsprechung des BAG nur dann, wenn der Arbeitnehmerin die Schwangerschaft positiv bekannt ist oder ihr, auch ohne positive Kenntnisse, so eindeutige Hinweise auf eine Schwangerschaft vorliegen, dass eine Schwangerschaft als überwiegend wahrscheinlich erscheint. Es muss ein "gröblicher Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten" vorliegen. Eine unverzügliche Nachholung der Schwangerschaftsmitteilung liegt nach Ansicht des BAG nicht vor, wenn die Arbeitnehmerin sich nicht alsbald nach Kenntniserlangung – also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs.1 S.1 BGB) – an ihren Arbeitgeber oder Prozessbevollmächtigten wendet oder wenn sie hinsichtlich des Boten/Vertreters ein Auswahlverschulden trifft.

Klargestellt hat das BAG in diesem Zusammenhang nochmals, dass es nicht darauf ankommt, dass - wie vorliegend - die Arbeitnehmerin die Information ihrer Schwangerschaft erst im Rahmen eines bereits anhängigen Rechtsstreites erteile. Solche Verzögerungen seien ihr bei der Zustellung nicht zuzurechnen, sie hafte auch nicht für etwaige Versäumnisse eines beauftragten Boten. Die Information an den Rechtsanwalt, immerhin sechs Tage nach der ärztlichen Feststellung einer Schwangerschaft, gelte noch als unverzüglich. Auch die Verzögerung von elf Tagen zwischen der Mitteilung durch den Anwalt (bzw. das Arbeitsgericht) und Kenntnis des Arbeitgebers könne der Klägerin nicht zugerechnet werden. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es bei der Schwangerschaftsmitteilung keine Zurechnung des Verschuldens Dritter gemäß § 278 BGB oder des § 85 Abs.2 ZPO gibt .

Damit hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Berechnung des Beginns einer Schwangerschaft nochmals bestätigt und gleichzeitig die Gelegenheit wahrgenommen, dem Berufungsgericht ins Stammbuch zu schreiben, welchen überragenden Stellenwert der Schutz schwangerer Frauen vor Kündigungen besitzt. Damit erscheint die Diskussion über die für die Rückrechnung zu Grunde zulegende Schwangerschaftsdauer beendet.


Ihr

Tibor E. Jakab

Rechtsanwalt | Fachanwalt für Arbeitsrecht

www.jakab-recht.de


#Schwangerschaft #Kündigung #Kündigungsschutz #Fachanwalt #Arbeitsrecht #München

Foto(s): Doedel, istock-Foto-ID: 1205069226

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Tibor E. Jakab

Beiträge zum Thema