Befangenheitsanträge vor dem EGMR

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Die Unabhängigkeit und Unbefangenheit eines Gerichts sind zentrale Aspekte eines fairen Verfahrens. Wenn der Richter von vornherein zeigt, auf wessen Seite er steht, muss der andere Beteiligte davon ausgehen, dass er ohnehin keine Chance hat. Um eine Auswechslung eines solchen Richters zu ermöglichen, kennen die Prozessordnungen die Möglichkeit der Richterablehnung im Rahmen eines Befangenheitsantrags.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kennt diese Prinzipien und prüft ihre Einhaltung im Rahmen einer Menschenrechtsbeschwerde nach. Dies geschieht im Rahmen des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der ein faires Verfahren garantiert.

Hier geht es also um die Überprüfung von Befangenheitsanträgen vor den nationalen Instanzgerichten durch den EGMR, nicht um die Befangenheit von Richtern des EGMR


Subjektiv-subjektiv-objektive Prüfung

Bei der Frage, ob Befangenheit vorliegen könnte, wird ein subjektiv-subjektiv-objektiver Maßstab herangezogen. Befangenheit ist eine subjektive Einstellung des Richters zu dem von ihm zu entscheidenden Verfahren. Es kommt nicht darauf an, ob der Richter nachweislich befangen ist. Vielmehr ist auf die subjektive Sichtweise des Beteiligten abzustellen. Dies bedeutet aber nicht, dass jede Mutmaßung und jeder Zweifel gleich zu einem Austausch des Richters führen muss. Vielmehr muss diese Ansicht des Beteiligten auch gewisse objektive Anknüpfungspunkte besitzen. Berechtigte Zweifel an seiner Neutralität muss der Richter ausräumen. (EGMR, Fall Nr. 2207/03)


Vorbefassung reicht nicht immer

Hat ein Richter in dem Verfahren bereits andere Entscheidungen getroffen (z.B. als Ermittlungsrichter oder gegen einen Mitbeschuldigten) oder hat er ähnliche Verfahren schon verhandelt, bedeutet das alleine noch keine Befangenheit. Anders kann es dagegen sein, wenn im früheren Verfahren bereits rechtliche Feststellungen getroffen wurden, die für das neue Verfahren relevant sein. (EGMR, Fall Nr. 1707/05)


Nationales Prozessrecht zu beachten

Die Einhaltung nationalen Recht berücksichtigt der EGMR normalerweise nicht, sondern er legt lediglich die Europäische Menschenrechtskonvention aus. Ergibt sich aber aus dem Verstoß eines Gerichts gegen eine Vorschrift des nationalen (Prozess-) Rechts gerade ein Zweifel an dessen Unparteilichkeit, kann dies auch zur Begründung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK herangezogen werden. (EGMR, Fall Nr. 71615/01) Dies gilt umso eher, je mehr die Vorschrift dazu da ist, ein faires Verfahren sicherzustellen.


Staat muss Befangenheit ermitteln

Nachvollziehbare Zweifel an der Neutralität eines Richters begründen die Pflicht des Staates, dies weiter zu ermitteln (EGMR, Fall Nr. 17070/05). Erster Schritt dahingehend ist regelmäßig die Anforderung einer dienstlichen Stellungnahme durch den abgelehnten Richter.

Der prozessbeteiligte Bürger ist aber verpflichtet, den Befangenheitsantrag so zu stellen, dass er für das zuständige Gericht auch nachvollziehbar ist und dieses daraus die Befangenheit selbst prüfen kann. Insbesondere müssen die Umstände und Handlungen des Richters dargelegt werden, aus denen sich die Befangenheit ergeben soll (EGMR, Fall Nr. 1128/17).

Die Abweisung eines Befangenheitsantrags darf nicht in willlkürlicher Weise geschehen (EGMR, Fall Nr. 62936/00).


Rechtsmissbrauch nur in engen Grenzen

Wegen Rechtsmissbräuchlichkeit darf ein Befangenheitsantrag nur dann abgelehnt werden, wenn er offensichtlich keine Befangenheit rügt. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Antrag lediglich die rechtliche Bewertung des Gerichts angreift, ausschließlich beleidigenden Charakter hat oder bereits mehrfach in identischer oder ähnlicher Form gestellt wurde.

Ein rechtsmissbräuchlicher Befangenheitsantrag kann in einem vereinfachten Verfahren abgelehnt werden und muss in Ausnahmefällen gar nicht mehr behandelt werden.


Nachprüfung kann erfolgversprechend sein

Angesichts der Rechtsprechung des EGMR ist die Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen über Befangenheitsanträge zumindest überlegenswert. Die Erfolgschancen hängen aber weitgehend von der Begründung der Beschwerde ab. Zudem müssen alle prozessualen Möglichkeiten im normalen Verfahren genutzt sowie eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Daher ist eine frühzeitige professionelle Planung wichtig.

Rechtsanwalt Thomas Hummel hilft Ihnen bei der Menschenrechtsbeschwerde und kann auch im vorherigen Instanzverfahren Impulse geben.







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