Beratungspflichten von Versicherungsmaklern und Versicherungsvertretern

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In welchem Umfang der Vermittler produktbezogene Beratung betreiben und über die Beschaffenheit der von ihm vermittelten Versicherung informieren muss, richtet sich zunächst nach Art, Umfang und Komplexität des konkreten Produkts (Standardvertrag oder individueller Zuschnitt?) sowie nach Person und Situation des Versicherungsnehmers. Je höher der Informationsstand des Versicherungsnehmers, desto weniger ausgeprägt ist die Beratungspflicht des Vermittlers. Schließlich soll auch das Verhältnis von Beratungsaufwand und Prämie zu berücksichtigen sein. Hinter den Formulierungen des Gesetzgebers § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG verbirgt sich offensichtlich ein bewegliches System, d.h. ein Zusammenspiel aufeinander bezogener Regelungselemente, die eine bestimmte Rechtsfolge auslösen können. Dabei setzt der Eintritt dieser Rechtsfolge nicht voraus, dass stets alle oder bestimmte Elemente zusammentreffen; vielmehr können sie sich in wechselnder Intensität der Gestalt miteinander verbinden, dass im Einzelfall die geringe oder sogar fehlende Ausprägung des einen Elements durch ein verstärktes Auftreten eines oder mehrerer anderer Elemente kompensiert wird. Eine Beratungspflicht besteht daher nicht etwa nur dann, wenn ein unbedarfter Versicherungsnehmer einen komplizierten Versicherungsvertrag mit hohen Versicherungsprämien abschließen will. Vielmehr kann sich auch bei Versicherungen mit niedrigen Prämien aufgrund der beiden anderen Faktoren ein höherer Beratungsaufwand ergeben. Tritt also ein intensives Beratungsbedürfnis in der Person des VN zutage, wird eine Beratungspflicht auch dann ausgelöst, wenn es sich um ein relativ überschaubares Produkt handelt und das Prämienaufkommen gering ist. Andererseits kann der Abschluss einer Versicherung trotz geringer Prämienerhöhung und überschaubarer persönliche Situation des Versicherungsnehmers beratungspflichtig machen, wenn es sich um eine Versicherung von existentieller Bedeutung, wie etwa der Haftpflichtversicherung, handelt. Das Zusammenspiel der einzelnen Tatbestandselemente - also die Funktionsweise des beweglichen Systems im konkreten Zusammenhang - muss von der Rechtsprechung noch näher bestimmt werden. Dabei kann sie auf die bislang schon entwickelten Regelungen zur produktebezogenen des Versicherungsnehmers zurückgreifen.

Anders als das Verhältnis von Versicherungsnehmer und Makler ist dasjenige zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer und dessen Versicherungsvertreter durch einen Interessengegensatz gekennzeichnet, der stets zwischen dem Anbieter und dem potentiellen Abnehmer eines Produkts besteht und der nur begrenzt durch Statuierung von Beratungspflichten der einen Seite eingeebnet werden darf. Dementsprechend bestand bis zur VVG-Reform Einigkeit darüber, dass der VN grundsätzlich seinen Beratungsbedarf selbst ermitteln und das zu versichernde Risiko selbst abschätzen muss. Eine bedarfsbezogene Beratung durch den Versicherer bzw. dessen Vertreter fand jedoch statt, wenn sich im Zuge der Vermittlung Anhaltspunkte für einen gesteigerten Beratungsbedarf des Kunden ergaben.

Da die bisherige Rechtsprechung jetzt in § 61 Abs. 1 VVG kodifiziert werden soll, kann man davon ausgehen, dass der Versicherungsnehmer auch nach geltendem Recht seinen Versicherungsbedarf im Ausgangspunkt regelmäßig selbst feststellen muss. Wünscht der Versicherungsnehmer insbesondere von vornherein nur einen Vertrag über ein ganz bestimmtes Versicherungsprodukt abzuschließen, wird der Vertreter in der Regel nicht zu einer näherer Bedarfsermittlung verpflichtet seien.

Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Versicherungsnehmer den Vertreter um Hilfe bei der Feststellung des Versicherungsbedarfs bittet bzw. diese Aufgabe sogar dem Versicherungsvertreter überlässt. Geht dieser darauf ein, muss er das zu versichernde Risiko umfassend aufnehmen.

Der Vertreter muss offensichtliche Fehlvorstellungen des Versicherungsnehmers über seinen eigenen Versicherungsbedarf richtig stellen. Der Versicherungsnehmer als Kunde kann dies nach Treu und Glauben angesichts der fachlichen Kompetenz des Vertreters erwarten.

Die Schwierigkeit des Produkts oder die persönliche Situation des Versicherungsnehmers bieten darüber hinaus insbesondere dann Anlass für eine Bedarfsermittlung durch den Vertreter, wenn andernfalls das konkret nachgefragte oder angebotene Produkt aufgrund einer Fehleinschätzung des Versicherungsnehmers den Vertragszweck - Deckung eines bestimmten Lebensrisikos in einer bestimmten Lebenssituation - für den Vertreter erkennbar verfehlen würde.

Erkennbar ist der vom Versicherungsnehmer verfolgte Zweck insbesondere dann, wenn dieser dem Vertreter seine Vorstellungen, seine persönlichen Situation und seinen Bedarf ausdrücklich näher erläutert. Will der Kunde sofortigen Deckungsschutz haben, muss der Vertreter darauf hinweisen, dass durch die Entgegennahme des Antrags allein kein Versicherungsschutz besteht. Betont der Kunde z. B. sein Interesse an der Übernahme von Heilpraktikerkosten, muss der Vertreter ihn darüber aufklären, dass die Krankheitskostenversicherung derartige Kosten eventuell nicht vollständig erstattet.

Darüber hinaus kann im konkreten Fall das persönliche Risikoprofil des Versicherungsnehmers so deutlich hervortreten, dass der Vertreter auch einem, den eigenen Versicherungsbedarf bereits gar nicht erkennenden Versicherungsnehmer von sich aus die Augen öffnen muss, so etwa, wenn dem Vertreter z.B. anlässlich einer Begehung oder bei der Ausfüllung des Versicherungsantrags Umstände bekannt werden, die erfahrungsgemäß und auf einem bestimmten Versicherungsbedarf hindeuten. Daher muss etwa ein Vertreter vor Abschluss einer Kfz-Haftpflicht- oder Kaskoversicherung einen türkischen Versicherungsnehmer darauf hinweisen, dass der Versicherungsschutz für die asiatische Türkei nicht gilt. Einen deutschen Versicherungsnehmer, sofern dieser nicht erwähnt, dass er mit dem Kfz in absehbarer Zeit ins außereuropäische Ausland fahren will, muss er aber nicht Hinweis erteilen. Bei Abschluss einer Einbruchsdiebstahlversicherung für ein leer stehendes Hotel muss der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer auf die Gefahr- und Versicherbarkeit - von Vandalismusschäden aufmerksam machen. Wenn ein Unternehmer eine Feuersammelversicherung für seine Betriebsgebäude abschließen will und weiß der Vertreter, dass die Produktion noch nicht aufgenommen worden ist, muss er auf die Möglichkeit einer prämiengünstigeren Lagerversicherung hinweisen.

Der Vertreter kann selbst dann zu einer bedarfsbezogenen Beratung verpflichtet sein, wenn zwar keine individuellen Anhaltspunkte auf einen bestimmten Versicherungsbedarf hindeuten, der Versicherungsnehmer sich aber erkennbar in einer Risikosituation befindet, in der typischerweise ein solcher Bedarf besteht. Hier kann ein Hinweis auf bestimmte Risikoausschlüsse oder die Möglichkeit einer Vereinbarung von Zusatzklauseln, aber auch darauf erforderlich sein, dass ein anderes Produkt sinnvoller wäre (etwa Risiko -statt Kapitallebensversicherung, wenn der Versicherungsnehmer nicht Alterssicherung, sondern in erster Linie Absicherung der Familie beim Tode des in ihres Ernährers bezweckt). Im krassen Fällen kann die Beratungspflicht des Versicherungsvertreters ausnahmsweise sogar so weit gehen, dass er dem Versicherungsnehmer vom Abschluss einer bestimmten Versicherung abraten muss.

§ 61VVG definiert die Beratungs- und Dokumentationspflicht als eigene Verpflichtung des jeweiligen Vermittlers. Für den Makler ergeben sich diese Pflichten unmittelbar aus dem Maklervertrag; die Pflicht zur Beratung des Versicherungsnehmers stellt eine Hauptpflicht des Versicherungsmaklers dar.

Die entsprechenden Verpflichtungen des Versicherungsvertreters wurzeln dagegen in einem vorvertraglichen, d. h. gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Vermittler. Beratungsfehler werden in beiden Fällen mit einem eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Vermittler sanktioniert.

Für den Versicherungsvertreter ist diese eigene Haftung noch neu. Seine Beratungs- und Dokumentationspflicht deckt sich mit den Pflichten des Versicherers, sodass der Vertreter mit Erfüllung der ihm persönlich obliegenden Pflichten auch die seines Versicherers erfüllt (Gesamtschuldnerschaft).

Dagegen wird der Versicherer bei Einschaltung eines Maklers von seiner Beratungspflicht frei.

Während Versicherungsunternehmen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz nach § 6 Abs. 6 VVG wegen der dabei zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten von dem Beratungs-, Befragung- und Dokumentationspflicht des § 6 Abs. 1 VVG befreit ist, sieht § 61 VVG eine solche Erleichterung für den Vermittler nicht vor. Dadurch werden Versicherungsvermittler gegenüber Direktversicherern nachteilig.

(Quelle: Dörner in Prölss / Martin, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetzt, § 61 VVG, 28 Auflage, München 2010)


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