BGH: Auskunftsanspruch auch für durch anonyme Samenspende im Gebiet der DDR gezeugtes Kind möglich

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Der BGH hat mit Urt. v. 23.1.2019 – XII ZR 71/18 entschieden, dass entgegen der Feststellungen des LG Dresden als Berufungsgericht nicht bereits von einer Unzumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den behandelnden Arzt ausgegangen werden kann, erklärt:

1. Dem vor der deutschen Wiedervereinigung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugten Kind kann gegen die Reproduktionsklinik ein aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgender Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders zustehen. Dass unter Geltung des DDR-Rechts dem Samenspender wirksam Anonymität zugesichert werden konnte, steht dem nicht entgegen (Fortführung von Senatsurteil BGHZ 204, 54 = FamRZ 2015, 642).

2. Ob es der Reproduktionsklinik zumutbar ist, Auskunft über die Identität des Samenspenders zu erteilen, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunftserteilung berührten rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen, Belange zu klären. Dabei können auch die durch die ärztliche Schweigepflicht geschützten rechtlichen Belange des Samenspenders Berücksichtigung finden; gegenüber diesen wird der Rechtsposition des Kindes allerdings regelmäßig ein erhebliches Gewicht zukommen (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 204, 54 = FamRZ 2015, 642).

(BGH Urt. v. 23.1.2019 – XII ZR 71/18, BeckRS 2019, 1433, beck-online)

Zur Begründung hat der BGH im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte hervorgehoben: 

- Der Auskunftsanspruch des Kindes ist Ausfluss seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Er dient dazu, eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann. Denn das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sichern gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 I GG jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Zu den Elementen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung sein können, gehört die Kenntnis der eigenen Abstammung. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern. Deshalb wird dieser Rechtsposition regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen.

- Der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) des Reproduktionsmediziners kommt demgegenüber keine besondere Bedeutung zu, weil schon nicht ersichtlich ist, inwieweit durch die Auskunftspflicht dessen Berufsausübung spürbar eingeschränkt wird. Zu berücksichtigen ist zwar die ärztliche Schweigepflicht, deren Verletzung gemäß § 203 I Nr. 1 StGB zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. Jedoch sind auch hier die grundrechtlich geschützten Positionen abzuwägen.

- Soweit es auch für den Samenspender auf das dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) unterfallende Recht auf informationelle Selbstbestimmung an, gilt jedoch, dass er sich des Schutzes dieses Rechts mit seinem Einverständnis mit der Samenspende dieses Rechts begeben hat, wenn ihm nicht ausdrücklich Anonymität zugesichert wurde. Doch auch bei Anonymitätszusicherung kommt dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung regelmäßig ein höheres Gewicht zu. Der Samenspender hat sich bewusst mit einem maßgeblichen Beitrag an der Zeugung menschlichen Lebens beteiligt und trägt hierfür eine soziale und ethische Verantwortung. Dies ist zugunsten des Auskunftsanspruchs zu berücksichtigen.

- Die wirtschaftlichen Interessen des Samenspenders sind im Rahmen der Grundrechtsabwägung nicht maßgeblich.

- Dass nach der Rechtslage in der ehemaligen DDR – anders als in den seit dem Jahr 1985 für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer – der Arzt dem Samenspender Anonymität zusichern konnte, begründet kein anderes Abwägungsergebnis, denn sie lässt sich insoweit nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies aber steht einer Anwendung des DDR-Rechts entgegen. Dabei kommt auch dem Rückwirkungsverbot keine Bedeutung zu. Aus der unwirksamen Zusicherung der Anonymität können auch keine Schadensersatzansprüche des Samenspenders gegenüber dem behandelnden Arzt abgeleitet werden. 

Im Ergebnis bedeutet die Entscheidung für durch Samenspende gezeugte Menschen, dass diese auch dann einen Anspruch auf Bekanntgabe des Spenders durchsetzen können, wenn die Zeugung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen vom 17.7.2017 erfolgt ist. Als weitere Rechtsfolge kann die Vaterschaft des rechtlichen Vaters durch das Kind angefochten werden. § 1600d IV BGB steht jedoch der Feststellung der Vaterschaft des Samenspenders entgegen. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, es steht jedoch zu vermuten, dass sich die Anfechtung der Vaterschaft im Wesentlichen auf Fälle konzentrieren wird, in denen das Kind z. B. zur Meidung einer Inanspruchnahme auf Elternunterhalt Interesse daran hat, die rechtliche Vaterschaft zu beseitigen.


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