COVID-19, Ausgangssperren und -beschränkungen – Ist sowas derzeit überhaupt zulässig?

  • 3 Minuten Lesezeit

Land auf, Land ab wird darüber diskutiert, ob im Zuge der aktuellen Krise nicht Ausgangssperren das Mittel der Wahl zur Eindämmung des Virus wären. Bayern hat als erstes Bundesland Beschränkungen erlassen, andere Bundesländer werden wahrscheinlich folgen. Aber geht das juristisch überhaupt so einfach? Kann der Staat seinen Bürgern auferlegen, die eigene Wohnung nur unter strengen Auflagen zu verlassen? Eine Betrachtung der rechtlichen Situation.

Das Recht der Freizügigkeit (Art. 11 GG), die freie Entfaltung der Person (Art. 2 GG) und nicht zuletzt die Menschenwürde (Art. 1 GG) haben in Deutschland nicht umsonst hohen Stellenwert in unserer Verfassung. Ihre Einschränkung ist bedingt juristisch möglich, dies aber nur aufgrund eines Gesetzes. Man spricht insoweit vom sog. Gesetzesvorbehalt. 

Ein solches Gesetz gibt es jedoch m. E. (derzeit) nicht. Die zur Anordnung von Beschränkungen ausgesprochenen Allgemeinverfügungen der Städte und Gemeinden sind jedenfalls kein solches Gesetz, sondern Maßnahmen, die aufgrund eines entsprechenden Gesetzes verfügt werden. Eine. Allgemeinverfügung alleine ist nicht geeignet, den Gesetzesvorbehalt, bspw. des Art. 2 Abs. 2 und 3 GG, zu erfüllen. 

Als alleinige Rechtsgrundlage wird regelmäßig § 28 Abs. 1 Satz 2 und 3 IFSG herangezogen:

  • (...) Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. (...)

Auf den ersten Blick liest sich die Regelung grundsätzlich einschlägig. Bei genauerer Betrachtung indes kann man feststellen, dass die Norm eben gerade nicht für die Anordnung längerfristiger beschränkender Maßnahmen gedacht ist. Vielmehr soll sie die Möglichkeit kurzfristiger Sistierungen eröffnen, bspw. zu untersagen, dass jemand ein Schiff, ein Flugzeug oder eine sonstige Örtlichkeit verlassen darf, bis man entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen hat. Der Verweis auf die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ verdeutlicht, dass hier Sofortmaßnahmen und nicht generelle Beschränkungen für ein ganzes Land und (womöglich) über mehrere Wochen, also unbestimmte Zeit, gemeint sind. 

Derzeit fehlt es in Deutschland folglich an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage für die Anordnung von Ausgangssperren durch die Behörden. Andere Regelungen, auch in den Polizeigesetzen der Länder, gibt es für diesen Fall schlicht ebenso wenig.

Es ist daher nach der von hier vertretenen Rechtsauffassung rechtlich nicht möglich, Ausgangssperren und mithin grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, selbst im Hinblick auf das hoher Gut der Volksgesundheit, zu erlassen. Klagte jemand gegen eine solche Allgemeinverfügung, bestünde zumindest die Möglichkeit des Durchdringens vor dem Verwaltungsgericht.

Der Leser verstehe mich nicht falsch: Auch ich bin der Auffassung, dass im Hinblick auf die TV-Bilder von vollen Flussufern, Innenstädten und nicht zuletzt vom Atem des Hintermannes im Supermarkt im Nacken Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor diesem teuflischen Virus getroffen werden müssen. Ich wehre mich indes gegen die Anordnung von einschneidenden Maßnahmen unter donnerndem Applaus, ohne dass dieser Grundrechtseingriff gesetzlich legitimiert ist.

Der Bundestag soll kommende Woche kurzfristig zusammentreten. Es ist zu hoffen, dass dann, sei es durch ein spezielles „COVID-19-Gesetz“ oder eine eindeutige und nicht zu späteren Zeiten missbrauchsfähige Änderung des IFSG, die verfassungsrechtlich erforderliche Rechtsgrundlage für die zu erwartenden bzw. bereits verhängten Maßnahmen geschaffen wird.

Auch in Krisenzeiten sollte man immer bedenken, dass die allzu leichte, widerspruchslose Aufgabe von Grundrechten eine Gefahr in sich birgt, der es entgegenzutreten gilt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten