COVID-19 und die Ethik der Bundeswehr – Das Impfbuch und der Staatsfeind im Wehrrecht

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Ich bin Rechtsanwalt in Düsseldorf und soweit ich weiß, wohl der einzige Kollege, der sich der Soldaten annimmt, die sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht impfen lassen wollen. Ich selbst war langdienender Soldat und in meiner jetzigen Tätigkeit ist ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit, das Wehrstraf- und Wehrdisziplinarrecht. Was ich während der letzten knapp fünf Wochen gehört und erlebt habe, hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Bei mir melden sich Kameraden aller Dienstgrade. Bislang fehlen nur Generale und Gefreite. Von beiden gibt es aber auch nicht so viele.

Was die Damen und Herren berichten ist aberwitzig. Sowohl die Truppenärzte, deren Unterstützungspersonal, wie auch manche Disziplinarvorgesetze scheinen jedes Maß verloren zu haben. Bei allem Verständnis dafür, dass auch diese Kameraden ihrerseits von ihren Vorgesetzten hinsichtlich der Impfung drangsaliert werden, scheint es Vorgesetzte zu geben, die bei der Umsetzung ihrer Aufgaben ohne Notwendigkeit Anstand und Rechtsstaatlichkeit vermissen lassen. Diejenigen, die geschworen haben, das Recht zu verteidigen, lassen es teilweise zu einer Farce verkommen und bedienen sich auch bewusst rechtsstaatsfeindlicher Methoden. Ich habe Oberstabsfeldwebel und Hauptleute erlebt, die schluchzend und völlig verzweifelt bereit waren, ihre Entlassung aus dem Dienstverhältnis zu verlangen. In einem Fall sogar rund 18 Monate vor der Pensionierung. Ich beriet Kommandeure, die sich selbst nicht impfen lassen möchten und verzweifelt nach Wegen suchten, den Impfzwang nicht in ihrem Verband umsetzen zu müssen. Schwangere Kameradinnen, Soldaten in Eltenzeit, einsatzgeschädigte Kameraden, selbst Stabs- und Oberfeldärzte rufen uns verzweifelt mit der Bitte um Hilfe an. Was sie schildern, scheinen Zustände zu sein, wie man sie in Saudi-Arabien oder China erwarten würde. Nachfragen und Bitten um ausführliche Beratungsgespräche werden mit Drohungen und teilweise Häme beantwortet. Truppenärzte geben in Vernehmungen schamlos Auskunft über den Gesundheitszustand ihrer Patienten ohne überhaupt von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden zu sein, was für sie teuer werden dürfte. In einem Fall wird eine junge Kameradin von mehreren San-Soldaten angeschrieben und ausgelacht, weil sie sich mehr Informationen zu den Impfstoffen wünscht und nach alternativen Möglichkeiten fragt. Das auch noch im Beisein eines Truppenarztes, der für die Kameradin auch nur Spott übrig hatte. Sie solle sich doch beschweren, war seine Antwort auf die Frage nach einer Beratung.

Kameraden werden angebrüllt, ihnen wird mit Entlassung, Arrest und sogar Gefängnis gedroht, sollten sie weiter Fragen stellen und sich nicht impfen lassen. Völlig illegal werden Soldaten aufgefordert, ihre Impfbücher abzugeben, die dann tagelang für irgendwelche Prüfungen zurückgehalten werden. Soldaten wurde unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung verboten, zivile Impfzentrenten aufzusuchen, weil sie keinerlei Vertrauen mehr in ihre Truppenärzte hatten. Ohne jede Rechtsgrundlage sollten sie sich ausschließlich durch ihren Truppenarzt impfen und behandeln lassen. Die Persönlichkeitsrechte einzelner Kameraden werden mit Füssen getreten. Vorgesetzte verfassen Sammelemails an ihre Teileinheiten oder Hörsäle und benennen dort offen die Soldaten, die noch nicht geimpft sind - teilweise auch unter Benennung und Negierung spezieller Kontraindikationen. Gegen einen um ausgiebige Beratung bittenden FWDLer wurde ein Disziplinarverfahren geführt. Der zuständigen VP wurde durch den Vorgesetzten dann mitgeteilt, würde sich der Soldat impfen lassen, würde er eine geringe Gelddisziplinarmaßnahme erhalten. Ließe er sich nicht impfen, werde er 15 Tage Arrest verhängen. Viele Kameradinnen und Kameraden berichten von einem unwürdigen Spießrutenlaufen durch ihre Einheiten, in denen die Einheitsführung ihnen gegenüber bewusst und zielgerichtet ein Klima der Ausgrenzung und Verachtung bei den Übrigen erzeugen. So haben sich Kameraden teilweise täglich zu melden und ihren Impfstatus dem Spieß oder Chef mitzuteilen. Teilweise wurden die Namen derjenigen, bei denen „die Impfung noch offen ist“ in Namenslisten an „Schwarzen Brettern“ veröffentlicht. Ich könnte noch seitenweise weiter berichten.

Bis Ende November war ich der Ansicht, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, hierfür keine akzeptablen Gründe hätten. Nun, ich bin kein Mediziner und kann die Vor- und Nachteile einer Impfung selbst nicht angemessen beurteilen. Ich war selbst an COVID-19 erkrankt und bin nun auch dreifach geimpft. Indes wurde ich seit Ende November von so vielen aufrechten, besorgten und treuen Kameraden kontaktiert, dass ich heute sehr sehr viele akzeptable Gründe für eine Nichtimpfung kenne und gut nachvollziehen kann. Soldaten aller Dienstgrade und Dienststellungen wandten sich mit teilweiser verzweifelter Bitte um Rechtsbeistand an mich. Alle diese Personen sind weder Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker oder Staatsfeinde. Sie sind stillende Mütter mit Angst um Nebenwirkungen für ihre Säuglinge. Sie sind gestandene und kampferprobte Kompaniechefs, denen ihre Verpflichtung, die ihnen unterstellten Kameraden in eine Impfung zu treiben zum ersten Mal im Leben den Schlaf raubt. Es sind Kameraden, die sich im Kampf gegen die Taliban ausgezeichnet haben, verwundet Heim gekommen sind und denen ohne jede Rücksicht und Anstand unterstellt wird, „gegen die Demokratie“ zu sein, weil sie sich nicht impfen lassen wollen. Es sind Oberfeldärztinnen, die sich aus sachkundiger Vorsicht derzeit nicht impfen lassen möchten. Und es sind alleingelassene ganz normale Feldwebel, Unteroffiziere, Leutnante und Oberstabsgefreite, die begründet oder nicht schlicht Angst vor einem neuen Impfstoff haben, der scheinbar eine Infektion ohnehin nicht verhindert.

Angesichts der unnatürlichen und abstoßenden Durchsetzung einer Staatsdoktrin durch viele Vorgesetzte, die jede Opposition als „staatsfeindlich“ diffamiert, befürchte ich, dass dieses schändliche und rücksichtslose Auftreten leider zu vieler Vorgesetzten und Truppenärzte zu einem Vertrauensverlust großen Ausmaßes führen wird, dass die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nachhaltig schwächen wird. Selbst jahrelanges Missmanagement, Überbelastung und verfehlte Fürsorge konnte nicht einen solchen Schaden anrichten, wie es nun in wenigen Wochen bei so vielen Kameraden getan wurde.

Nur, weil es wenige sind, die Bedenken haben, soll an ihnen mit brachialer Gewalt ein Exempel statuiert werden. Rechtsstaat geht anders!

Ihre Vorgesetzten haben nicht das Recht, Ihre Impfbücher einzusammeln. Ihr Impfbuch dient ausschließlich dazu, damit Sie gegenüber Sanitätspersonen Ihre Immunisierung nachweisen können, um Ihre Heilbehandlung durchzuführen. Impfbücher sind weder dazu bestimmt noch müssen Sie sie zu diesem Zweck aushändigen, dass damit Ihre disziplinare Verfolgung ermöglicht wird oder der Disziplinarvorgesetzte irgendwelche Listen führen kann. Zeigen Sie Ihr Impfbuch nur dem zuständigen Sanitätspersonal, wenn es im Rahmen einer Heilbehandlung oder Prophylaxe-Maßnahme notwendig wird. Lassen Sie es sonst zu Hause.

Sie müssen mit Ihrem Chef/Spieß oder TE-Fhr auch nicht Ihre Impfung besprechen. Weder vor einem Impftermin noch danach. Besprechen Sie medizinische Sachverhalte nur mit Ihrem Truppenarzt. Sie müssen Ihrem Chef nichts von Impfungen melden. Wenn Ihr Chef Fragen zu Ihrem Gesundheitszustand hat, kann er sich an den Truppenarzt wenden. Sie sind nicht zur Auskunft über Ihren Gesundheitszustand oder ärztliche Maßnahmen gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten/Spieß oder TE-Fhr verpflichtet. Da Sie dazu nicht verpflichtet sind, kann Ihre Weigerung mit Ihrem Vorgesetzten darüber zu reden auch keine Dienstpflichtverletzung darstellen. 

Verhalten Sie sich schlau und sprechen Sie nicht mit Ihrem Disziplinarvorgesetzten über Ihre Impfung oder medizinische Sachverhalte!

Entbinden Sie Ihren Truppenarzt nicht von seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit. Das müssen Sie nicht; es gibt dafür auch keinen Grund, außer Sie disziplinar verfolgen zu können.

Sie müssen nicht an Ihrer disziplinaren Verfolgung mitwirken!


Bitte beachten Sie auch meine weiteren Rechtstipps zu CORONA und der Bundeswehr.


Fortsetzung: 

Nach einem Beschluss des Truppendienstgericht Süd, den wir für einen Mandanten erstritten haben, sind Begutachtungsanordnungen (90/5), mit denen eine "Impftauglichkeit" oder "Kontraindikationen" für COVID-19-Imfungen festgestellt werden sollen, nur freiwillig möglich. Eine Verpflichtung, eine solche Begutachtung an sich vornehmen zu lassen besteht nicht! (Beschluss TDG Süd vom 06.07.2022, S 4 GL 15/22).

Lassen Sie sich also nicht in diesem Sinne vom Truppenarzt begutachten!



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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