Der Strafverteidiger: Gleichgewicht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

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Sobald der Beschuldigte davon erfährt, dass gegen ihn wegen einer oder mehrerer Straftat/en ermittelt wird, stellt sich meistens die Frage, ob es sinnvoll ist, einen versierten Strafverteidiger mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen zu beauftragen. Immerhin verlangt der Strafrechtler auch Geld für seine Tätigkeit, sofern kein Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht.

Die Überlegung sollte jedoch immer von den drohenden Konsequenzen ausgehen. Die Diskrepanz zwischen dem staatlichen Strafanspruch auf der einen und dem Interesse des Beschuldigten auf der anderen Seite ist gewaltig. Mit der Eröffnung des sogenannten Ermittlungsverfahrens, der Grundlage des strafrechtlichen Verfahrens, ist die Situation regelmäßig schon sehr ernst.

Nichtsdestotrotz ist das Ermittlungsverfahren noch ein frühes Stadium auf dem Weg zum Strafbefehl oder Strafurteil. Der Wahlanwalt für Strafrecht hat daher noch gute Chancen, beim weiteren Verfahrensgang ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Wer von einem Ermittlungsverfahren gegen sich Kenntnis erlangt hat, kann sich die derzeitige Situation wie folgt vorstellen:

Die Staatsanwaltschaft handelt, überspitzt formuliert, wie ein Stellwerk im Bahnverkehr. Es liegt in ihrer Hand, ob sie die Weichen für den Zug in Richtung Endbahnhof oder auf die ungewisse Fahrstrecke stellt. Den Hebel hält sie fest in ihren Händen. Es ist erste Teilaufgabe des verantwortungsvollen Strafverteidigers, Argumente vorzutragen, damit das Verfahren möglichst zeitnah beendet, der Endbahnhof folglich ohne Umweg erreicht wird. Voraussetzung ist, dass es Argumente gibt.

Dementsprechend ist es nicht immer möglich, das Verfahren vorzeitig zur Einstellung zu bringen. So viel Wahrheit muss sein. Der Verteidiger übernimmt allerdings auch eine weitere wichtige Rolle, die bis zum tatsächlichen Verfahrensabschluss fortwirkt. Er ist als Interessenvertreter dazu beauftragt, die verfahrens- und verfassungsrechtlichen Rechte des Beschuldigten zu bewahren. Dafür wird er sich mit Nachdruck einsetzen. Das Ermittlungsverfahren stellt folglich in allen Fällen tatsächlich die Weichen für den weiteren Hergang des Verfahrens. Der Rechtsanwalt für Strafrecht agiert wie ein Gegengewicht zu den staatlichen Institutionen.

Wie erfährt der Beschuldigte vom Ermittlungsverfahren?

In der Regel machen Polizei oder Staatsanwaltschaft den Betroffenen auf seinen offiziellen strafrechtlichen Status als Beschuldigter aufmerksam. Ihm wird entweder mündlich oder schriftlich in vorgegebenem Behördendeutsch mitgeteilt, dass gegen ihn ermittelt wird. Darüber hinaus wird ihm auch preisgegeben, welche Tat die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden geweckt hat.

Dem Beschuldigten wird sodann hoffentlich mitgeteilt, dass es ihm freisteht, sich zur Sache zu äußern. Im Strafverfahren beherzigt der Beschuldigte bitte konsequent und unerschrocken eine goldene Grundregel:

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

Das bedeutet, dass er ohne Rücksprache mit einem Rechtsanwalt für Strafrecht keinerlei Angaben zur Sache (zum Tatvorwurf) machen sollte. Ausgenommen sind somit die allgemeinen Fragen zur Person. Das Schweigen zur Sache darf auch nicht belastend und gegen den Beschuldigten ausgelegt werden. Das Motto, wer schweigt hat sicherlich etwas zu verbergen, gilt im Strafverfahren nicht. Schweigen ist ein prozessuales Recht. Niemand muss sich selbst belasten. Die Einlassung kann zu einem späteren Zeitpunkt, insofern das sinnvoll und günstig erscheint, nachgeholt werden. Die Ausführungen können auch von einem Strafverteidiger verschriftlicht werden. Der Vorteil besteht darin, dass schlüssige Formulierungen an die Behörden weitergegeben werden.

Ansonsten gilt: Es ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden, Straftaten zu verfolgen. Der Beschuldigte übernimmt diese Funktion bitte nicht!

Er sollte seine konsequente Haltung auch nicht aufgeben, wenn ihm durch Ermittlungsbehörden der Anschein vermittelt wird, eine Aussage würde sich in seinem Interesse lohnen. Der Ausgang des Verfahrens wird im Zweifel vor einem Strafgericht entschieden. Insbesondere die Polizei hat keinen Einfluss auf die Entscheidung des Richters. Es sind unterschiedliche Gewalten. Jeder vermeintlich gut gemeinte und im Sinne des Beschuldigten formulierte Ratschlag hilft ihm in der Situation des Ermittlungsverfahrens sicherlich noch nicht weiter. Im Gegenteil: Er schadet sich möglicherweise nur mehr als ihm lieb sein kann. Ein Ermittlungsverfahren ist sehr ernst, sodass Geschenke nicht zu erwarten sind.

Verfahrensrecht Strafverteidiger: Die Akteneinsicht

Sämtliche Ergebnisse der Ermittlungsaktivität werden in einer Akte zusammengetragen. Der Beschuldigte weiß allerdings erst einmal nicht, welche tatsächlichen Feststellungen getroffen und in seinem strafrechtlichen „Ermittlungslebenslauf“ abgelegt worden sind. Er kennt auch die zugrundeliegenden Beweismittel in der Regel nicht. Der Vernehmende bei der Ermittlungsbehörde hat den Inhalt hingegen vollständig zur Kenntnis genommen. Entsprechend kann er das „Interview“ auch vorbereiten.

Gemäß § 147 Absatz 5 StPO ist auch der unverteidigte Beschuldigte befugt, die Ermittlungsakte einzusehen und in Verwahrung genommene Beweisstücke zu besichtigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Untersuchungszweck anderer Strafverfahren dadurch nicht gefährdet wird. Dem Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten dürfen auch keine schutzwürdigen Interessen Dritter entgegenstehen. Überwiegende schutzwürdige Interessen können beispielsweise bestehen, wenn Datenschutz dritter Personen zu bewahren ist.

Es ist ausdrücklich anzuraten, das Recht auf Akteneinsicht vollumfänglich in Anspruch zu nehmen. Eine effektive Verteidigung ohne Kenntnis der Ermittlungen ist gewagt. Das Risiko, plötzlich mit Überraschungen konfrontiert zu werden, ist potentiell immer gegeben. Ebenso ist denkbar, dass die Staatsanwaltschaft entlastende Beweise nicht (ausreichend) berücksichtigt hat. Das setzt nämlich voraus, dass sie Kenntnis von Entlastungsbeweisen hat. Manchmal ist ein entsprechender Hinweis unerlässlich, da die Staatsanwältin bzw. der Staatsanwalt zum vermeintlichen Tatzeitpunkt nicht persönlich vor Ort gewesen ist. Dieses notwendige Wissen schafft allerdings nur ein Blick in den Ermittlungsstand.

Die Akteneinsicht sollte rechtzeitig bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde beantragt werden. Zeit ist im Strafverfahren sehr kostbar. Sobald der Inhalt der Akte vom Beschuldigten zur Kenntnis genommen worden ist, stellt sich allerdings oftmals ein wesentliches Problem: Wie sind die gesammelten Ergebnisse sowie die Beweisstücke rechtlich zu interpretieren? Jedes Missverständnis, das beim Lesen der Akte entsteht, kann sich bewusst oder sogar unbewusst zum Nachteil im weiteren Verfahrensablauf entwickeln. Im Zweifel sollte daher ein Strafverteidiger aufgesucht werden. Er bewertet Tatvorwurf und Beweislage nicht nur aus sachlicher, sondern auch aus der rechtlichen Perspektive.

Der Strafverteidiger genießt ebenfalls ein Akteneinsichtsrecht, sodass er im Auftrag seines Mandanten selbst mit den zuständigen Behörden kommunizieren kann. Das nimmt dem Beschuldigten oftmals eine schwere Last, weil er sich nicht mit Formalien und dem anschließenden Aktenstudium auseinandersetzen muss. Mitunter kann eine Strafakte sehr umfangreich sein, wobei sich die für eine überzeugende Verteidigung maßgeblichen Anhaltspunkte auf mehrere Seiten verteilen können. In anderen Verfahren ist es vielleicht sogar nur ein Satz, der den Unterschied ausmachen kann.

Auf Grundlage der vorgelegten Ermittlungen bespricht der Verteidiger mit dem Beschuldigten die nächsten Schritte. Vor allem wird er ihm ausführlich darstellen und erläutern, ob eine Einlassung oder Stellungnahme zum Tatvorwurf tatsächlich vorteilhaft ist oder nicht.

Das Ziel einer kompetenten Verteidigung kann zunächst auch darin bestehen, bei der Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens ohne Durchführung eines Hauptverfahrens anzuregen. Der Vorteil für den Beschuldigten besteht in dem direkten Kontakt zwischen seinem Strafverteidiger und der Staatsanwaltschaft. Zwar lässt sich nicht jedes Verfahren auf diese Weise zum gewünschten Ende führen. Dennoch sollte die Gelegenheit mit entsprechender Argumentation genutzt werden, falls sie sich ergibt. Entscheidend ist der konkrete Einzelfall unter Würdigung der Gesamtumstände. Eine Prognose ist allerdings nur nach Akteneinsicht möglich.

Welche Verteidigungsmöglichkeiten bestehen, kann ohne vertiefte Kenntnis der Ermittlungsakte nicht vorhergesagt werden. Es ist Aufgabe des Strafverteidigers, seinem Mandanten alle möglichen Wege aufzuzeigen, wobei er den günstigsten hervorheben und begründen wird. Das Gesetz kennt zudem einen Handlungsspielraum, den der Verteidiger im Sinne des Beschuldigten vollständig ausnutzen wird. Diese Möglichkeiten sind dem juristischen Laien in der Regel fremd. Eine Verteidigung ohne Ausschöpfung aller Chancen und Wege ist sicherlich nicht optimal und folglich nicht im Interesse des Beschuldigten.

Rechtsanwalt Christian Kohlhaas steht Ihnen als Strafverteidiger bundesweit zur Verfügung.

Autor: Rechtsanwalt Christian Kohlhaas


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