Die betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle

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Die Einigungsstelle – mehr Bedarf durch Corona-Folgen?

Gerade im Zuge der Corona-Maßnahme geraten viele Arbeitgeber wirtschaftlich in Schieflage, Betriebsteilstilllegungen und Stilllegungen drohen. Bestehende, aber auch neue Fragestellungen mit betriebsverfassungsrechtlichen Bezug treten vermehrt auf. In solchen Fällen ersetzt der Spruch der Einigungsstelle in der Regel die ohne Einigungsstellenverfahren nicht mögliche bzw. gescheiterte freiwillige Einigung der Betriebsparteien.

Was ist eine Einigungsstelle? In welchen Fällen wird die Einigungsstelle tätig? Kann das Einigungsstellenverfahren erzwungen werden? Gibt es die Möglichkeit eines verbindlichen Spruchs? Diese und weitere Fragen werden hier beantwortet.

Was ist eine Einigungsstelle? 

Bei der Einigungsstelle handelt es sich um eine innerbetriebliche Schlichtungsstelle. Sie tritt zusammen, verhandelt und entscheidet, wenn Betriebsrat und Arbeitgeber sich nicht einigen können. Die wichtigsten Regelungen über die Einigungsstelle finden sich in § 76 und 76a Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Arbeitgeber und Betriebsrat sollen gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG vertrauensvoll zusammenarbeiten. Beiden sollen mit dem ernsten Willen zur Einigung verhandeln und Meinungsverschiedenheiten beilegen. Das geschieht in der Einigungsstelle. § 74 Abs. 1 und 2 BetrVG ergänzt diese Vorschrift. Danach haben beide Parteien mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Meinungsverschiedenheiten beizulegen.

Weil der Betriebsrat als betriebliche Arbeitnehmervertretung - anders als eine Gewerkschaft - nicht zum Streik aufrufen darf (§ 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG), hat der Gesetzgeber einen Ausgleich dadurch geschaffen, dass eine Einigungsstelle angerufen werden kann. Lassen sich Meinungsverschiedenheiten über regelungsbedürftige Angelegenheiten nicht einvernehmlich regeln, darf der Betriebsrat keine Arbeitsniederlegung seiner Kollegen organisieren. Damit die Betriebsparteien in solchen Fällen trotzdem zu einer Lösung der Streitigkeiten kommen, findet eine Einigungsstelle statt.

Errichtung einer Einigungsstelle/Wann wird eine Einigungsstelle tätig? 

Normalerweise wird die Einigungsstelle auf Antrag einer Seite, das heißt des Betriebsrats oder Arbeitgebers, tätig. Man spricht hier von einem erzwingbaren Verfahren, weil derjenige, der die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens beantragt, diesen Anspruch bei Weigerung der Gegenseite auch gerichtlich durchsetzen kann. Die andere Seite kann die Einigungsstelle in mitbestimmungspflichtigen Fragen also nicht verhindern. Besonders wichtig sind die Erfahrung und die Geschicklichkeit der Verhandlungsführer. Einigungsstellenvorsitzende sind sehr häufig Richter oder pensionierte Richter und daher aus ihrer beruflichen Praxis sehr erfahren mit der Verhandlungsführung.

Als Vertreter des Arbeitgebers/des Betriebsrats empfiehlt es sich, einen Spezialisten für Arbeitsrecht, etwa einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, hinzuzuziehen. Von Nutzen ist dabei Verhandlungserfahrung, die etwa durch eine Mediationsausbildung und Tätigkeit als Mediator untermauert werden kann.

Für die Errichtung einer Einigungsstelle ist Folgendes notwendig: 

Die Einigungsstelle wird auf Antrag tätig, Anrufung durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat möglich (§ 76 Abs. 5 BetrVG).

Ruft der Betriebsrat die Einigungsstelle an, so ist ein Betriebsratsbeschluss erforderlich.

Die anrufende Seite schlägt den unparteiischen Vorsitzenden vor. Dies sind in der Regel Personen, die nicht dem Betrieb angehören und kein persönliches oder wirtschaftliches Interesse an dem Betrieb haben. In der Praxis sind dies meist Arbeitsrichter oder pensionierte Arbeitsrichter.

Die anrufende Seite schlägt die Anzahl der der Beisitzer vor und benennt die Beisitzer der eigenen Stelle (Interne, Betriebsratsmitglieder und/oder Externe, zum Beispiel Rechtsanwälte, Sachverständige oder Ähnliches), die Beisitzer der Gegenseite werden von ihr benannt.

Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den unparteiischen Vorsitzenden sowie die Anzahl der Beisitzer ist erforderlich.

Wenn keine Einigung stattfindet, dann entscheidet das Arbeitsgericht (§ 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG).

Einigungsstellenverfahren 

Die Einigungsstelle wird – wie oben ausgeführt - auf Antrag tätig. Die Anrufung kann durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat erfolgen (§ 76 Abs. 5 BetrVG). Der Vorsitzende leitet die Einigungsstelle; im Rahmen der gemeinsamen mündlichen Beratung ist die anrufende Partei beweisführungspflichtig.

In vielen Fällen führt die Einigungsstellenverhandlung zu einer Einigung, die durch eine Betriebsvereinbarung schriftlich niedergelegt wird und das Einigungsstellenverfahren damit beendet.

Wenn keine Einigung zustande kommt, muss eine Entscheidung im Rahmen eines Spruches der Einigungsstelle gefunden werden.

Sofern im ersten Abstimmungsgang ohne Beteiligung des Vorsitzenden keine Mehrheit zustande kommt, hat der Vorsitzende bei einer weiteren Beschlussfassung Stimmrecht.

Der sogenannte Spruch (Beschluss) der Einigungsstelle ist schriftlich niederzulegen und den Betriebsparteien unverzüglich zuzuleiten.

Wenn eine Seite mit dem Spruch der Einigungsstelle nicht einverstanden ist, so besteht die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Beschlusses diesen gerichtlich überprüfen zu lassen. Dabei werden zum Beispiel Ermessensüberschreitungen der Einigungsstelle überprüft. Bis zu einer eventuellen Aufhebung des Einigungsstellenspruches durch das Arbeitsgericht ist der Spruch der Einigungsstelle aber einzuhalten, gegebenenfalls per einstweiliger Verfügung zu erzwingen (vgl. Landesarbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 06.12.1984, 4 TaBV 2/84).

Freiwilliges und erzwingbares Einigungsstellenverfahren 

Es gibt freiwillige und erzwingbare Einigungsstellenverfahren.

Ein freiwilliges Einigungsstellenverfahren kann in allen der Zuständigkeit des Betriebsrats unterliegenden Angelegenheiten durchgeführt werden, in denen das Betriebsverfassungsgesetz keine verbindliche Entscheidung der Einigungsstelle vorsieht. Wenn beide Betriebspartner einverstanden sind und dies gemeinsam beantragen, kann eine solche freiwillige Einigungsstelle errichtet werden. Haben sich beide Seiten im Voraus dem Spruch der Einigungsstelle unterworfen oder ihn nachträglich angenommen, so ersetzt er die Einigung zwischen den Betriebsparteien.

In Angelegenheiten, die der vollen (erzwingbaren) Mitbestimmung unterliegen, können sowohl der Betriebsrat als auch der Arbeitgeber auf die Bildung einer Einigungsstelle bestehen. In diesem Fall spricht man von einem erzwingbaren Einigungsstellenverfahren. Ein solches erzwingbares Einigungsstellenverfahren liegt vor, wenn der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat ersetzen kann. Die Fälle, in denen dies der Fall ist, sind gesetzlich geregelt. So ist etwa in § 87 Abs. 2 BetrVG geregelt:

„Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit ... nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.“ 

Ein erzwingbares Einigungsstellenverfahren gibt es nur in den vom Gesetz genannten Angelegenheiten und Streitigkeiten.

Wer ist unter welchen Voraussetzungen antragsberechtigt?

In folgenden Fällen ist nur der Arbeitgeber antragsberechtigt: 

  • Schulungsveranstaltungen von Betriebsratsmitgliedern (§ 37 Abs. 6 Satz 4 BetrVG), völlige Freistellung von Betriebsratsmitgliedern (§ 38 Abs. 2 Satz 6 BetrVG), Auswahlrichtlinien (§ 95 Abs. 1 BetrVG)

In folgenden Fällen ist nur der Betriebsrat antragsberechtigt:

  • Berechtigung von Beschwerden der Arbeitnehmer (§ 85 Abs. 2 BetrVG)

In folgenden Fällen genügt der Antrag eines der Betriebspartner (beide sind antragsberechtigt):

  • Sprechstunde des Betriebsrats (§ 39 Abs. 1 BetrVG, analog § 69 Abs. 1 BetrVG, JAV),
  • Herabsetzung der Zahl der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats (§ 47 Abs. 6 BetrVG),
  • Herabsetzung der Zahl der Mitglieder des Konzernbetriebsrats (§ 55 Abs. 4 BetrVG),
  • Herabsetzung der Zahl der Mitglieder der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung (§ 72 Abs. 6 BetrVG),
  • Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG (§ 87 Abs. 2 BetrVG),
  • Mitbestimmung über Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich von Belastungen (§ 91 Satz 2 BetrVG),
  • Mitbestimmung bei Personalfragebögen, Formulararbeitsverträgen und Beurteilungsgrundsätzen (§ 94 Abs. 1 und 2 BetrVG),
  • Mitbestimmung bei Auswahlrichtlinien (§ 95 Abs. 2 BetrVG),
  • Errichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung (§ 97 Abs. 2 BetrVG),
  • Mitbestimmung bei der Durchführung innerbetrieblicher Bildungsmaßnahmen und Auswahl der Teilnehmer (§ 98 Abs. 3 und 4 BetrVG),
  • Auskunft an den Wirtschaftsausschuss oder einen Ausschuss des Betriebsrats (§ 109 BetrVG, siehe § 107 Abs. 3 BetrVG),
  • Mitbestimmung bei Aufstellung eines Sozialplans bei Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG (§ 112 Abs. 4 BetrVG),
  • Zustimmung bei Arbeitsplatz, Unterkünften und Sprechstunden (§ 116 Abs. 3 Nr. 2, 4 und 8 BetrVG),
  • Mitbestimmung bei der Bestellung und Abberufung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie Erweiterung und Einschränkung ihrer Aufgaben (§ 9 Abs. 3 ASiG)

Erweiterung der Zuständigkeiten 

Nach § 102 Abs. 6 BetrVG ist es möglich, dass Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Sonst ist in der Regel nur die Anhörung erforderlich. Bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung einer Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats, kann die Einigungsstelle entscheiden.

Wirkung des Spruchs der Einigungsstelle

Die Einigungsstelle entscheidet im Rahmen der Mitbestimmung endgültig (§ 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG). Das bedeutet, dass der Spruch für die Einigungsstelle bzw. Arbeitgeber und Betriebsrat verbindlich ist.

Einigung auf Einigungsstellenverfahren 

Auch in nicht mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten, also nicht erzwingungsfähigen Sachen, kann grundsätzlich eine Einigungsstelle gebildet werden. Diese muss allerdings aufgrund einer Einigung des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat eingerichtet werden (§ 76 Abs. 6 BetrVG). Es handelt sich um eine sogenannte freiwillige Einigungsstelle. Diese ist also wesentlich schwieriger zu errichten. Der Unterschied zum erzwingbaren Einigungsstellenverfahren liegt darin, dass der Spruch der Einigungsstelle nicht ohne Weiteres bindend wirkt. Eine Bindungswirkung tritt nur ein, wenn der Arbeitgeber und der Betriebsrat sich dem Spruch im Voraus unterworfen haben (§ 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG).

Die erfolgreiche Verhandlung 

Bei richtiger Vorbereitung und Durchführung lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen. Anders als bei einem gerichtlichen Verfahren ist ein Einigungsstellenverfahren nicht so formal aufgebaut und setzt stark auf Verhandlungen und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Auch zeitlich ist viel mehr Raum, um Detailfragen zu klären.

Anrufen des Arbeitsgerichts 

Beide Betriebsparteien, also Arbeitgeber und Betriebsrat, haben das Recht, den Spruch der Einigungsstelle vom Gericht überprüfen zu lassen. Stellt das Gericht fest, dass die Einigungsstelle die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten hat, wird es die Entscheidung der Einigungsstelle für unwirksam erklären. Ersetzen dürfen die Richter den Einigungsstellenspruch aber nicht. In diesem Fall muss die Einigungsstelle ihre Arbeit erneut aufnehmen.

Kosten der Einigungsstelle 

Gemäß § 76a BetrVG trifft den Arbeitgeber die Kostenübernahmepflicht unabhängig vom Verhandlungsergebnis. Das heißt, es gibt keine Kostenentscheidung nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens. Die innerbetrieblichen Beisitzer, zum Beispiel Betriebsratsmitglieder, erhalten keine Vergütungen, sind aber nach § 37 Abs. 2 BetrVG unter Fortzahlung ihrer Vergütung von der Arbeit freizustellen. Gilt auch für Sitzungszeiten außerhalb der Arbeitszeit. Fallen Fahrt- und Übernachtungskosten an, sind diese ebenfalls vom Arbeitgeber zu erstatten.

Die Vergütung des Einigungsstellenvorsitzenden und der externen Beisitzer ist gesetzlich in § 76a Abs. 3 BetrVG geregelt. Die Vergütung des Einigungsstellenvorsitzenden bestimmt sich entweder nach vertraglicher Absprache mit dem Arbeitgeber oder, falls diese fehlt, nach den Grundsätzen der §§ 315, 316 BGB. Bemessungskriterien sind unter anderem erforderlicher Zeitaufwand, Schwierigkeit der Streitigkeiten und Verdienstausfall.

Die Vergütung der externen Beisitzer ist niedriger zu bemessen, in der Regel 70 % der Vergütung des Einigungsstellenvorsitzenden.

Einschaltung eines Rechtsanwalts 

In beinahe allen Einigungsstellenverfahren kann der Betriebsrat einen Rechtsanwalt hinzuziehen. In jedem Fall gilt das dann, wenn die Einigungsstelle zu Klärung komplexer Rechtsfragen eingeschaltet wurde. Die dadurch entstehenden Kosten trägt ebenfalls der Arbeitgeber. Sie haben Fragen zur Einigungsstelle? Sie sind ein Betriebsrat oder Betriebsratsmitglied und denken über die Einschaltung eines Rechtsanwalts bzw. Sachverständigen nach?

Was sollte der Betriebsrat in der Vorbereitungsphase bedenken? 

  • Was will der Betriebsrat erreichen?
  • Was will der Arbeitgeber?
  • Gibt es Beweise/Beweisprobleme?
  • Womit kann der Arbeitgeber überzeugt werden?
  • Welche Verhandlungsstrategie soll angewandt werden?
  • Besteht etwa Zeitdruck aufseiten des Arbeitgebers?
  • Wann wird welches Argument eingesetzt?

Fragen, die vor Anrufung der Einigungsstelle geklärt werden sollten.

Gerne können Sie sich vertrauensvoll an mich wenden. Seit 1998 bin ich Rechtsanwalt, seit 2002 Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2012 Mediator. Ich habe in mehreren Tausend Gerichts- und Einigungsstellenverfahren entsprechende Erfahrungen gesammelt und vertrete auch Sie gerne engagiert und mit höchster Fachkompetenz in Ihrer Einigungsstelle.

Rechtsanwalt Dr. Jürgens ist seit 1998 Rechtsanwalt, seit 2002 Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2012 Mediator. Er hat in unzähligen Verhandlungen und diversen Einigungsstellen erfolgreiche Ergebnisse für seine Mandanten erzielen können.

Foto(s): canva.de

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