Dieselpreise, Palettenknappheit - es kann noch viel schlimmer kommen

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Dieselpreise, Palettenknappheit - es kann noch viel schlimmer kommen

von Dr. Andreas Müller

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht, Köln

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat für das Transport- und Speditionsgewerbe erhebliche Auswirkungen. Seit dem 24.02.2022 sind die Preise für Dieselkraftstoff in nicht gekannter Weise gestiegen, ukrainische Lkw-Fahrer fehlen in den Betrieben, weil sie ihren Wehrdienst in der Ukraine ableisten müssen, jetzt werden auch noch Europaletten wegen der Verknappung der hierfür notwendigen Rohstoffe Mangelware und teuer. Dies kann noch nicht das Ende der Auswirkungen dieser militärischen Konfrontation sein. Gerade für das Transport- und Speditionsgewerbe kann es noch viel schlimmer kommen.

Die Zeiten des „Kalten Krieges“ liegen über 30 Jahre zurück. Damit sind auch die nach wie vor geltenden Notstandsvorschriften für den Güterkraftverkehr in Vergessenheit geraten. Dabei existieren verschiedene Gesetze, mit denen unser Staat in der Lage ist, tiefgreifend in Bestände von Transportmitteln, Logistikflächen und Personal jedes einzelnen Unternehmens einzugreifen. So gibt das Bundesleistungsgesetz dem Staat die Handhabe, Lkw, Sattelauflieger, Wechselbrücken, Lafetten oder andere Fahrzeuge oder Fahrzeugteile zu requirieren. Das Bundesleistungsgesetz geht sogar so weit, dass die Eigentümer verpflichtet werden können, ihr Eigentum an diesen Sachen dem Bund zu übereignen. Das gleiche gilt im Bereich des Schienengüterverkehrs für private Waggons und Loks sowie im Bereich der Luft-, Binnen- und Hochseeschifffahrt. Solche einschneidenden Maßnahmen sind nach dem Bundesleistungsgesetz bereits dann möglich, wenn sie zur Abwendung einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes benötigt werden. Erst recht hat der Bund diese Handhabe im sog. Verteidigungsfall, d.h. dann, wenn der Bundestag und Bundesrat feststellen, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Das gleiche gilt im Übrigen für die Feststellung des sog. Bündnisfalls nach § 5 des NATO-Vertrages.

Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine kann man solche Szenarien nicht mehr ausschließen. Da es mittlerweile zum Allgemeingut gehört, dass die logistische Leistungsfähigkeit der Bundeswehr für einen Fall der Bündnis- und Landesverteidigung nicht optimal aufgestellt ist, muss man damit rechnen, dass kurz- und mittelfristige Bedarfe an Transportmitteln über die Beschaffung nach dem Bundesleistungsgesetz gedeckt werden. Älteren Spediteuren dürfte noch gut in Erinnerung sein, dass sie in Zeiten des „Kalten Krieges“ bereits Anforderungsbescheide der Bundeswehrverwaltung für einen solchen Fall vorliegen hatten. Diese Kenntnis ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Kraftfahrzeuge und Anhänger nebst Zubehör werden in solchen Krisenfällen durch die unteren Verkehrsbehörden der Länder angefordert. Bei See- und Binnenschiffen erfolgt dies über die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen. Diese Anforderungsbehörden bestimmen auch, welchem Bedarfsträger - etwa die Bundeswehr - die Lkws, Schiffe, Flugzeuge oder Züge zur Verfügung gestellt werden. Als NATO-Mitgliedsstaat können die Verkehrsmittel auch anderen Bündnispartnern überlassen werden. Im worst case gibt das Gesetz sogar die Handhabe, einen solchen Anforderungsbescheid dem Lkw-Fahrer oder Lok-Führer auszuhändigen. Da die Bescheide sofort vollziehbar sind, entfalten sie sofortige Wirkung. Wundern Sie sich deshalb nicht, wenn Ihr Fahrer danach zu Fuß zur Spedition kommt.

Was für Fahrzeuge gilt, hat seine Entsprechung auch für Logistikflächen, etwa Speditionsumschlaghallen. Auch diese können im Bündnis-/Verteidigungsfall zur anderweitigen Nutzung herangezogen werden. Was für das Material gilt, gilt für das Personal gleichermaßen. Das Arbeitssicherstellungsgesetz schränkt beispielsweise die Möglichkeit ein, das Lkw-Fahrer oder Lager-Mitarbeiter in Krisenzeiten ihren Arbeitsvertrag kündigen. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen - gleich ob durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber - bedürfen in diesen Fällen der Zustimmung der zuständigen Arbeitsagentur. Damit soll verhindert werden, dass für die Verkehrsinfrastruktur wichtige Mitarbeiter sich durch Kündigung dem Bedarf entziehen. Ebenso hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, Personen, die der Wehrpflicht unterliegen, zu bestimmten Tätigkeiten heranzuziehen.

Noch hat sich der „Nebel des Krieges“ nicht gelichtet. Deshalb sollte das Verkehrsgewerbe im Allgemeinen und jedes Transportunternehmen im Speziellen sich der Möglichkeiten bewusst werden, was im schlimmsten Fall einer militärischen Auseinandersetzung auf jedes einzelne Unternehmen zu kommen kann und damit weitreichende Konsequenzen für sein Geschäft mit sich bringt. Dass die Gesetze zu Gunsten jedes Betroffenen, der durch die Gestellung von Verkehrsmitteln, Logistikflächen, Treibstoff oder anderem Zubehör ein Sonderopfer erbringt, Entschädigungsleistungen vorsehen, mag in gewisser Hinsicht zuversichtlich stimmen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass zunächst der oder die Lkw möglicherweise auf unabsehbare Zeit in militärische Nutzung übergehen, vielleicht beschädigt oder gar zerstört werden und vor allem nicht für eigene Transporte zur Verfügung stehen. Ob und wann eine Entschädigung erfolgt, ist zu diesem Zeitpunkt ungewiss. Da diese Notstandsgesetze seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland in dieser Form allenfalls in geringem Umfang bei Manövern Anwendung fanden, besteht zudem keine praktische Erfahrung. Man kann nur hoffen, dass es hierzu nicht kommt.


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