Dieselskandal: EuGH erklärt Großteil der Darlehensverträge bei finanzierten Autokäufen für rechtswidrig

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Der sog. Dieselskandal beschäftigt seit Ende 2015 die Gerichte. Etliche offene Rechtsfragen sind bis heute nicht abschließend geklärt, weswegen das Risiko der Kläger, am Ende zu unterliegen, nicht selten schwer abzuschätzen ist. Käufer, die ein Auto bei den von den Automobilkonzernen VW, BMW, Daimler oder Porsche eingerichteten Banken finanziert haben, dürften nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vergangener Woche im Rahmen eines Widerrufs des Darlehensvertrags einfacher vom Kaufvertrag loskommen.

Die wichtigsten Unterschiede zwischen einem Widerruf des Darlehensvertrags und einer Schadensersatzklage gegen den Hersteller stellt der nachfolgende Beitrag dar.

1. Der Widerruf bedarf keiner Begründung

Vermutet der Kläger in seinem Fahrzeug eine sog. illegale Abschalteinrichtung, so ist er grundsätzlich gehalten, im Rahmen der Klage auf Schadensersatz die behauptete Manipulation schlüssig darzulegen. Außer bei Klagen im Zusammenhang mit dem Motortyp EA 189 der VW AG, bei denen der BGH eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung annimmt, scheitern bei anderen Motortypen (z.B. EA 288) viele Klagen bereits an dieser nicht unerheblichen Hürde. Mit Urteil vom 16. September hat der BGH z.B. einen Schadensersatz bei einem sog. Thermofenster verneint (Az. VII ZR 190/20, VII ZR 286/20, VII ZR 321/20, VII ZR 322/20). 

Widerruft der Käufer eines PKW seinen zu diesem Zweck geschlossenen Darlehensvertrag, so wird er rechtlich so gestellt, als wäre auch der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden. Die vom Käufer und Verkäufer erhaltenen Leistungen sind zurückzugewähren. Damit ein Widerruf diese Rechtsfolge auslöst, genügt es, dass die Widerrufsfirst im Darlehensvertrag wegen einer unterbliebenen und fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht zu laufen begonnen hat. Die wichtigsten Fehler in Darlehensverträgen hat der EuGH am 09. September 2021 auf eine Anfrage des Landgerichts Ravensburg klargestellt.

Im Unterschied zur Beweislast bei einer Klage auf Schadensersatz muss der Darlehensnehmer seinen Widerruf des Darlehensvertrags nicht begründen. Beweggründe und Motive sind somit unerheblich. Selbst wenn ein darlehensfinanzierter PKW nicht vom sog. Dieselskandal betroffen ist, kann er bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung widerrufen und damit der Kauf rückabgewickelt werden.

2. Keine Einrede der Verjährung, kein Rechtsmissbrauch und keine Verwirkung bei Widerruf des Darlehensvertrags

Gemäß bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) verjähren Schadensersatzansprüche grundsätzlich innerhalb von 3 Jahren seit ihrer Entstehung. Wann der Zeitpunkt anzunehmen ist, ab wann Kunden davon erfahren haben, dass ihr erworbenes Fahrzeug vom sog. Dieselskandal betroffen ist, wird innerhalb der Gerichte ebenfalls unterschiedlich bewertet. Manche Gerichte sehen den Beginn der Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt September 2015 als gegeben, so dass eine Verjährung bereits mit Ablauf des Jahres 2018 eingetreten sei. Der BGH hat zur Verjährung vor kurzem entschieden, dass es zunächst Sache des Tatrichters ist, den Beginn der Verjährungsfrist im Rahmen der Beweisaufnahme zu ermitteln. Somit laufen Kläger im Rahmen einer Schadensersatzklage in das Risiko, zwar einen Anspruch auf Schadensersatz zu haben, diesen wegen der Einrede der Verjährung nicht (mehr) gegen den Hersteller durchsetzen zu können.

Bei Widerruf des Darlehensvertrags kommt die Einrede der Verjährung nicht zum Tragen. Denn mit Erklärung des Widerrufs wird die Rechtslage dahingehend gestaltet, dass der Widerruf "in der Welt" ist und ab diesem Zeitpunkt der Darlehensgeber den Darlehensvertrag und Kaufvertrag rückabwickeln muss. Der EuGH hat darüber hinaus mit seiner Entscheidung vom 09. September 2021 klargestellt, dass sich der Verwender einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung auch nicht auf einen Rechtsmissbrauch oder die Einrede der Verwirkung berufen kann, wenn er notwendige Pflichtangaben im Darlehensvertrag fehlerhaft widergegeben oder weggelassen hat. Das bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist der sog. Kaskadenverweis

Der Kaskadenverweis wird im Darlehensvertrag wie folgt formuliert:

 „Widerrufsrecht
Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. …“ 

Diese Formulierung ist laut EuGH und BGH intransparent. Verbraucherdarlehensverträge, die diese Formulierung enthalten, sind widerrufbar. 

In seiner aktuellen Entscheidung vom 09. September geht der EuGH deutlich über die Rechtsprechung des BGH hinaus und knüpft das Recht des Verbrauchers zum Widerruf nicht allein an eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung, sondern auch an insgesamt unklaren Bestimmungen in den Darlehensverträgen selbst (hier gelangen Sie zum ausführlichen Artikel EuGH erleichtert Widerruf noch Jahre nach Vertragsschluss). 

Hiernach dürfen Verbraucherdarlehensverträge auch noch nach Jahren widerrufen werden, wenn der Kreditvertrag keinen klar definierten Zinssatz für den Fall angibt, dass der Kunde seinen Tilgungen und Zinszahlungen in Verzug gerät, bei der Höhe der Zinssätze an den von der Zentralbank festgelegten Basiszinssatz angeknüpft wird, die Berechnung der Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung des Darlegens für einen Durchschnittsverbraucher nicht in leicht nachvollziehbarer Weise verständlich ist.

Betroffene vom sog. Dieselskandal, die ihren PKW finanziert haben, sollten den Darlehensvertrag von einem spezialisierten Rechtsanwalt auf Fehler prüfen lassen. Selbst wenn bereits ein Klageverfahren gegen den Hersteller anhängig ist oder bereits abgewiesen wurde, stehen die Chancen gut, dass der Widerruf des Darlehensvertrags doch noch zur Rückgabe des PKW führt.

Rechtsanwalt Markus Mehlig ist im Schwerpunkt im Bank- und Kapitalmarktrecht tätig und vertritt Darlehensnehmer bundesweit bei Widerruf von Immobilien- und Verbraucherdarlehensverträgen, Vorfälligkeitsentschädigungen und Bereitstellungszinsen. Gerne steht er Ihnen im Rahmen eines kostenfreien Erstgesprächs zur Verfügung.

 



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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