Elternunterhalt und Grundsicherung

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Mit dem Beschluss vom 08.07.2015-XII ZB 56/14 hat der BGH ein neues Kapitel aus dem dicken Buch des Elternunterhalts aufgeschlagen. In dem o.g. Beschluss des BGHs geht es nicht um die Regressansprüche des Sozialamtes bei Unterbringung eines Elternteils im Pflegeheim, sondern um Haftung der Kinder bei der Inanspruchnahme entweder der Grundsicherung oder der Hilfe zum Lebensunterhalt durch die Eltern.

Der BGH-Entscheidung liegt nachstehender Sachverhalt zu Grunde:

Die 81-jährige Antragstellerin (Mutter) ist verwitwet und lebt im eigenen Haushalt. Ihr monatlicher Unterhaltsbedarf beträgt rund 1.130,00 €. Aus der eigenen Rente kann sie lediglich 365,00 € decken.

Die Antragstellerin hat 3 Kinder: 2 Söhne und eine Tochter. Die Tochter ist unstreitig nicht leistungsfähig. Der 1. Sohn hat ein Jahresbruttoeinkommen von weit über 100.000,00 €. Der 2. Sohn (Antragsgegner) hat ein jährliches Bruttoeinkommen von rund 76.000,00 €.

Der Antrag der Antragstellerin, ihr Grundsicherung im Alter zu bewilligen, blieb erfolglos, weil der Bruder des Antragsgegners ein Jahreseinkommen von weit über 100.000,00 € hat.

Aufgrund der hohen finanziellen Verpflichtungen kann der Sohn der Antragstellerin mit einem Jahresbruttoeinkommen von über 100.000,00 € den Unterhaltsbedarf der Antragstellerin jedoch nicht in voller Höhe decken.

Daraufhin beantragte die Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt und nahm den Antragsgegner in Höhe des auf ihn entfallenden Anteils, zuletzt in Höhe von 180,00 € monatlich, auf Unterhalt in Anspruch.

Der Anspruch der Antragstellerin wurde mit nachstehenden Begründung abgewiesen:

1. Es findet kein Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe statt.

Der Anspruchsübergang ist nach § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII wegen unbilliger Härte ausgeschlossen.

Erhält der Unterhaltsberechtigte nachrangige Hilfe zum Lebensunterhalt, stellt der gesetzliche Anspruchsübergang für ein unterhaltspflichtiges Kind mit einem Jahreseinkommen unter 100.000,00 € eine unbillige Härte dar, wenn und soweit das Kind den unterhaltsberechtigten Elternteilen nur wegen des Vorhandenseins einkommensstärkere Geschwister nicht auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen verweisen kann.

2. Es liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB vor.

Entsprechend dem Zweck der Hilfe zum Lebensunterhalt sind die Träger der Sozialhilfe in der Praxis häufig zur Vorleistung verpflichtet, wenn ein Unterhaltspflichtiger seiner Leistungspflicht nicht nachkommt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei der Hilfe zum Lebensunterhalt um eine nachrangige Leistung handelt, die generell keinen Einfluss auf den Inhalt und den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung hat.

Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn einem Unterhaltsgläubiger nachrangige Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, ohne dass es zu einem Übergang der Unterhaltsansprüche auf den Sozialhilfeträger kommt. In diesem Fall steht dem Unterhaltsbegehren der Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB entgegen.

Danach wird eine Teilanrechnung der bereits gezahlten Sozialhilfe auf den Unterhaltsanspruch vorgenommen, wenn für den Unterhaltspflichtigen andernfalls die Gefahr bestünde, mit derartig hohen Forderungen aus der Vergangenheit belastet zu werden, dass es ihm in der Zukunft auf Dauer unmöglich gemacht wird, sowohl diese Schulden zu tilgen als auch seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen.

Für die Zukunft sollte sich dagegen der Subsidiaritätsgrundsatz uneingeschränkt durchsetzen.

Im vorliegenden Fall nimmt der BGH eine Korrektur der gesetzlichen Regelung vor und beschränkt die Möglichkeit der Anrechnung nach 242 BGB nicht nur auf die Unterhaltsrückstände, sondern erstreckt die Anrechnungsmöglichkeit auch auf den künftig fällig werdenden Unterhalt.

Begründet wird es im konkreten Fall damit, dass der Grund, warum die Antragstellerin zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen ist, nicht allein auf den ausbleibenden Unterhaltszahlungen ihre Söhne liegt. Auf die Hilfe zum Lebensunterhalt ist die Antragstellerin auch deshalb angewiesen, weil sie keinen Zugang zu den gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 SGB XII vorrangigen und unabhängig vom Bestehen von Unterhaltsansprüchen bedarfsdeckend gezahlten Grundsicherungen nach dem Viertel Kapitel des SGB XII hat.

Der Antragsgegner kann die Antragstellerin nur deshalb nicht auf diese Grundsicherungsleistungen verweisen, weil er einen einkommensstärkeren Bruder hat. Darin liegt nicht nur aus dem Blickwinkel des Sozialhilfe, sondern auch des Unterhaltsrechts eine systemwidrige Härte vor. Denn die Antragstellerin ist von einer Inanspruchnahme der Grundsicherung nur deshalb ausgeschlossen, weil ein ihrer Söhne über ein besonders hohes Einkommen verfügt. Nachdem das Einkommen des Antragsgegners unter einem Betrag von 100.000,00 € liegt, stellt seine Heranziehung zum Unterhalt eine besondere Belastung dar.

„Es ist der Antragstellerin daher im vorliegenden Fall nach Treu und Glauben auch unter Berücksichtigung des Gebots der familiären Rücksichtnahme zuzumuten, von einer Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche gegen den Antragsgegner abzusehen“, so der BGH.

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http://www.kanzlei-cofala.de/elternunterhalt/


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