Erfolgreiche Rechtsbeschwerde: Verwerfungsurteil nach Entbindungsantrag = Versagung rechtlichen Gehörs !

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Das Amtsgericht Heilbronn hatte den Einspruch des abwesenden Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid (Vorwurf der Missachtung eines LKW-Überholverbots) verworfen, obgleich im Vorfeld ein Entbindungsantrag (Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht) gestellt worden war. 

Das geht so nicht, entschied das OLG Stuttgart - 4 Rb 26 Ss 897/21 - per Beschluss am 10.11.21 (nachfolgend wörtlich wiedergegeben). 

Zudem stellte es klar, welche Anforderungen an ein Verwerfungsurteil zu stellen sind - die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts nebst formelhaften Wendungen reicht jedenfalls nicht:

'Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. August 2021 wird         zugelassen. Das Urteil des  Amtsgerichts Heilbronn  vom 16. August 2021 wird auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mitsamt den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Heilbronn  zurückverwiesen. 

Gründe: 

Mit dem  angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Heilbronn den Einspruch des Betroffenen gegen den  Bußgeldbescheid des  Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 4. Mai 2021 wegen Miss achtens eines Überholverbots nach  § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In dem Termin zur Hauptverhandlung vom 16. August 2021 war weder der Betroffene noch sein Verteidiger [Anm. d. R.: Rechtsanwalt Kurt Spangenberg] erschienen. 

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde  zuzulassen, das Urteil aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung  an das Amtsgericht Heilbronn zurückzuverweisen. Es  ist geboten, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. August 2021  gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen. Der Betroffene dringt mit der erhobenen Verfahrensrüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) durch. 

Die Generalstaatsanwaltschaft führt zur Begründung ihres Antrags Folgendes aus: 

„Der Betroffene rügt, das  Amtsgericht habe  mit  dem  angefochtenen  Urteil seinen zulässigen Einspruch  zu  Unrecht gemäß § 74  Abs.  2 OWiG verworfen, da  es einen  zuvor gestellten Antrag auf Entbindung  des  Betroffenen von der Verpflichtung zum  persönlichen Erscheinen nach § 73  Abs. 2  OWiG  schlicht  übergangen  habe, obwohl die Voraussetzungen des §  73 Abs.  2 OWiG vorgelegen  hätten, worin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu sehen  sei. Das  Gebot  des  rechtlichen Gehörs   soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren  Grund in unterlassener   Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben   (BVerfG,   Kammerbeschluss  vom  24.  Februar 1992 - 2 BvR 700/91,  Juris Rn.13f.). Der    Anspruch auf Gewährung   rechtlichen  Gehörs ist demnach auch verletzt, wenn  das Gericht über den   Antrag des Betroffenen auf  Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der   Hauptverhandlung nicht oder ohne  eine auf §  73 Abs. 2   OWiG  zurückführbare Begründung  ablehnend  entscheidet und  sich auch  im Urteil mit den Gründen, die  zur Rechtfertigung des Antrags geltend  gemacht wurden, nicht befasst (OLG  Köln, Beschluss   vom  16. Oktober 2012 - Ill-1 RBs 265/12, Juris Rn. 9; Göhler, aa0, § 80 Rn. 6b mwN). Die Rüge  der Verletzung rechtlichen Gehörs   muss mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht   werden, welche die   Voraussetzungen nach § 344  Abs.  2 Satz 2 StPO i. V. m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG erfüllt (Göhler, aa0, § 80 Rn.16a). Hierzu sind die den  Mangel enthaltenden   Tatsachen so vollständig und so genau anzugeben, dass das  Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann,  ob ein Verfahrensfehler vorläge,  wenn die  behaupteten Tatsachen  erwiesen wären  (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO,  64. Auflage  2021, § 344 Rn. 21 mwN;  st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom   19.   Dezember 2018 -  2 StR 247/18, juris). Hierzu müssen  die  für den  Beschwerdevortrag wesentlichen  Schriftstücke oder Aktenstellen (samt darin in  Bezug genommener Unterlagen) durch wörtliche Zitate bzw. eingefügte Abschriften  oder  Ablichtungen  zum  Bestandteil der  Rechtsbeschwerdebegründung gemacht   werden (KK-StP0/Gericke,  8. Auflage 2019, StPO, § 344  Rn. 39). Die Verfahrensrüge  des Betroffenen entspricht diesen Anforderungen. Der Betroffene bringt vor, er habe mit Verteidigerschriftsatz vom 26.07.2021 und Vorlage einer Vertretungsvollmacht des  Verteidigers beantragt, ihn von  der Verpflichtung zur Anwesenheit in allen  weiteren anstehenden  Verhandlungen  zu entbinden.   Er habe die Fahrereigenschaft eingeräumt und  angekündigt, keine  weiteren Angaben  in der  Sache  zu   machen. Das  Amtsgericht  habe diesen  Antrag nicht  beschieden  und mit dem  angefochtenen Urteil  seinen Einspruch verworfen,   ohne sich zu  dem  Entbindungsantrag zu verhalten.  Da das Amtsgericht  den rechtzeitig gestellten Entbindungsantrag  übergangen hat, musste  der Betroffene nicht darlegen, was er zur Sache  vorgetragen  hätte  (OLG  Dresden, Beschluss vom 24. Juli 2013  -  OLG 21  Ss 551/13 (Z), juris Rn. 7; Göhler, aa0, § 80 Rn. 16c).  Das Amtsgericht  hat den  Antrag des Betroffenen auf  Entbindung  von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung  rechtsfehlerhaft unbeschieden gelassen. Bei  der Verwerfung eines  Einspruchs  nach §  74  OWiG  muss  sich das  Gericht in den  Urteilsgründen mit  den   Einwendungen und  Bedenken gegen eine  Verwerfung auseinandersetzen,  insbesondere  auch  mit der Zulässigkeit des   Antrags und  dessen   Begründung,  den Betroffenen  von der   Verpflichtung zum Erscheinen  in  der Hauptverhandlung   zu entbinden, sowie den  Erwägungen zur Ablehnung   des Antrags.      

Das Urteil ist schon dann fehlerhaft,  wenn es  den Entbindungsantrag  des Betroffenen  nicht erwähnt  (OLG  Stuttgart, Beschluss vom 05. März  2002 - 4   Ss 46/2002,  juris mwN;  Göhler,  aa0,  §  74 Rn. 34f.). 

Hatte der Betroffene in  seinem  Entbindungsantrag erklären lassen,  er  gestehe seine  Fahrereigenschaft zu und werde  in der  Hauptverhandlung  keine  Angaben  machen,  ist dem  Entbindungsantrag  zu  entsprechen, weil eine weitere  Sachaufklärung durch den  Betroffenen in  der Hauptverhandlung nicht  zu erwarten ist. Ein Ermessen steht dem  Amtsgericht insoweit nicht zu  (OLG Stuttgart, aa0;  Göhler, aa0, §  73  Rn. 5). Hierzu verhält sich das  angefochtene  Urteil nicht.  Die   angefochtene  Entscheidung verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

  Denn  wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht  zum Erscheinen  in der  Hauptverhandlung zu entbinden, nicht beschieden und ergeht  daraufhin ein Verwerfungsurteil  nach  § 74  Abs.  2  OWiG, liegt die  Verletzung  des rechtlichen  Gehörs darin, dass   das Gericht nicht in Abwesenheit des  Betroffenen dessen Einlassung oder  Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag   ge-      stützt wird (§ 73 Abs. 2  OWiG),  zur Kenntnis  genommen  und bei seiner  Entscheidung  in der  Sache erwogen,  sondern mit dem  Prozessurteil den Einspruch  des  Betroffenen verworfen hat. 

Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das  Gericht seine  Erklärungen  - hier die Einräumung  der Fahrereigenschaft  und die   Aussageverweigerung in  der  Sache  - zur  Kenntnis nimmt  und  in seiner Abwesenheit in  der Sache  entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen  eines  Abwesenheitsverfahrens  erfüllt sind (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss  vom 28.   Dezember    2020 -  1 OLG   53   Ss-OWi 638/20, juris Rn.  12 mwN; vgl.  auch OLG Dresden,  aa0; Göhler,  aa0, § 80 Rn.   16b mwN). 

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. 

Insbesondere kann das Urteil schon aufgrund der sich aus bloßen Formularstücken   zusammengesetzten und  sich nicht - wie geboten (vgl. Göhler, aa0, 18. Aufl., § 74 Rn. 34, 35) - mit den Voraussetzungen der  Verwerfung auseinandersetzenden Begründung keinen Bestand  haben. Da   gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist auch dieses ausreichend zu begründen.  Inhaltlich müssen die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen zu erkennen sein, auf denen  das Urteil beruht. Die bloße Wiedergabe  des Gesetzeswortlauts sowie allgemeine oder formelhafte  Wendungen  sind insoweit nicht ausreichend  (Göhler, aa0, mwN). Das Urteil gibt vorliegend gerade keine Auskunft darüber, warum  das Gericht dem Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht nachgegangen ist.'

Foto(s): Kurt Spangenberg

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