EuGH C-66/19: „Millionen“ Kreditverträge widerruflich?

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EuGH: Verletzt der „Kaskadenverweis“ die Verbraucherkreditrichtlinie?

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu dem Az. C-66/19 elektrisiert Verbraucherschützer und Banken. Der nahezu in jeder Widerrufsinformation enthaltene sog. Kaskadenverweis soll nicht den Vorgaben der europarechtlichen Verbraucherkreditrichtlinie entsprechen, gewissermaßen rechtswidrig sein.

Der Kaskadenverweis lautet meist so:

Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Hintergrund des Kaskadenverweises ist, dass die Widerrufsfrist für den Verbraucher erst beginnt, wenn die Bank einen Katalog von Informationspflichten („Pflichtangaben“) erfüllt hat. Werden die Informationspflichten nicht erfüllt, beginnt die Frist nicht. Wenn sie nicht beginnt, kann sie aber auch nicht enden. Auf die im Gesetz verstreuten Informationspflichten verweist besagter § 492 II BGB.

Folgt man dem Verweis des § 492 II BGB in die weiteren Verästelungen vieler Paragraphen, kann man sich aber leicht verirren, zumal als Verbraucher. Der Verbraucher muss aber klar und prägnant über sein Widerrufsrecht und den Fristbeginn belehrt werden. Schafft die Bank das nicht, ist der Widerruf noch Jahre später möglich.

Heißt das nun, dass alle Kredit- und Leasingverträge, die eine Widerrufsinformation mit Kaskadenverweis enthalten, widerruflich sind? So der Tenor vieler optimistischer Meldungen.

EuGH-Urteil wirkt sich nicht zwangsläufig aus

Hier ist aber Vorsicht geboten. Keinesfalls ist damit zu rechnen, dass nun problemlos Millionen Kreditverträge, ob nun Autofinanzierungen oder Immobilienfinanzierungen oder Leasingverträge, einfach so widerrufen werden können.

Zunächst hat der EuGH nicht ausgesprochen, dass eine Widerrufsinformation, die diese Formulierung enthält, automatisch falsch ist. Liest man genau, hat er vielmehr ausgesprochen, dass ein bloßer Verweis im Kreditvertrag oder den allgemeinen Vertragsbedingungen auf die gesetzlichen Bestimmungen, die die Informationspflichten enthalten, nicht klar und prägnant genug im Sinne der europarechtlichen Verbraucherkreditrichtlinie ist. Denn der Verbraucher, so der EuGH, muss eindeutig darüber belehrt werden, welche Informationspflichten die Bank überhaupt hat. Nur dann kann er wissen, ob sie die Pflichten auch vollständig und richtig erfüllt hat und somit die Widerrufsfrist begonnen hat zu laufen. 

Der Kaskadenverweis reicht also nach EuGH nicht aus, um die Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie zu erfüllen. Aber: Die Verbraucherkreditrichtline richtet sich an den nationalen Gesetzgeber. Er soll entsprechende Gesetze erlassen. Sie entfaltet keine unmittelbare Wirkung zwischen Kunde und Bank.

Kaskadenverweis in vielen Fällen wohl bedeutungslos

Nahezu alle Verbraucherkreditverträge beinhalten einen Kaskadenverweis in einer eingerahmten Widerrufsinformation. Ein solcher Kaskadenverweis wurde vom BGH bereits in Augenschein genommen und für unbedenklich erklärt, und zwar u. a. deshalb, weil er das nationale deutsche Gesetz wiedergibt und vom Wortlaut her dem gesetzlichen Muster für die Widerrufsinformation entspricht. Dieses Muster können Banken für Verbraucherdarlehen verwenden. Dieses Muster hat Gesetzesrang und gilt daher als richtig (selbst wenn es, auf welche Weise auch immer, unzulänglich wäre; das ist die sog. Gesetzlichkeitsfiktion). Das insoweit eindeutige deutsche Gesetz hat dabei vor der Verbraucherkreditrichtlinie und Entscheidungen des EuGH Vorrang. Kein deutsches Gericht darf sich nämlich über klare und eindeutige nationale Gesetze hinwegsetzen, Urteile „contra legem“ treffen.

 (Update 22.04.2020. BGH, Beschluss vom 21.3.2020 - XI ZR 198/19, Rz. 10: Kaskadenverweis unerheblich, wenn Widerrufsinformation dem gesetzlichen Muster entspricht; dies ausdrücklich unter Berücksichtigung von EuGH C-66/19).

Im Ergebnis heißt das, dass der deutsche Gesetzgeber möglicherweise die Verbraucherkreditrichtlinie unzureichend umgesetzt hat und in der Folge auch die Darlehnsverträge der Banken, die wiederum das Gesetz umsetzen, ebenfalls fehlerhaft sind, dies aber nicht unbedingt jedem Darlehnsnehmer beim Widerruf etwas nützt.

In welchen Fällen sich die Chancen verbessert haben

Die Chancen dürften sich jedoch verbessert haben, wenn die im Vertrag enthaltene Widerrufsinformation nicht dem gesetzlichen Muster entspricht und dem Vertrag auch ansonsten nicht zu entnehmen ist, welche Pflichtangaben die Bank eigentlich machen muss, sprich, wenn der Katalog nicht aufgezählt wird. Das kommt durchaus vor.

(Update 05.02.2021: Der Bundesgerichtshof urteilt nun ausdrücklich, dass Widerrufsinformationen mit Kaskadenverweis fehlerhaft sind, wenn sie nicht genau dem gesetzlichen Muster entsprechen, BGH XI ZR 525/19, XI ZR 498/19).

Weiterhin ergeben sich nun zusätzliche Argumente für den Widerruf von Leasingverträgen, da es für Leasingverträge gar kein wörtlich vorformuliertes gesetzliches Muster gibt.

Unberührt bleiben die Chancen in Fällen, in denen die Bank ihre Informationspflichten ungeachtet der Widerrufsinformation nicht richtig erfüllt hat. Zu dem Katalog der Pflichtangaben gehören nämlich u. a. Angaben zu der Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung und ein Hinweis darauf, dass der Darlehensnehmer einen Anspruch auf einen Tilgungsplan hat. Fehler liegen hier nicht nur, aber z. B. bei der Mercedes Benz Bank, der VW Bank ab 2017 (auch Seat, Audi und Skoda), der Toyota Bank und der MKG Bank vor.

Ansonsten ist derzeit viel im Fluss. Ob und inwieweit der BGH seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere zu dem Widerruf von Autofinanzierungen (bisher eher restriktiv, aber nur zu bestimmten Verträgen bestimmter Banken, mit vielen Verträgen konnte der BGH sich noch gar nicht befassen), tatsächlich ändern wird, ist schwer zu prognostizieren. Eine Garantie vor Gericht gibt es nicht, auch nicht mit der Entscheidung des EuGH im Rücken. Prozesse weisen weiterhin ein Risiko auf. Geklagt werden sollte nur mit der Kostendeckung einer Rechtsschutzversicherung. 

Ein Rechtsanwalt, der allein mit Verweis auf die EuGH-Entscheidung, welche vermeintlich wie ein "As" alles andere schlage, zur Klage rät, wird sich wegen Falschberatung haftbar machen.

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