EUGH-Entscheidung zur „Kaskadenverweisungen“ als „Widerrufsjoker“ für Verbraucherdarlehen?

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Der EUGH hat mit Urteil vom 26.03.2020 – Rs C-66/19 – entschieden, dass das seit dem 30.07.2010 im EGBGB verankerte deutsche Belehrungsmuster über Widerrufsinformationen bei Verbraucherdarlehensverträgen nicht den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie Art. 10 Abs. 2 lit. p. der Richtlinie 2008/48/EG entspricht.

Sachverhalt: Kaskadenverweisung widerspricht europäischer Verbraucherkreditrichtlinie

Grundlage der Entscheidung war, so Rechtsanwalt Sascha C. Fürstenow von FÜRSTENOW Anwaltskanzlei, eine Vorlage zur Vorabentscheidung des LG Saarbrücken vom 17.01.2019 – Az. 1 O 164/18 – im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Verbraucher und der Kreissparkasse Saarlouis über die Frage, ob der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Das LG Saarbrücken ersuchte den EUGH diesbezüglich zur Auslegung der Frage, ob der im Belehrungsmuster nach Anlage 6 EGBGB a.F. enthaltene „Kaskadenverweis“ mit dem Art. 10 Abs. 2 lit. p. der Richtlinie 2008/48/EG, wonach eine Widerrufsinformation „klar“ und „prägnant“ sein muss, vereinbar ist. Der EUGH entschied (Urteil vom 26.03.2020 – Rs C-66/19) das ein „Kaskadenverweis“ mit dieser Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG Art. 10 Abs. 2 lit. p. nicht vereinbar ist.

Das seit dem 30.07.2010 im EGBGB verankerte deutsche Belehrungsmuster über Widerrufsinformationen bei Verbraucherdarlehensverträgen enthält einen sogenannten „Kaskadenverweis“, d.h. es verweist für die Anforderungen zur Bestimmung der Widerrufsfrist auf eine Rechtsvorschrift, die wiederum auf eine Rechtsvorschrift verweist, so dass der Verbraucher mehrere Gesetzesvorschriften lesen und verstehen muss, um den Beginn der Widerrufsfrist zu bestimmen. Dies – so der EUGH, verstoße gegen die Richtlinie Art. 10 Abs. 2 lit. p. der Richtlinie 2008/48/EG, in der bestimmt wird, dass eine Widerrufsinformation „klar“ und „prägnant“ sein muss.

Konkret geht es um den Satz, der den Verbraucher erklären soll, wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt:

Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (…) erhalten hat.

Dieser Satz ist bei allen Darlehensverträgen, die die Musterwiderrufsinformation aus dem EGBGB verwendet haben, seit dem 11.06.2010 enthalten.

Stellt diese Entscheidung wirklich einen „Widerrufsjoker“ dar?

Diese Entscheidung besagt, dass das seit dem 30.07.2010 als Gesetz verankerte und auch schon zuvor als Verordnung bestehende durch den Gesetzgeber formulierte Widerrufsbelehrungsmuster nicht den Richtlinien der EU entspricht. Wenn nun durch diese Entscheidung dieses Muster als unwirksam gelten würde, könnte man dieses durchaus als „Widerrufsjoker“ bezeichnen, da den Verbraucherdarlehensnehmer hiermit der Weg zum Widerruf der Verbraucherdarlehen eröffnet sein würde. Dies bleibt jedoch noch abzuwarten, denn der BGH hatte bereits zuvor hierzu entschieden und auch klargestellt, dass der ausdrücklich durch den deutschen Gesetzgeber gefasste „Kaskadenverweis“ im Widerrufsbelehrungsmuster auch bei einer gegenteiligen Ansicht des EUGH nicht als unwirksam anzusehen sei.

Die Verbraucherdarlehensgeber haben sich durch Nutzung dieses Musters an das deutsche geltende Gesetz gehalten und könnte sich als „Bestandsschutz“ durchaus berufen, sich an geltendes Recht gehalten zu haben, so Rechtsanwalt Fürstenow.

Und auch den Gerichten blieb und bleibt hier aufgrund eines abschließenden und eindeutigen durch den Gesetzgeber formulierten Musters für die Widerrufsinfomationen bei Verbraucherdarlehensverträgen keine Auslegungsspielräume für eventuelle Entscheidungen im Sinne dieser EUGH-Entscheidung.

Demnach käme hier eher eine Haftung des Gesetzgebers (Staatshaftung) in Betracht, da dieser die Umsetzung der Richtlinie nicht unionsrechtskonform gestaltet hat. Zunächst muss wohl der Gesetzgeber das Belehrungsmuster der Rechtsprechung des EUGH anpassen. In einem solchen Falle wären dann nicht die darlehensgebenden Banken, sondern der Staat im Rahmen eines Schadensersatzes heranzuziehen, meint Rechtsanwalt Sascha C. Fürstenow.

Weiter bleibt zunächst abzuwarten, ob sich der BGH nunmehr der Rechtsprechung des EUGH anpasst oder an seiner älteren Rechtsprechung festhält und die Entscheidung des EUGH zur Unwirksamkeit der „Kaskadenverweisung“ im deutschen Belehrungsmuster für Widerrufsinformationen bei Verbraucherdarlehensverträgen ein „Widerrufsjoker“ für Verbraucher wird.  

Was bedeutet das für den Verbraucher?

In Presse und Internet wird massiv der „neue Widerrufsjoker“ mit „Hammer-Urteil“ und „jeder Kreditvertrag ist widerrufbar“ angepriesen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Sache nicht ganz so simpel ist, wie sie dargestellt wird. Die Rechtsprechung des EUGH wirkt nicht automatisch auf bereits abgeschlossene Darlehensverträge. Es ist daher Vorsicht geboten. Darlehensnehmer sollten daher eher abwarten, wie die deutschen Gerichte – und vor allem der BGH – mit dem EUGH-Urteil umgehen werden, rät Rechtsanwalt Fürstenow von FÜRSTENOW Anwaltskanzlei.

Haben Sie Fragen zu dem Urteil des EUGH und dessen möglichen Folgen? Rechtsanwalt Sascha C. Fürstenow, FÜRSTENOW Anwaltskanzlei, steht Ihnen zur Verfügng.


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