„Gaffen“ ist vielleicht unmoralisch, aber meistens legal

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„Gaffen ist eine Straftat“ heißt es kernig in der Überschrift einer Facebook-Mitteilung der Polizei Hagen.

Zunächst mal ist es schön, dass zwischenzeitlich auch eine Vielzahl von Behörden Social Media entdeckt haben. Ehrlich gesagt würde ich mir dabei gelegentlich – wie in diesem Fall – etwas mehr kühlen Sachverstand und etwas weniger Emotionen wünschen.

Aber bleiben wir beim konkreten Beispiel. Um es kurz zu sagen: Gaffen ist keine Straftat. Das Betrachten von Unfall- oder Einsatzstellen ist in diesem wunderschönen Deutschland nämlich strafrechtlich gar irrelevant. Das stellt dann das Polizeipräsidium Hagen einige Textzeilen später auch klar, freilich etwas umständlich formuliert: „Das Fotografieren oder Filmen von verletzten oder gar toten Unfallopfern ist eine Straftat und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.“ Ach so, es geht nicht um das Gucken, sondern um Filmen und Fotografieren. Offenbar brauchte man aber eine kernige Überschrift, Behörden-Öffentlichkeitsarbeit auf Bildzeitungsniveau.

Nebenbei gesagt wird auch nicht jedes „Fotografieren oder Filmen von Unfallopfern“ eine Straftat gemäß § 201a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) darstellen. Dieser Straftatbestand ist sehr umständlich abgefasst und ist durch zahlreiche Tatbestandsmerkmale weitaus weniger praktikabel, als sich das der ein oder andere wünscht. So werden zum Beispiel bloße Übersichtaufnahmen einer Einsatzstelle kaum je nach § 201a StGB strafbar sein. Nebenbei bemerkt sind solche Übersichtsaufnahmen in der Regel auch persönlichkeitsrechtlich meistens unbedenklich, da es sich um ein „relatives Ereignis der Zeitgeschichte“ handelt.

Aber zurück zum bloßen „Gaffen“: Solange man dabei Einsatzkräfte nicht behindert und niemanden gefährdet, auch nicht sich selbst, ist das „Gaffen“ gänzlich legal. Um es klar zu sagen: Wieso man damit ernsthaft seine Zeit verbringen möchte, ist mir nicht so ganz nachvollziehbar, aber gut. Dass das Ganze zudem sehr dissoziale Züge haben kann, geschenkt. Strafbar ist es trotzdem nicht, wie so manch anderes moralisch fragwürdiges Verhalten.

„Doch auch wer keine Fotos macht und ‚nur gafft‘, begeht eine Ordnungswidrigkeit.“ heißt es in dem Facebook-Posting weiter. Aha, das war mir jetzt ehrlich gesagt neu und stellt auch praktisch spannende Fragen: Sollte ich beim Anblick einer Unfallstelle sofort die Augen schließen? Und falls ja, werde ich dann von der Polizei außer Sichtweite geführt, um mich gefahrlos entfernen zu können? Wann bin ich „zufälliger Betrachter“ oder „interessierter Bürger“, wann bin ich „Gaffer“? Darf ich noch aus dem Fenster schauen, wenn ein Unfall vor meiner Haustür passiert? Fragen über Fragen. Die Antwort ist juristisch einfacher als man denkt. Die Aussage bloßes Gaffen sei (zumindest) eine Ordnungswidrigkeit ist nämlich ebenso schlicht falsch. Simples „Gaffen“ ist auch keine Ordnungswidrigkeit.

Keine Rettungsgasse zu bilden ist eine Ordnungswidrigkeit, langsamer mit dem Auto zu fahren, um gaffen zu können ebenso. Auf der Autobahn rumlaufen auch (und zudem lebensgefährlich). Unfall- und Einsatzstellen angucken, ist legal. Punktum. Eine Quelle für das Gegenteil wird auch die Polizei Hagen nicht benennen können.

Bleibt für mich eine Frage: Sollte die Öffentlichkeitsarbeit einer Behörde wirklich so aussehen?


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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