Geplante Regelbedarfserhöhung für das SGB II für 2022 unzureichend- Gutachten von Prof. Lenze vom 30.09.2021

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In einem aktuellen Gutachten von Prof. Lenze vom 30. September 2021 beschäftigt sich diese ausführlich mit der geplanten Regelsatzerhöhung für das Jahr 2022 auf dem Gebiet des SGB II, auch als Hartz IV umgangssprachlich bezeichnet.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die geplante  Erhöhung zum 01. Januar 2022 unzureichend ist.

Sie führt in ihrer Zusammenfassung folgendes aus:

Die geringfügige Erhöhung der Regelbedarfe zum 1.1.2022 wird daher absehbar zu einer erheblichen Kaufkraftminderung der Grundsicherungsempfänger*innen führen.

Das BVerfG hat sich in seinen beiden Grundsatz-Entscheidungen mit der Gefahr plötzlicher Preissteigerungen beschäftigt. In seiner ersten Entscheidung vom 9.2.2010 führte es dazu aus: 

Der Gesetzgeber hat daher Vorkehrungen zu treffen, auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Preissteigerungen oder Erhöhungen von Verbrauchsteuern, zeitnah zu reagieren, um zu jeder Zeit die Erfüllung des aktuellen Bedarfs sicherzustellen, insbesondere wenn er wie in § 20 Abs. 2 SGB II einen Festbetrag vorsieht. 

In seiner Entscheidung vom 23.7.2014 fordert das BVerfG, dass auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auf Preissteigerungen oder auf die Erhöhung von Verbrauchsteuern zeitnah reagiert werden müsse, um sicherzustellen, dass der aktuelle Bedarf gedeckt wird.40 „Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“

In dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 17.10.2016 führt die Bundesregierung selber aus: „Um auch kurzfristige Preisentwicklungen beobachten zu können, erhält das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom Statistischen Bundesamt nicht nur einmal jährlich die Veränderungsrate der regelbedarfsrelevanten Preise für die Fortschreibung der Regelbedarfe, sondern auch monatlich den aktuellen Indexwertewert für diesen Preisindex. Zudem veröffentlicht das Statistische Bundesamt monatlich zur Monatsmitte zusammen mit der Pressemitteilung zur Verbraucherpreisentwicklung Daten zur Entwicklung aller wichtigen Kategorien von Gütern und Dienstleistungen (Fachserie 17 Reihe 7). Auf Basis dieser Zahlen und der Struktur der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (siehe Begründung zu Artikel 1 § 7) lassen sich außergewöhnliche Preisentwicklungen und deren Auswirkungen auf das regelbedarfsrelevante Preisniveau unterjährig beobachten.“ Ein Einschreiten sei aber aufgrund der niedrigen Preisentwicklung der vorangegangenen Jahre nicht erforderlich gewesen.

Im Fall der steuerlichen Freistellung des menschenwürdigen Existenzminimums hat das BVerfG in einer Entscheidung vom 10.11.1998 zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzgeber nicht damit rechtfertigen könne, es seien Bedarfszahlen für die Zukunft festzulegen, ohne die künftige Entwicklung sicher voraussagen zu können. Der existenznotwendige Bedarf – so das BVerfG – sei nämlich in der Bundesrepublik in den vergangenen 50 Jahren regelmäßig gestiegen, nicht gesunken. Die Anpassung des einkommensteuerlichen Existenzminimums habe mit diesen Steigerungsraten regelmäßig nicht Schritt gehalten. Deswegen wäre allenfalls ein – vorsorgliches oder kompensierendes – Überschreiten der Mindestwerte geboten.43 Diese Situation ist vorliegend gegeben. Die Inflation liegt seit August 2021 gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres bei 3,9 Prozent.  Eine Anpassung der Regelbedarfe in Höhe von 0,76% zum 1.1.2022 führt evident zu einem spürbaren Kaufkraftverlust von Bezieher*innen von Grundsicherungsleistungen und zu einer Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums.

Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums ist umso geringer, je weiter er seinen Spielraum in den zurückliegenden Jahren ausgeübt hat: Da die Regelbedarfe nach Auffassung des BVerfG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 schon am untersten Rand des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren lagen, muss die absehbare Kaufkraftminderung durch die aktuelle Preisentwicklung, die aber nach der Regelung des § 28 SGB XII de lege lata noch nicht zu berücksichtigen ist, umso dringlicher abgewendet werden, um ein weiteres Absinken der Regelbedarfe unter die Schwelle des menschenwürdigen Existenzminimums abzuwenden. 

Insofern kann jedem SGB II-Empfänger nur angeraten werden, gegen den bald versendeten Änderungsbescheid im November 2021 zur Anpassung der Regelbedarfe für das Jahr 2022 Widerspruch einzulegen und die Beratung eines auf dem Gebiet des Sozialrechts tätigen Rechtsanwaltes in Anspruch zu nehmen.

Die exorbitant gestiegenen Verbrauchs- und Energiepreise bestätigen, dass die geplante Erhöhung der Regelbedarfe aus dem SGB II und SGB XII völlig unzureichend sind.

Nur bei einem eingelegten Widerspruch bleibt die Möglichkeit, gegen die geplante Regelsatzerhöhung vorzugehen!


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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