Geschwindigkeitsverstoß: Übersehen des Ortseingangsschildes - Aufhebung des Fahrverbotes?

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Sonntags morgens auf der Landstraße. Das Auto schnurrt durch die Kurven. Man kommt zügig voran. Plötzlich ein Blitzer. Erstaunt erfährt der Fahrer, dass er doppelt so schnell wie erlaubt gewesen sein soll. Er habe sich innerhalb einer geschlossenen Ortschaft befunden. Nun könne er sich auf zwei Monate Fahrverbot einstellen.  Muss man so etwas hinnehmen?

Nein, muss man nicht. Hat der Fahrer ein Ortseingangsschild übersehen, kann dies ein sog. Augenblicksversagen begründen. Wird das Augenblicksversagen nachvollziehbar und beweisbar begründet, müssen Bußgeldstelle oder Gericht eine Ausnahme von der Verhängung eines Fahrverbots machen.  Grund:  Die Verhängung eines Fahrverbotes setzt  voraus, dass dem Regelverstoß in subjektiver und objektiver Hinsicht ein grob fahrlässiges Verschulden des Fahrers zugrunde liegt.  Auf die bloße Behauptung hin, man habe das Ortseingangsschild übersehen, wird die Bußgeldstelle oder der Richter aber nicht vom Fahrverbot absehen. Es muss feststehen, dass das Übersehen des Ortsschildes nicht bereits selbst grob fahrlässig war. 

Ein Augenblicksversagen ist denkbar, wenn die Ortstafel schwer erkennbar war und sich der innerörtliche Charakter des „Tatortes" auch nicht für jedermann aufdrängt.  Dies kann in Fällen anzunehmen sein, in denen das Ortseingangsschild nicht unmittelbar im Bereich der bebauten Ortslage steht und im Bereich der „Radarfalle" aufgrund lückenhafter Bebauung der Eindruck einer außerörtlichen Straße erweckt wurde. Auch bei „Wohn- und Industriebebauung sowie in kurzen Abständen links und rechts von der Straße vorhandenen Bushaltestellen" drängt sich  nach der Rechtsprechung die Erkennbarkeit einer innerörtlichen Straße noch nicht auf.

In solchen Fällen wird dem Fahrer kein grobes Verschulden für die Geschwindigkeitsüberschreitung angelastet werden können. Dem Regelverstoß liegt einfache Fahrlässigkeit zugrunde, so dass ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht verhängt werden darf.    

Anders sieht es natürlich aus, wenn der Betroffene in der Nähe des „Tatortes" wohnt und ortskundig ist.

Das Gericht hat sich in jedem Fall im Urteil mit der Einlassung des Betroffenen auseinanderzusetzen, er habe das Ortseingangsschild übersehen und es habe sich ihm der innerörtliche Charakter der Strecke aufgrund der äußeren Umgebung der Strecke auch nicht aufdrängen müssen.

Ist der Richter der gegenteiligen Ansicht, muss er ausreichend und nachvollziehbar die Gründe dafür schildern,  dass der Betroffene davon ausgehen musste, sich innerhalb einer geschlossenen Ortschaft zu befinden. Dabei reicht es nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden nicht aus, wenn der Richter in seinem Urteil auf 61 Fotos verweist, die von der Polizei von der Fahrtstrecke gefertigt wurden um die Innerörtlichkeit zu belegen. Liegen solche Lichtbilder vor, müssen diese in ihrem Aussagegehalt vom Richter interpretiert werden - zumindest wenn die Bilder eine vielfältige und unterschiedliche Randbebauung zeigen.

Im Falle der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden hatte der Anwalt des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts, das seinen Mandanten zu einer Geldbuße von 125,00 Euro und einem Monat Fahrverbot verurteilt hatte, Rechtsbeschwerde eingelegt.

Das Rechtsmittelgericht (OLG Dresden) entschied, dass die bloße Bezugnahme des Tatrichters auf die Lichtbilder in der Ermittlungsakte nicht ausreiche, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Nachprüfung dahingehend zu ermöglichen, ob sich das Tatgericht ausreichend mit der Einlassung des Betroffenen (er habe das Ortseingangsschild übersehen und auch anhand der äußeren Umgebung nicht zu erkennen vermocht, dass er sich innerorts befinde, wo 50 km/h Höchstgeschwindigkeit gelten) auseinandergesetzt hat. Wenn die Bilder verschiedene Rückschlüsse zulassen, bedürfe es - so der Senat - zumindest einer knappen Beschreibung der einzelnen Lichtbilder, welche die Innerörtlichkeit ausreichend belegen.

Deshalb hätte das Oberlandesgericht die Sache eigentlich an das Amtsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen gehabt. Weil jedoch bis zu einem erneuten Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht seit dem Geschwindigkeitsverstoß schon mehr als zwei Jahre verstrichen sein würden, sah das OLG die Verhängung eines Fahrverbotes als nicht mehr geboten an und hob den Rechtsfolgenausspruch des Amtsrichters auf (Der Anwalt des Betroffenen hatte die Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt). Das OLG verhängte nur noch eine Geldbuße und verzichtete auf die Verhängung des Fahrverbotes.

(OLG Dresden, Beschluss vom 18.12.2007, AZ: Ss (OWi) 779/07)               

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Der Verfasser, Rechtsanwalt Christian Demuth, ist Inhaber einer speziell auf das Thema Bußgeld und Straftaten im Straßenverkehr ausgerichteten, regional und überregional tätigen Kanzlei mit Sitz in der Landeshauptstadt Düsseldorf.


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