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Gesetzesänderungen im Juli 2023: Bürgergeld, E-Rezept und mehr

  • 8 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

Wichtige Änderungen beim Bürgergeld

Für Empfänger des seit 2023 existierenden Bürgergelds ändert sich ab Juli einiges. Die Regelbedarfssätze bleiben allerdings gleich und steigen erst ab Januar 2024. Dennoch kann Leistungsempfängern künftig durch veränderte Anrechnungen auf das Bürgergeld mehr Geld zur Verfügung stehen.

Mehr übrig vom Zuverdienst

Durch geänderte Freibeträge und Zuordnungen verringert sich die mögliche Anrechnung von Einkünften auf das Bürgergeld:

  • Wer monatlich zwischen 520,01 Euro und 1.000 Euro brutto verdient, dem bleiben vom Einkommen in diesem Bereich nun 30 Prozent. Zuvor wurden davon nur 20 Prozent nicht aufs Bürgergeld angerechnet. Für Einkommen gilt zudem weiterhin ein Grundfreibetrag von 100 Euro. Von Einkommen im Bereich zwischen 100 Euro und 520 Euro bleiben ebenfalls wie bisher nur 20 Prozent von einer Anrechnung befreit. Ebenso bleibt es für Einkommen oberhalb von 1.000 Euro bis 1.200 Euro beim bisherigen Freibetrag von 10 Prozent. Bei einem in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind gilt dieser Freibetrag für ein monatliches Bruttoeinkommen bis zu 1.500 Euro.
  • Für Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren gilt ein neuer Freibetrag für Einkommen von bis zu 520 Euro brutto im Monat. Ein entsprechendes Einkommen, das der Einkommensgrenze für Minijobs entspricht, wird nicht angerechnet.
  • Außerdem gelten ab Juli weitere Hinzuverdienstgrenzen für unter 25-Jährige für Einkommen aus einem Ferienjob. Dieses wird ebenfalls nicht mehr auf das Bürgergeld angerechnet. Allerdings müssen sie noch eine Allgemeinbildende Schule oder Berufsschule besuchen.
  • Zudem bleiben bis zu 3.000 Euro unberücksichtigt, die aus Aufwandsentschädigungen und nebenberuflichen Tätigkeiten stammen.
  • Mutterschaftsgeld wird anders als zuvor gar nicht mehr auf das Bürgergeld angerechnet.
  • Eine Erbschaft wird ab Juli nicht mehr als Einkommen behandelt, sondern als Vermögen. Für dieses gelten höhere Freibeträge.

Kooperationsplan ersetzt Eingliederungsvereinbarung

An die Stelle der bisherigen Eingliederungsvereinbarung tritt ab Juli nach und nach der Kooperationsplan. Dieser ist unverbindlicher als die bisher zwischen Jobcenter und Bürgergeldempfänger geschlossene Eingliederungsvereinbarung. Einerseits soll der Kooperationsplan dadurch das Vertrauen stärken. Andererseits will der Gesetzgeber damit auch rechtliche Schwierigkeiten lösen. Aufgrund zu stringenter Regeln hatte das Bundesverfassungsgericht nämlich die bisherige Sanktionspraxis für verfassungswidrig erklärt (Az.: 1 BvL 7/16). Diese stützte sich häufig auf Verstöße gegen die Eingliederungsvereinbarung.

Weitere Änderungen verringern die Sanktionen bei Verstößen. So sind Leistungsminderungen künftig nur noch bis zu 30 Prozent des Regelsatzes zulässig. Komplette Leistungskürzungen sind – zumindest in diesem Zusammenhang – nicht mehr möglich. Für eine Leistungskürzung muss ein Empfänger nun zuvor gegen eine konkrete Aufforderung des Jobcenters verstoßen haben. Verstöße gegen den Kooperationsplan genügen dagegen insofern nicht mehr. Denn dessen Inhalt enthält nur unverbindliche Absprachen. 

Neu ist insofern auch ein Schlichtungsverfahren, das Bürgergeldempfänger wie Jobcenter bei Konflikten im Zusammenhang mit dem Kooperationsplan verlangen können. Während seiner Dauer sind Leistungsminderungen unzulässig.

Erreichbarkeit wird Leistungsvoraussetzung

Ein vollständiger Leistungsverlust drohte bisher besonders bei Ortsabwesenheit eines Leistungsempfängers ohne Zustimmung des Jobcenters. Diese wird ab Juli durch die sogenannte Erreichbarkeit ersetzt, bei der ebenfalls die Möglichkeit des Leistungsverlusts besteht.

Erreichbarkeit verlangt, dass ein Leistungsempfänger das Jobcenter in angemessener Zeit und ohne unzumutbaren Aufwand und auf eigene Kosten aufsuchen können. Von der Erreichbarkeit gelten Ausnahmen bei Vorliegen wichtiger Gründe nach der Erreichbarkeitsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Zu diesen zählt beispielsweise die Teilnahme an einer Rehabilitation. 

Da bei Verstößen gegen die Erreichbarkeit der Verlust des Leistungsanspruchs möglich ist, sollten Leistungsempfänger die vorherige Zustimmung des Jobcenters einholen. Wird die Eingliederung nicht wesentlich beeinträchtigt, muss es diese erteilen.

Mehr Geld bei Weiterbildung

Wer eine Weiterbildung absolviert, kann ab Juli weitere Leistungen zum Bürgergeld erhalten. Das neue Weiterbildungsgeld gibt es, wenn diese zu einem anerkannten Berufsabschluss führt. Dieses beträgt monatlich 150 Euro und wird für maximal drei Jahre gezahlt.

Teilnehmer an einer mindestens 8 Wochen dauernden Weiterbildung, die lediglich ihre Beschäftigungschancen erhöht, können bis zu 75 Euro Bonus zum Bürgergeld erhalten. Wer sich bereits in einer Weiterbildung befindet, kann für deren restliche Dauer ab Juli die zuvor genannten Leistungen erhalten.

Neu ist zudem die Weiterbildungsprämie für das Bestehen von Prüfungen zum Erhalt eines Berufsabschlusses. Danach gibt es für eine erfolgreich bestandene Zwischenprüfung 1.000 Euro und für eine Abschlussprüfung nochmals 1.500 Euro.

Neue Pfändungsfreigrenzen

Zum 1. Juli jeden Jahres erfolgt regelmäßig die Anpassung der Pfändungsfreigrenzen. Bis zu diesen ist Einkommen durch Gläubiger unpfändbar. Folgende Beträge müssen Schuldnern danach ab Juli monatlich zur Verfügung bleiben:


ab 01.07.23

bis 30.06.23

Alleinstehende ohne Unterhaltsgläubiger

1.402,28 Euro

1.330,16 Euro

für 1. Unterhaltsgläubiger zusätzlich

527,76 Euro

500,62 Euro

für 2. bis 5. Unterhaltsgläubiger je weitere

294,02 Euro

278,90 Euro

Zusätzlich können Einkünfte, die bestimmten Zwecken dienen, unpfändbar oder nur bedingt pfändbar sein gemäß § 850a ZPO und § 850b ZPO. Dazu zählen beispielsweise Gefahrenzulagen, Ausbildungsbeihilfen und Renten- oder Unterstützungsleistungen. Weiterer Pfändungsschutz besteht für bestimmte Gegenstände durch § 811 ZPO.

Mehr Rente in Ost und West

Ab Juli steigen die gesetzlichen Renten und Hinterbliebenenrenten im Osten um 5,86 Prozent und im Westen um 4,39 Prozent. Die Inflationsrate lag im Zeitraum seit der letzten Rentenerhöhung im Juli 2022 allerdings wesentlich über den jeweiligen Rentensteigerungen. Insofern gleicht die Erhöhung den eingetretenen Kaufkraftverlust nicht aus.

Mit Beginn des Juli ist zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung der Rentenwert West und Ost gleich und beträgt 37,60 Euro. Der Rentenwert entspricht dem Wert eines Entgeltpunktes. Wer in einem Jahr den Durchschnittsverdienst aller Versicherten verdient, erhält insofern einen Entgeltpunkt für seine spätere Rente angerechnet. Die Anzahl der im Laufe des Rentenversicherungsverlaufs erworbenen Entgeltpunkte bestimmt dann zusammen mit den Faktoren Zugangsfaktor, Rentenartfaktor und aktuellem Rentenwert die monatliche Rentenhöhe.

Höherer Freibetrag für Hinterbliebenenrenten

Aufgrund der Verknüpfung mit dem Rentenwert steigt auch der Einkommensfreibetrag für Bezieher einer Witwen- bzw. Witwerrente, die auch als Hinterbliebenenrente bekannt ist. Ab Juli beträgt dieser dann 992,64 Euro. Die Höhe des Freibetrags ist gesetzlich an den Rentenwert geknüpft. Da dieser ab diesem Juli erstmals die gleiche Höhe in den alten und in den neuen Bundesländern hat, ist der Freibetrag nun ebenfalls erstmals gleich.

Für Kinder von Hinterbliebenenrentenbeziehern, die waisenrentenberechtigt sind, erhöht sich der Freibetrag jeweils um weitere 210,56 Euro. Kinder, die keine Waisenrente erhalten können, weil sie keine Kinder der verstorbenen Person sind, können ebenfalls berücksichtigt werden.

Von der Einkommensanrechnung gilt eine Ausnahme für die ersten drei Monate nach dem Tod des verstorbenen Versicherten. Erst nach diesem sogenannten Sterbevierteljahr kommt es dazu, wobei der Freibetrag greift.

Pflegeversicherungsbeiträge steigen

Die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöhen sich ab Juli. Der seit Januar 2022 geltende Beitragssatz für kinderlose Arbeitnehmer unter 23 Jahren steigt dann von 3,4 Prozent auf 4 Prozent. Wer Kinder unter 25 Jahren hat, zahlt dafür nun einen mit steigender Anzahl an Kindern geringeren Beitragssatz.

Bei einem Kind steigt der Beitrag von bisher 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent. Für jedes weitere Kind bis zu 5 Kindern sinkt der zu zahlende Pflegeversicherungsbeitrag dann um weitere 0,25 Prozent. So gilt für Versicherte mit 5 und mehr Kindern der Mindestbeitragssatz zur Pflegeversicherung von 2,4 Prozent. Damit wird die Kinderzahl stärker bei der Pflegeversicherung berücksichtigt, wie es das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte (1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 717/16).

Der Arbeitgeberanteil zur Pflegeversicherung beträgt ab Juli in allen Fällen 1,7 Prozent außer in Sachsen, wo dieser künftig bei 1,2 Prozent liegt. Grund ist die dort zur Finanzierung der Pflegeversicherung nicht erfolgte Streichung eines arbeitsfreien Feiertags. Der Arbeitgeberbeitrag zur Pflegeversicherung ist deshalb geringer. Rentner müssen den Pflegeversicherungsbeitrag dagegen vollständig selbst tragen. Der jeweilige Beitragssatz ist dabei bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung zu zahlen.

E-Rezept ersetzt Papierrezept 

Anstelle des Rezeptes auf Papier soll ab Juli die elektronische Gesundheitskarte zusammen mit einem Smartphone genügen. Voraussetzung ist, dass die Gesundheitskarte NFC-fähig ist und der PIN bekannt ist. Diesen teilt die Krankenkasse auf Anfrage mit. 

Alternativ können Versicherte eine E-Rezept-App zusammen mit einem Smartphone verwenden. Und zudem kann die Arztpraxis weiterhin einen Papierausdruck mit dem Rezept-Code für die Apotheke ausstellen.

Erwartete Vorteile des E-Rezepts sind insbesondere:

  • Weniger Papier und besserer Schutz vor Verlust des Rezepts
  • Folgerezepte lassen sich ohne erneuten Arztbesuch ausstellen
  • Anfrage per E-Rezept-App in der Apotheke, ob das Medikament vorrätig ist
  • Papierrezeptversand an Apotheke entfällt bei Medikamentenbestellung nach Hause
  • E-Rezept-App erleichtert die Rezeptverwaltung

Erleichterte Kurzarbeiterregeln enden

Mit dem 1. Juli enden die Zugangserleichterungen für den Erhalt von Kurzarbeitergeld. Diese waren Folge der Corona-Pandemie und bestanden seit März 2020. 

Mit dem Außerkrafttreten der zugrundeliegenden Verordnung gelten wieder die Kurzarbeitergeldregeln § 95 SGB III bis § 109 SGB III wie zuvor. Unter anderem gilt danach wieder die Voraussetzung, dass statt lediglich 10 Prozent wieder mindestens ein Drittel der Beschäftigten von einem Entgeltausfall von mindestens 10 Prozent betroffen sein muss.

Gasspeicherumlage erhöht sich

Zur Sicherung der Gasversorgung wurde im Oktober 2022 die Gasspeicherumlage eingeführt. Sie liefert einen Beitrag zu den zusätzlichen Kosten, die durch die Füllung der Gasspeicher vor den Wintermonaten entstehen, um die Gasversorgung zu sichern.

Die Gasspeicherumlage tragen alle Verbraucher und damit Privathaushalte wie Unternehmer über den Gaspreis. Ab Juli steigt diese von 0,059 Euro-Cent auf 0,145 Euro-Cent pro Kilowattstunde und damit um 150 Prozent.

Online-Handelsplätze müssen Elektrogesetz beachten

Betreiber elektronischer Marktplätze, auf denen Dritte Elektro- und Elektronikgeräte gewerblich anbieten und bereitstellen können, müssen ab 1. Juli die Einhaltung des Elektrogesetzes beachten. Dieselbe Pflicht trifft Fulfilment-Dienstleister, die Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung oder den Versand von Elektro- oder Elektronikgeräten anbieten, an denen sie selbst keine Eigentumsrechte besitzen.

Konkret müssen die Betreiber die ordnungsgemäße WEEE-Registrierung der Geräte der bei ihnen vertretenen Händler kontrollieren. Liegt diese nicht vor, müssen sie den Handel unterbinden und Händler von ihrer Plattform ausschließen. Fulfilment-Dienstleister trifft dieselbe Pflicht. Sie dürfen die Geräte bei nicht nachgewiesener WEEE-Nummer nicht lagern, verpacken oder versenden.

Andernfalls drohen ihnen bei Verstößen Abmahnungen und Bußgelder von bis zu 100.000 Euro. Die Kontrollpflicht soll für mehr Wettbewerbsgerechtigkeit sorgen zugunsten von Marktteilnehmern, die die mit höheren Kosten verbundene Registrierungs- und Rücknahmepflicht nach dem Elektrogesetz erfüllen.

Hinweisgeberschutzgesetz tritt in Kraft

Ab 2. Juli gilt das Hinweisgeberschutzgesetz, das bereits die vorangegangenen Gesetzesänderungen ausführlicher vorgestellt haben. Das neue – auch als Whistleblower-Gesetz bekannte – Gesetz verpflichtet Unternehmen und Vereine mit mindestens 50 Mitarbeitern sowie Behörden zur Einrichtung sogenannter interner Meldestellen. Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern müssen eine Meldestelle aufgrund einer Übergangsfrist erst bis 17. Dezember 2023 vorweisen. Ab 250 Mitarbeitern muss das hingegen bereits mit dem Inkrafttreten ab 2. Juli der Fall sein.

Neben den internen Meldestellen gibt es externe Meldestellen beim Bundesamt für Justiz, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und dem Bundeskartellamt. Die Bundesländer können zudem weitere externe Meldestellen schaffen. 

An interne wie externe Meldestellen sollen sich Hinweisgeber vorrangig mit Hinweisen auf einrichtungsbezogene Missstände wenden. Wer dagegen sofort damit an die Öffentlichkeit geht, muss mit einem geringeren Schutz durch das Hinweisgeberschutzgesetz rechnen.

Stiftungsrecht wird vereinheitlicht

Ab Juli tritt eine umfassende Reform des Stiftungsrechts in Kraft. Dieses war bisher sehr uneinheitlich geregelt durch einzelne Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und 16 Landesstiftungsgesetze in den einzelnen Bundesländer. 

Künftig behandeln 36 statt bisher 9 Paragrafen im BGB das Stiftungsrecht wesentlich umfassender als bisher. Das hat weitreichende Änderungen für die mehr als 24.500 in Deutschland existierenden Stiftungen. Diese stellt Rechtsanwalt Dr. Christopher Arendt in diesem Rechtstipp vor: Wichtige Änderungen im Stiftungsrecht ab Juli 2023

(GUE)

Foto(s): ©Adobe Stock/sodawhiskey ©Adobe Stock/Alrika

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