Gestiegene Rolle des Anwalts im ukrainischen Gericht

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Nach der Vornahme von Änderungen der Verfassung der Ukraine und dem Erlass der Zivilprozessordnung der Ukraine in einer neuen Fassung durch das Gesetz Nr. 2147-VIII vom 10.03.2017 wurde ein Monopol des Anwalts für die Vertretung der Interessen im Zivilprozess eingeführt. Das gleiche gilt für die Wirtschafts- und Verwaltungsrechtsprechung. Bis zum 1. Januar 2020 ist eine Ausnahme für die Vertretung der Interessen vor Gericht durch staatliche Behörden und Selbstverwaltungsorgane vorgesehen, welche nach Ablauf dieses Datums nur durch einen Rechtsanwalt oder einen Staatsanwalt entsprechend vertreten werden können.

In Übereinstimmung mit Teil 2 des Artikels 15 der Zivilprozessordnung der Ukraine (im Folgenden: ZPO) wird die Vertretung vor Gericht als eine Art der Rechtshilfe ausschließlich durch einen Rechtsanwalt (fachliche Rechtshilfe) ausgeführt, außer der durch die Gesetzgebung vorgesehenen Fällen. Somit wird der Rechtsanwalt zu einem einzigen möglichen Vertreter im Gericht, mit einigen im Art. 60 der ZPO vorgesehenen Ausnahmen (gesetzliche Vertreter, Leiter von juristischen Personen, Vertreter in Arbeitsrechtssachen und geringfügige Fälle).

Außerdem verkompliziert die neue Fassung der Zivilprozessordnung erheblich die Zivilprozessordnung selbst, was die Rolle des Rechtsanwalts als einer ausgebildeten Fachkraft verstärkt, ohne den die Partei ihre Rechte nicht effektiv ausüben kann.

In Übereinstimmung mit dem Art. 496 der ZPO der Ukraine haben ausländische Personen die Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten ebenso wie natürliche und juristische Personen der Ukraine, außer in Fällen, die durch die Verfassung und Gesetzgebung der Ukraine sowie internationale Abkommen vorgesehen sind, deren Verbindlichkeit vom Obersten Rat der Ukraine zugestimmt wurde.

Was haben ausländische Personen zu beachten, wenn sie sich in der Ukraine an ein Gericht wenden?

Es wurde die Anzahl der Arten von Zivilverfahren erhöht. Zum Zivilverfahren, Mahnverfahren und zivilgerichtlichen Spezialverfahren kommt noch ein vereinfachtes Zivilverfahren dazu, welches kürzere Fristen hat und ohne Teilnahme der Beteiligten durchgeführt werden kann. Das vereinfachte Zivilverfahren wird nicht auf Erbschafts- und Familienstreitigkeiten angewendet, mit Ausnahme von Zwangsvollstreckung für den Kindesunterhalt und Gütertrennung von Ehegatten.

Als Ergebnis der Vorname der Änderungen ist die Zivilprozessordnung wesentlich komplizierter geworden, belastet durch zusätzliche neue Verfahrenshandlungen, wie zum Beispiel: im Zivilverfahren wurde eine obligatorische Vorbereitungssitzung eingeführt; zur Vermeidung von Verlusten bei der Klagesicherung wurde eine Gegensicherung vorgesehen; in Bezug auf Widerspruch des Beklagten auf die Klage hat der Kläger eine Ablehnung des Widerspruchs einzureichen, was zuvor in Form von zusätzlichen Erläuterungen durchgeführt wurde.

Im gerichtlichen Verfahren wird ein neues Institut eingeführt, wie die Beilegung eines Rechtsstreits im Einverständnis der Parteien unter Beteiligung eines Richters noch vor Beginn der Sachverhandlung.

Eine aus dem angelsächsischen Rechtssystem übernommene Beilegung des Rechtsstreits sollte zu den Interessen der Parteien beitragen, die auf solche Weise einen langfristigen Rechtsstreit vermeiden können. Bei einer solchen außergerichtlichen Beilegung eines Rechtsstreits steigert die Rolle eines Rechtsanwalts erheblich, da die Parteien ohne seine Hilfe die vom Richter während einer solchen Beilegung des Rechtsstreits erhaltenen Vorschläge und Informationen nicht richtig bewerten können.

Infolge der ZPO-Änderungen ist das Verfahren für die Parteien teurer geworden. Die Liste der Prozesskosten, welche von den Parteien erhoben werden, und die zwischen denen nach dem Ergebnis des Verfahrens umgelegt werden sollen, hat sich erweitert. Insbesondere können in die Ausgaben für die Rechtshilfe die Kosten für die Gerichtsvertretung und sonstige mit dem Fall verbundene Rechtshilfe miteinbezogen werden, einschließlich der Vorbereitung auf die Verhandlung, Beweisermittlung, Fahrtkosten zur Verhandlung in einem anderen Gerichtstandort der Parteien und deren Vertreter, Wohnungsmiete und Ausgaben für die Dienstleistungen des Rechtsanwaltsgehilfen etc. Alle solche Kosten müssen in Bestimmungen des Vertrags über die Rechtshilfeleistungen vorgesehen werden. Zur Gewährung der Bezahlung solcher Ausgaben wird der Begriff deren Sicherheit (hinterlegt beim Gericht) eingeführt und / oder die Vorkasse.

Es ist klar, dass die Anwälte für die Berechnung dieser und anderer Kosten eine zusätzliche Erfassung zu führen und umfangreiche Akte in Bezug auf ihre Höhe zu erstellen haben und das Gericht eine Prüfung hinsichtlich der Schlüssigkeit und Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Höhe der Klage und Komplexität des Falles durchführen wird.

Bei den Gerichten wird ein einheitliches gerichtliches Informations- und Fernübertragungssystem (Art. 14 der ZPO) eingeführt. Zurzeit ist es errichtet und funktioniert nur teilweise, jedoch wird das Gerichtsverfahren zunehmend virtuell, in welchem der Gesetzgeber eine wesentliche Rolle für Internet-Technologien zudiktiert, was der Begriff „Elektronisches Gericht“ umfasst. Dies bedeutet, dass die meisten gerichtlichen Verfahrenshandlungen über das Internet ausgeführt werden, z. B. Einreichung und Erhalt von Verfahrensunterlagen per E-Mail, Verhandlungen in Form von Videokonferenzen, Erklärungen der Parteien oder Zeugenvernehmungen etc.

Fazit: Aus rechtlichen Gründen sowie aufgrund der Verkomplizierung des Gerichtsverfahrens selbst kann sich die Partei vor Gericht nicht mehr auf einen Anwalt verzichten.

Obwohl das Gesetz das Recht auf kostenlose Rechtshilfe für die Personen, die die Kosten für einen Rechtsanwalt ihrer Wahl nach nicht tragen können (Teil 3 des Art. 15 der ZPO), vorsieht, garantiert in der Praxis die kostenlose Rechtshilfe jedoch nicht, dass der Kunde einen angemessenen rechtlichen Schutz erhält.


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