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Große Rechtsmythen und Rechtsirrtümer

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Viele Mythen rund ums Recht haben Charme und zaubern sogar dem einen oder anderen Richter ein Lächeln ins Gesicht, wenn diese im Rahmen ihrer Arbeit damit konfrontiert werden. Manch juristische Mythen sind aber auch gefährlich, wenn sich Bürger auf ihre Richtigkeit verlassen und später dann ihr blaues – rechtliches – Wunder erleben.

Die folgende Aufstellung soll der Aufklärung dienen und könnte für den einen oder anderen „Aha-Moment“ sorgen.

Wer auffährt, hat Schuld

„Wenn es hinten knallt, gibt es vorne Geld!“ So lautet eine lapidare Floskel unter Juristen und Kfz-Versicherern. So zutreffend sie letztlich im Regelfall sein mag, so falsch ist die Aussage in ihrer Pauschalität.

Fährt jemand auf ein anderes Fahrzeug auf, vermutet die Rechtsprechung vereinfacht gesprochen, dass der Hintermann auch allein Schuld hat. Diesen Schluss zieht man daraus, dass es schlicht der Lebenserfahrung entspricht, dass der Auffahrende dann wohl den Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder allgemein unaufmerksam fuhr (sogenannter Anscheinsbeweis).

Selbstredend kann diese Vermutung aber durch den Auffahrenden widerlegt werden. Kann dieser „beweisen“, dass der Vordermann etwa völlig unnötig gebremst hat, ggf. die Kollision sogar vorsätzlich herbeigeführt hat, kann dies dazu führen, dass dem Vordermann eine Teil- bzw. gar die Alleinschuld auferlegt wird.

In vergangenen Zeiten gelang es dem Auffahrenden selten, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. In Zeiten von Dashcams und umfänglicher standardmäßiger Kamera-Implementierung bei Tesla und Co. sieht die Welt für manch Auffahrenden – die Verwertbarkeit der Aufnahmen unterstellt – aber schon rosiger aus. Bzw. für Versicherungsbetrüger entsprechend düsterer…

Mord ist geplant, Totschlag ist „Affekt-Tat“

Beispiel 1: Person X spaziert gut gelaunt durch die Straßen und wird von Person Y versehentlich angerempelt. Spontan ersticht X den Y mit 100 Messerstichen. Dies dürfte regelmäßig als Mord gewertet werden.

Beispiel 2: X sagt eines Tages in ernsthaftem Tonfall zu Y. „Ich werde Dich morgen früh töten“. Mit einem gezielten Stich in den Hals tötet der X den Y tatsächlich am nächsten Tag zu angekündigter Zeit am angekündigten Ort. Unterstellt, dass dem X kein „sonstiger niedriger Beweggrund“ nachgewiesen werden kann, dürfte die Tat als Totschlag gewertet werden.

Warum?

Die Grobformel lautet: Totschlag + Mordmerkmal (neun an der Zahl) = Mord

In beiden Beispielsfällen ist der Tatbestand des Totschlags unstrittig erfüllt.

Im Beispiel 1 dürften die 100 Messerstiche tendenziell das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllen. Trotz Affekt. (Und trotz manch erstaunlicher Rechtsprechung in diesem Kontext…)

Im Beispiel 2 dürfte – trotz Planung und Ankündigung – kein Mordmerkmal nachweisbar sein. Insbesondere das hauptsächlich in Betracht kommende Mordmerkmal der Heimtücke entfällt. Die juristische Definition der Heimtücke verlangt nämlich unter anderem die Arglosigkeit des Opfers. Diese ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn der Täter dem späteren Opfer die Tat sogar angekündigt hat.

Im Einzelfall mag dies zu nicht immer einleuchtenden Differenzierungen und Strafen führen. So ist aber die nüchterne Rechtswirklichkeit.

Enterben – Dann war’s das mit dem Erbe

Vater: „Sohnemann, Du bist enterbt!“

Sohn: „Die Hälfte von Deinen Millionen bekomme ich trotzdem, hehe.“

Kann nicht sein? Ist aber grundsätzlich tatsächlich so, vorausgesetzt der Sohn wäre der einzige in Frage kommende Erbe. „Enterben“ bedeutet in Deutschland regelmäßig, dass der „eigentliche Erbe“ immer noch Anspruch auf den Pflichtteil hat, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ausmacht. 

Wäre man Alleinerbe, sind das immerhin noch 50 Prozent. Hätte der Vater im Beispielsfall noch eine Tochter, bekäme der Sohn immer noch 25 Prozent.

Einschränkend ist aber darauf hinzuweisen, dass nicht alle gesetzlichen Erben einen Pflichtteilsanspruch haben. Zu den pflichtteilsberechtigten Personen zählen Kinder, Enkel, Ehegatten und Eltern (auch hier ist dann ggf. die Rangfolge zu berücksichtigen). Geschwister und sonstige „entferntere“ Verwandte wären mithin faktisch wirklich enterbt.

Ein „faktisches Enterben“ wäre grundsätzlich auch im Falle der vorgenannten Vater/Sohn-Konstellation möglich. Allerdings nur bei sehr gravierenden Verfehlungen des Sohnes. Und dafür genügt nicht ansatzweise eine Beleidigung des Vaters. Vielmehr müsste der Sohn schon die Intention gehabt haben, vorschnell den Erbfall herbeizuführen. Namentlich: Es auf die Tötung des Vaters abgesehen haben.

Möglich ist ein „faktisches Enterben“ auch dann, wenn der Sohn Unterhaltspflichten gegenüber dem Vater verletzt bzw. sich einer schweren Straftat schuldig gemacht hätte.

Im Regelfall aber bleibt es dabei: Der unliebsame Sohn ginge allenfalls dann gänzlich ohne Erbe aus, wenn der Vater zu Lebzeiten nochmal ordentlich die Sau rauslässt und schlicht keine werthaltige Erbmasse hinterlässt. So würde der Vater dann ein letztes „Hehe“ in Richtung Sohn sagen…

Mündliche Verträge sind nicht wirksam

Wenn nicht ausnahmsweise etwa ein Schriftformerfordernis gesetzliche Vorschrift ist, ist ein mündlicher Vertrag genauso wirksam, wie ein entsprechend schriftlich fixierter Vertrag.

Gleichwohl ist jedenfalls dann dringlich von einem mündlichen Vertragsschluss abzuraten, wenn nur vier Augen zugegen sind und der Vertrag für zumindest eine Partei von hoher Bedeutung ist.

Denn auch in dieser Causa gilt: Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. So bindend der Vertrag rechtlich auch sein mag, muss er im Ernstfalle auch bewiesen werden. Und dafür genügen „zwei Augen“ zumeist nicht, wenn der (vermeintliche) Vertragspartner mit dem anderen Augenpaar den mündlichen Vertrag bestreitet. Getrocknete Tinte auf Papier hingegen genügt meist schon.

Alle Anwälte sind reich

Freilich eine Frage der Definition. Setzen wir einen realistischen Bewertungsmaßstab an (ggf. „Millionär"), entstammt auch diese Aussage in ihrer pauschalen Prägung klar dem Lande der Märchen. Quelle: Unter anderem der Kontostand des hiesigen Autors.

RA Robin Nocon, Recht. Digital.

PS: Auch ein Mythos: „Falsche/ungerechtfertigte Internet-Bewertungen lassen sich nicht löschen.“ Bei Interesse: Bewertungen löschen (lassen) von A bis Z

Foto(s): RA Robin Nocon

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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