Häufige Fehler bei der Produkteinführung

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Regeldickicht bei Produktvorgaben für Lebensmittel und Kosmetika

Heute regelt die Wirtschaft ein für Laien völlig undurchschaubares Dickicht aus EU-Verordnungen und EU-Richtlinien mit komplexen Begrifflichkeiten und Querverweisen. Bei Lebensmitteln - auch Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetika oder sonstigen Bedarfsgegenständen 

Neben den EU-Vorgaben gelten auch noch nationale Vorgaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bis hin zu Einzelverordnungen und Allgemeinverfügungen der Landesregierungen und Kommunalbehörden. Ein Beispiel für eine ergänzende Verordnung des BVL ist die Allgemeinverfügung auf der Grundlage von § 54 des Lebensmittel - und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) vom 25.11.2013 zu Methylsulfonylmethan, Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat.

Wer hier beispielsweise für ein einfaches, verpacktes Lebensmittel die zahlreichen Deklarationsvorgaben nicht einhält, riskiert existenzbedrohliche Verbote oder einen Produktrückruf.

Beanstandungen rechtlich nicht fachkundig geprüfter Produkte sind so leider ständiges Thema in der Beratungstätigkeit.

Beim Umgang mit diesen Regelwerken geht es nicht nur um die Vermeidung eines Rechtsbruchs aus Unkenntnis. Viele schränken ihre Produktgestaltung und ihr Marketing aus missverstandenen rechtlichen Vorgaben und Angst vor Beanstandungen und Abmahnungen der Konkurrenz auch unnötig ein.

Doch warum wiederholen sich solche Fehler immer wieder?

Kostenangst ist genauso verbreitet wie unbegründet

Leider führt sie häufig dazu, dass rechtliche Unterstützung verzögert beigezogen wird, obwohl sie schon zwingender Teil jeder Produktentwicklung sein muss. 

Die rechtliche Gestaltung eines Produkts wie seines Marketings ist kein lästiger Kostenposten, sondern wesentliche Investition in Erfolg, auf den kein erfahrenes Unternehmen heute noch verzichten würde. Denn was ist der Aufwand von meist nicht mehr als 1.000 – 2.000 € je nach Zahl der zu prüfenden Vorgaben gegen zehntausende Euro für die Nachbearbeitung oder Nachproduktion einer ganzen Charge nach einem Rückruf wegen Deklarationsmängeln. Dazu kommt der meist noch größere Imageschaden für das Unternehmen mit der Gefahr, Handelspartner zu verlieren. 

Nachfragen bei Behörden helfen nicht weiter, weil keine Beratung im Einzelfall geleistet wird. Genau sie ist aber Entscheidend, um für Rechtssicherheit zu sorgen.  

Auch wer meint, sich auf die Erfahrungswerte der häufig mit einer Rechtsprüfung verwechselten lebensmittelchemischen Sicherheitsprüfung verlassen zu können, die tatsächlich nur die richtige Bezeichnung der Inhaltsstoffe liefert, begibt sich auf sehr dünnes Eis. Nach aller Erfahrung ist es nur eine Frage der Zeit, bis Probleme auftreten, nicht selten auch mit der gesetzlich vorgegebenen Darstellung der Inhaltsstoffe.

Ein für Anwaltswerbung aufgebauschtes Problem? 

Über Produktwarnungen öffentlich einsehbare Verbote beweisen das Gegenteil:

Wer bisher „Glück“ hatte und weiter unter Einsparung „lästiger“ dreistelliger Anwaltskosten auch weiter darauf vertrauen will, sollte bei Gelegenheit die Produktverbote wegen Deklarationsmängeln und verbotenen Inhaltsstoffen auf dem Portal der Bundesländer und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zu Lebensmitteln, Kosmetika, Bedarfsgegenständen und Mitteln zum Tätowieren durchsehen.

Dort finden sich bei Weitem nicht nur „Produktionsunfälle“ wie Krankheitserreger und Fremdkörper, sondern fortlaufend auch folgende, leicht zu vermeidende Formalfehler, wie diese aktuellen Beanstandungen, die zum Verschwinden der Produkte aus allen Regalen und Onlineshops geführt haben.
Folgend einige Beispiele für Produkte, die wegen Kennzeichnungsmängeln oder verbotenen Inhaltsstoffen geführt haben:

  • nicht deklariertes Allergen Soja 28.11.2022 und weiteres Produkt 28.04.2022
  • Fehlende Kennzeichnung des Allergens Haselnuss 14.11.2022
  • nicht deklariertes Allergen Sesam 21.10.2022
  • Das Produkt enthält 0,8 g Ei pro Portion. Kunden mit einer Ei-Allergie sollten den Rückruf unbedingt beachten und das betroffene Produkt nicht verzehren, 20.10.2022
  • Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die genannten Produkte Soja enthalten. Dieses Allergen ist nicht auf dem Etikett deklariert, 23.09.2022
  • nicht gekennzeichnetes Allergen Haselnuss, 22.09.2022
  • fehlende deutsche Kennzeichnung der Allergene Milch und Ei, 22.09.2022
  • nicht angegebenes Allergen Milch, 02.09.2022 und weiteres Produkt 20.06.2022
  • Nicht beachtete Chrom- und Nickelgrenzwerten, Weichmachern, zahlreiche Fälle im Juli-August 2022
  • nicht deklariertes Allergen (Mandeln), 29.07.2022
  • Grenzwert für Formaldehyd-Gehalte gemäß der REACH Verordnung bei Babytextilien nicht eingehalten, 24.06.2022
  • Nicht EU-zulässiger Farbstoff in Lebensmittel, 16.06.2022
  • Unzulässige Substanz Hydrochinon in Kosmetik, 13.06.2022
  • Unzulässiges Pflanzenschutzmittel Anthrachinon verwendet, 10.06.2022
  • Deklarationsfehler Zucker, 23.05.2022
  • Insektizid Chlorpyrifos verwendet, 28.04.2022,
  • hohe Werte an Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC), 15.03.2022 – Häufe Fehlerquellen bei Hanfprodukten, siehe https://strategie-unternehmen.de/2021/05/folge-1-hanfpodcast-serie-der-ueberblick/
  • fehlende Allergenkennzeichnung von Schwefeldioxid, 25.02.2022
  • Zu hoher Säuregehalt in Kosmetik, 04.02.2022
  • Nicht deklariertes Sulfit im Lebensmittel, 20.01.2022
  • Nicht zulässige Inhaltsstoffe in Kosmetik, 20.12.2021

Das europaweite Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System Food and Feed) weist insgesamt tausende Warnungen zu nicht-verkehrsfähigen aber in den Markt gebrachten Produkten pro Jahr aus.
Dabei wird längst nicht jede kostenauslösende Beanstandung veröffentlicht. Sofern nur Fehler festgestellt werden, die zu keiner unmittelbaren Gefährdung führen können, spricht die Behörde nur ein Verkehrsverbot mit sofortiger Wirkung aus. 

Auffällig oft bringen Importeure Produkte in den Markt und verlassen sich offenbar auf die schlicht übersetzte Deklaration für einen außereuropäischen Staat.


Es ist daher auch erkennbar fahrlässig, einfach Deklarationen ähnlicher Produkte der Konkurrenz zu übernehmen, in der Hoffnung, das „würde schon passen“.

Zudem empfiehlt es sich, sich bei Auslandsproduzenten mit Checklisten gegen unerlaubte Konservierungs- und Schutzmittel in der Bestellung abzusichern, um überhaupt Regressforderungen durchsetzen zu können.

Denn der sog. "Inverkehrbringer", also der Importeur haftet für die Einhaltung der Vorgaben. Es ist das Unternehmen, das die Produkte in der EU erstmals in den Warenverkehr bringt. 

Daher ist nicht etwa "automatisch" Aufgabe des Produzenten, die rechtlichen Vorgaben für den Abnehmer zu prüfen.

Rückrufrisiko fehlerhafte Werbeaussagen auf der Produktverpackung

Im Warnportal veröffentlicht werden keine Beanstandungen in Produktbeschreibungen und Werbung, die nicht sicherheitsrelevant sind, aber dennoch zu einem Produktverbot führen. Diese sind jedoch viel häufiger Gegenstand von Abmahnungen als behördlichen Beanstandungen. Befinden sie sich auch auf der Verpackung des Produkts oder im „Beipackzettel“, ist genauso der vollständige Rückruf fällig. Meist werden Aussagen als irreführend beanstandet. 

Vielfältige Fehler treten hier in der Praxis auf, wie häufig gesundheitsbezogene Angaben oder Angaben zu einer möglichen Gewichtsabnahme die rechtlich streng reguliert sind, insbesondere durch die EU-Health-Claims-Verordnung 1924/2006. Aber auch bei einer zu großen Ähnlichkeit zu der typischen Aufmachung von Arzneimitteln haben wir bereits für Mitbewerber gerichtliche Verbote gegen Konkurrenzprodukte erwirkt.  

Fehlerhafte Selbstbeschränkung beim Marketing

Doch Rechtsfehler gibt es auch „andersherum“:  Beim Umgang mit diesen Regelwerken geht es nicht nur um die Vermeidung eines Rechtsbruchs aus Unkenntnis. Viele schränken ihre Produktgestaltung und ihr Marketing aus missverstandenen rechtlichen Vorgaben und Angst vor Beanstandungen und Abmahnungen der Konkurrenz auch unnötig ein

Nicht selten stoßen wir auf Produktbeschreibungen, deren Qualitäten wegen falsch verstandener Vorgaben „im Dunkeln bleiben“, obwohl man mit ihnen zulässig werben dürfte.

Beispiel zur Komplexität der Vorgaben bei Nahrungsmitteln

Wie schwierig die Differenzierung sein kann, zeigt das folgende Beispiel für die Umsetzung einer EU-Deklarationsvorgabe:
So kann für den in Nahrungsergänzungsmitteln zur Gewichtsreduktion verwendeten Inhaltsstoff Glucomannan (Konjakpulver) auch mit der Aussage geworben werden, dass er zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels beiträgt. Bedingung dafür ist aber, dass eine tägliche Mindesteinnahme von 4 g über das Produkt (also nicht des Produkts) vorgegeben wird. Wer hier nur die übliche Verzehrsempfehlung auf der Verpackung - allerdings mit der genannten Werbeaussage - abdruckt oder eine zu geringe Mindesteinnahme vorgibt, handelt rechtswidrig und riskiert ein Produktverbot.
Zudem sind die Aussagen unabhängig von einer Sicherheitsvorgabe anzugeben, das Produkt nur mit einer reichlichen Menge Wasser einzunehmen. 

Gewinnschluckende Fehler auch in anderen Bereichen

Die Liste unnötig entgangenen Gewinns und sinnlosen Aufwands lässt sich auch in anderen Bereichen endlos fortsetzen:

Auch die vermeintliche "Erfahrung" sichert wegen der sich ständig und immer schneller veränderten Rechtslage in vielen Bereichen nicht gegen böse Überraschungen. 

Es führt also kein Weg daran vorbei, ein neues Produkt oder seinen erstmaligen Import aus dem Nicht-EU-Ausland in allen Bereichen mit den jeweiligen Fachleuten genau zu prüfen, damit Risiken erkannt, ausgeräumt oder zumindest hinreichend kalkuliert werden können. 

Foto(s): Shutterstock Stock-Foto ID: 326260910 Portrait frustrierte gestresste junge Mann verzweifelt, https://www.shutterstock.com/de/g/pathdoc - Shutterstock Stock-Foto ID: 1070417192 Cannabisöl cbd https://www.shutterstock.com/de/g/malyshevoleg , Stock-Foto ID: 446028433 Young woman shopping in the fresh produce section at the grocery store, https://www.shutterstock.com/de/g/arinaphabich


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