Haftung bei unzureichender Aufklärung bei einer Lebendorganspende

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In Deutschland stehen ca. 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Ca. drei dieser Menschen davon sterben am Tag, weil ihnen nicht rechtzeitig ein passendes Organ zur Verfügung gestellt werden konnte. Für die betroffenen Patienten und deren Angehörige bedeutet dies eine Zeit voller Angst, Hilflosigkeit, Ungewissheit und Einschränkungen. Um den geliebten Menschen eine baldige und rechtzeitige Organspende zu ermöglichen, entschließt sich in einigen Fällen ein nahe stehender Mensch zu einer Lebendorganspende. So wurden in Deutschland 2018 638 Nieren nach einer Lebensspende transplantiert. Wie bei jedem medizinischen Eingriff bedarf es auch bei der Lebendspende einer Einwilligung des Spenders in die medizinische Maßnahme. 

Wesentliches Kriterium für die Wirksamkeit in eine medizinische Behandlung ist, dass der Einwilligende weiß, worauf er sich einlässt. Grundlage für die hiermit verbundene selbstbestimmte Einwilligung ist die umfassende Aufklärung des Patienten. Für Heileingriffe ergibt sich der Umfang und die Form der Aufklärung aus § 630 Abs. 1 und 2 BGB. 

Anders als bei normalen Heileingriffen, bei denen die Verbesserung der Gesundheit des Betroffenen durch den Eingriff angestrebt wird, führt die Organspende für den Spender zu einer ungünstigeren gesundheitlichen Position und kann sogar mit der Herbeiführung eines eigenen krankhaften Zustandes verbunden sein. Der Spender, welcher emotional stark an den transplantationsbedürftigen Patienten, welcher auf das Organ angewiesen ist, verbunden ist, befindet sich vor diesem Hintergrund in einer erheblichen Konfliktsituation. Vor diesem Hintergrund spielen bei der Einwilligung und der hiermit verbundenen Aufklärung andere Überlegungen als bei einem üblichen Heileingriff eine Rolle. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern der Lebendorganspender stärker als bei einem herkömmlichen Heileingriff vor einer unüberlegten und übereilten Entscheidung geschützt werden muss und welche Bedeutung Aufklärungsfehler in diesem Zusammenhang hat. Hiermit musste sich der BGH in seinem Urteil vom 29.01.2019 – Az. VI ZR 495/16 auseinandersetzen. 

Sachverhalt:

Die Klägerin spendete ihrem an einer chronischen Niereninsuffizienz auf dem Boden einer Leichtkettenerkrankung (seltene Speicherkrankheit mit Ablagerungen monoklonaler Leichtketten (Immunglobuline) in verschiedenen Organen, insbesondere der Niere) leidenden Vater im Februar 2009 eine Niere. Im Mai 2014 kam es zum Transplantatverlust beim Vater. Die Klägerin behauptet, infolge der Organspende an einem chronischen Fatigue-Syndrom (signifikante Müdigkeit/Erschöpfung) und an Niereninsuffizienz zu leiden und macht eine formal wie inhaltlich ungenügende Aufklärung geltend. Zwar sei die Klägerin schriftlich und mündlich über den Eingriff aufgeklärt worden, jedoch habe diese Aufklärung nicht in Gegenwart eines neutralen Arztes und somit unter Verstoß von § 8 Abs. 2 TPG stattgefunden. Zudem erfolgte keine hinreichende Niederschrift. Zudem macht die Klägerin geltend, nicht ausreichend über die Folgen der Spende für ihre Gesundheit und über die bei ihrem Vater bestehende Hochrisikosituation für einen Transplantatverlust aufgeklärt worden zu sein, was seitens der Beklagten nicht bestritten wurde. Das beklagte Universitätsklinikum hielt der geltend gemachten Forderung von Schmerzensgeld entgegen, dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organspende eingewilligt hätte.

Das Urteil: 

Der BGH entschied, dass der Klageansprüche nicht bereits wegen des Verstoßes gegen die in § 8 Abs. 2 Satz 3 bis 5 TPG niedergelegten formellen Aufklärungsvorgaben in Form der Anwesenheit eines neutralen Arztes und der ordnungsgemäßen Niederschrift besteht. So handelt es sich bei den verletzten Aufklärungspflichten um bloße Form- und Verfahrensvorschriften, die als Absicherung einer autonomen des Patienten dienen, welche jedoch grundsätzlich nicht die Wirksamkeit der getroffenen Entscheidung betreffen. Aus dem Fehlen dieser formalen Anforderungen an die Aufklärung resultiert jedoch eine Beweisskepsis. Da das Fehlen dieser Anforderungen mit einem starken Indiz dafür verbunden ist, dass eine Aufklärung nicht oder zumindest nicht in hinreichender Weise stattgefunden hat.

Neben den formellen Fehlern stellte sich die erfolgte Aufklärung auch inhaltlich gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 TPG infolge der mangelnden Aufklärung der Klägerin über das erhöhte Risiko des Transplantatverlustes aufgrund der Leichtkettenerkrankung ihres Vaters sowie über die möglichen mittelbaren und Spätfolgen der Organspende für die Klägerin als mangelhaft dar. So hätte es angesichts der bereits präoperativ im unteren Grenzbereich liegenden Nierenfunktionswerte der Klägerin eines konkreten Hinweises auf das hierdurch erhöhte Risiko bedurft. Die allgemeine Erläuterung, dass es grundsätzlich durch die Entnahme einer Niere zu einem Abfall der Nierenfunktionswerte komme, der nicht vollständig durch die verbleibende Niere kompensiert werde, ist in diesem Sinne unzureichend. Dieser inhaltliche Mangel führt letztlich zur fehlenden Wirksamkeit der Einwilligung in die Lebendspende.

Für den Einwand der Beklagten die Klägerin hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, wie es § 630 h Abs. 2 S. BGB grundsätzlich ermöglicht, bleibt im Rahmen des Transplantationsgesetzes kein Raum. Dies ergibt sich vor dem Hintergrund des erheblichen Unterschiedes zwischen einem regulären Heileingriff und einer Lebendorganspende sowie der erheblichen Konfliktsituation für den Spender und der damit einhergehenden Freiwilligkeitsproblematik hat der Gesetzgeber detaillierte besondere Anforderungen an die Aufklärung für eine Lebendorganspende gestellt. Die unzureichende Aufklärung des Spenders über die Chancen und Risiken einer Lebendorganspende ist daher grundsätzlich geeignet, die Entscheidung des Organempfängers infrage zu stellen. 

Zudem wird gerade in dem vorliegenden besonderen persönlichen Näheverhältnis das Risiko für den Spender sowie dessen Verhältnis zu den Genesungschancen des Empfängers typischerweise auch für die Entscheidung des Empfängers von Bedeutung sein, ob er die Spende des ihm Nahestehenden überhaupt annehmen kann und will. Die Prüfung des rechtmäßigen Alternativverhaltens dürfte sich folglich nicht nur auf die Entscheidung des Spenders beschränken, sondern müsste sich auf die Annahmeentscheidung des Empfängers erstrecken. Die daraus notwendig folgende Verdoppelung der Prüfung einer hypothetischen Willensentscheidung ist vor dem Hintergrund der besonderen Konfliktsituation einer Lebendorganspende für Dritte nur begrenzt feststellbar.

Fazit:

Das Urteil des BGH stellt klar, wer fremdnützig zu Lebzeiten ein Organ spendet, hat vor dem Hintergrund der wesentlichen Bedeutung für die eigene Gesundheit und die bestehende Konfliktsituation einen Anspruch auf eine umfassende Aufklärung. Diese umfasst neben dem Eingriff und den eigenen hiermit verbundenen Risiken auch die Chancen, die die Transplantation dem Empfänger bietet.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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