Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungen in Russland ernst nehmen

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Russische Kapitalgesellschaften sind verpflichtet, jährlich eine ordentliche Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung durchzuführen. Ihrer Überprüfung und Beschlussfassung unterliegen insbesondere der Jahresabschluss, die Ergebnisverwendung und eventuell die Organbestellung. 

1. Fristen 

In Russland entspricht das „Finanzjahr“ zwingend einem Kalenderjahr (vgl. Art. 12 Budgetkodex der Russischen Föderation). Somit dürfen russische Kapitalgesellschaften -anders als Gesellschaften einiger anderer Länder- kein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr festlegen.

Eine Aktiengesellschaft (AO) ist verpflichtet, nicht früher als zwei Monate und nicht später als sechs Monate nach Abschluss des Finanzjahres eine jährliche (ordentliche) Hauptversammlung abzuhalten. Diese hat somit zwischen dem 01. März und dem 30. Juni eines Jahres stattzufinden.  

Für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (OOO) ist die gesetzliche Frist für die jährliche (ordentliche) Gesellschafterversammlung noch knapper; diese muss zwischen dem 01. März und dem 30. April eines Jahres stattfinden.

Auch wenn diese Fristen letztes Jahr ausnahmsweise - im Hinblick auf die Massenquarantäne - bis zum 30. September 2020 verlängert wurden, gelten 2021 die beiden Endtermine - bis zum 30 Juni für AOs und dem 30. April für OOOs – weiter.

2. Verfahren 

Für die Einberufung der Hauptversammlung ist der Direktorenrat zuständig. Die vorbereitende Sitzung des Direktorenrates wird durch dessen Vorsitzenden initiiert. Dabei kann die Fernabstimmung per Fax ein attraktives Gestaltungsinstrument bilden, um den Zeit- und Verwaltungsaufwand gering zu halten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Satzung ein entsprechendes Verfahren vorsieht. Bei einer OOO ist der Generaldirektor für die Einberufung der Gesellschafterversammlung verantwortlich.

Vor der Pandemie mussten die jährliche Hauptversammlung bzw. die Gesellschafterversammlung nur als Präsenzversammlung durchgeführt werden. 2020 und 2021 können Fragen der jährlichen Versammlungen auch im Umlaufverfahren abgestimmt werden.

Aktionärsbeschlüsse einer öffentlichen АО werden durch ihren Aktienregistrator beglaubigt. Aktionärsbeschlüsse einer nichtöffentlichen АО werden durch ihren Aktienregistrator oder einen Notar beglaubigt. Für ОООs ist einfache Schriftform zulässig, sofern dies durch die Satzung oder einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss vorgesehen ist.

3. Tagesordnung 

Einige Themen sind zwingend auf der ordentlichen Hauptversammlung zu erörtern. So müssen die Bestellung des Direktorenrates und der Revisionskommission, die Bestätigung des Abschlussprüfers, auf die Tagesordnung gesetzt werden. 

Sie ist auch für die Bestätigung des gesellschaftsrechtlichen Jahresberichts und des buchhalterischen Jahresabschlusses, die Verteilung des Jahresgewinns, einschließlich der Ausschüttung von Dividenden bzw. etwaiger Verluste der Gesellschaft, zuständig, es sei denn, dass die Satzung diese Fragen dem Kompetenzbereich des Direktorenrates zugewiesen hat.

Außerdem kann die Hauptversammlung über weitere in ihre Zuständigkeit fallende Fragen - etwa die Bestellung eines neuen Generaldirektors oder auch von mehreren neuen Direktoren (Vier-Augen-Prinzip) - beschließen. Aktionäre, die über mindestens 2 Prozent der stimmberechtigten Aktien verfügen, können Vorschläge zur Tagesordnung einbringen und Kandidaten für die Organe vorschlagen. Diese Vorschläge müssen bis zum 30. Januar eines Jahres bei der Gesellschaft eingegangen sein, sofern die Satzung keinen späteren Termin vorschreibt. 

Die Gesellschafterversammlung einer OOO bestätigt die Jahresergebnisse der Tätigkeit, die im Jahresbericht und in der buchhalterischen Jahresbilanz verkörpert sind. Der OOO steht es frei, auch über weitere Fragen - wie z.B. die Verteilung von Gewinnen der Gesellschaft im Vorjahr - zu beschließen.

Aktiengesellschaften bestellen jährlich einen externen Abschlussprüfer. Ab dem 01.01.2021 sollen öffentliche Aktiengesellschaften auch einen Innenrevisor (internal auditor) bestellen.

4. Rechtsfolgen des Verzugs 

Wird die Hauptversammlung nicht fristgemäß durchgeführt, erlöschen die Befugnisse des Direktorenrates einer AO. Mit Ablauf der Frist ist der Direktorenrat nur noch für die Vorbereitung, Einberufung und Durchführung einer Hauptversammlung zuständig. Damit besteht bei danach getroffenen anderen Beschlüssen ein Risiko der Unwirksamkeit.

Die Durchsetzung des satzungsmäßig verankerten Organvorbehaltes für bestimmte Handlungen des Generaldirektors wird unmöglich. Unterläßt der Direktorenrat die Einberufung der Hauptversammlung, können Aktionäre Klage auf Einberufung erheben. Zuständig ist das staatliche Wirtschaftsgericht am Sitz der Gesellschaft. Die Rechtsstreitigkeit wird innerhalb eines Monats verhandelt. 

Umstritten ist, ob Beschlüsse einer nicht fristgemäß durchgeführten Hauptversammlung wirksam sind. In einem Rechtsstreit qualifizierte ein Gericht eine am 15. Februar des Folgejahres durchgeführte Versammlung als außerordentliche Hauptversammlung. Diese durfte damit über die Fragen einer ordentlichen Hauptversammlung nicht entscheiden (Beschluss des 13. Appellationswirtschaftsgerichts vom 06.06.2007 Nr. A56-45342/2004).

Das gleiche Gericht sah jedoch in der Durchführung einer weiteren Hauptversammlung am 25. Dezember des Folgejahres keine wesentliche Gesetzesverletzung und lehnte eine darauf gestützte Anfechtungsklage ab (Beschluss des 13. Appellationwirtschaftsgerichts vom 19.06.2007 Nr. A21-4850/2005).

5. Sanktionen 

Das Unterlassen der fristgemäßen Einberufung einer Hauptversammlung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. In beiden Fällen ist die russische Kapitalmarktaufsichtsbehörde - die Zentralbank - für die Verfahren zuständig.

Als Sanktion drohen Geldbußen in Höhe von RUB 20.000 bis 30.000 (zur Zeit ca. EUR 220 bis 330) oder die Disqualifikation (ähnelt einem Berufsverbot) bis zu einem Jahr gegen das zuständige Organ der AO und eine Geldbuße in Höhe von RUB 500.000 bis 700.000 (ca. EUR 5.580 bis 7.800) gegen die Gesellschaft (Art. 15.23.1 Pkt. 1 Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten). Auch wenn nur eine Hälfte der Geldbuße innerhalb von 20 Tagen gezahlt werden kann, ist die Sanktion empfindlich.

Betroffen wird in erster Linie der Vorsitzende des Direktorenrates der AO sein.

Wird die ordentliche Gesellschafterversammlung einer OOO nicht fristgerecht einberufen, können die gleichen Sanktionen - mit Ausnahme der Disqualifikation - verhängt werden (Art. 15.23.1 Pkt. 11 Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten).

In diesem Fall haftet der Generaldirektor als zuständige Amtsperson. Dabei begründet die bezahlte Geldbuße seine Schadenersatzpflicht gegenüber der jeweiligen OOO (Beschlüsse des Obersten Gerichts der RF vom 11.09.2020 Nr. 304-ES20-11906 und vom 26.11.2018 Nr. 305-ES18-16098).

6. Sorgfalt zahlt sich aus 

Auch in 100-Prozent-Tochtergesellschaften sollten Investoren die formalen Anforderungen des Gesellschaftsrechts nicht vernachlässigen. Die Sanktionen und Risiken sind beachtlich, der Aufwand zur Einhaltung der Regeln im Gegenzug vertretbar.

Foto(s): Rustem Karimullin


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