Interessenausgleich und Sozialplan – Handlungshilfen für Betriebsräte Teil 2

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Wie die Verhandlungen zum Erfolg führen


Bei den Interessenausgleichsverhandlungen stellt sich für den Betriebsrat die Frage, wie er sich zum Vorschlag des Arbeitergebers stellt. Dazu sollte er sich zuerst ein klares Bild davon verschaffen, welche konkreten Veränderungen der Arbeitgeber plant, wann genau er diese Veränderungen umsetzen will und welche wirtschaftlichen Ziele er damit verfolgt. Auch wenn Betriebsänderungen inhaltlich sehr unterschiedlicheSachverhalte umfassen können, hat sich in der Praxis für die Informationesphase ein grundlegendes Vorgehen in vier Schritten bewährt, um Klarheit über die zu erwartenden Veränderungen zu gewinnen:


In vier Schritten vorgehen


Im ersten Schritt geht es darum, ein genaues Bild über die Ausgangssituation im Betrieb oderUnternehmensbereich zu gewinnen. Dazu sollte der Arbeitgeber sowohl bestehendeaktuelle Organisationsstrukturen (Organigramme) als auch eine exakte Beschreibung der Personalkapazität (aktive und ruhende Arbeitsverhältnisse) vorlegen. Hier ist es wichtig, dass sich besonders die Angaben zu denPersonalkapazitäten auf einen aktuellen Stichtag beziehen, damit alle Seiten von der richtigen Datengrundlage starten können.


Im nächsten Schritt muss sich der Betriebriebsrat genauso Klarheit über die Ziele des Arbeitgebers verschaffen –also über die nach Umsetzung der Veränderungen angestrebte Organisationsstruktur einschließlich der jeweils geplanten Personalkapazitäten in den einzelnen Organisationseinheiten.


Im dritten Schritt sollte der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen „Überführungsplan“ erläutern. Dieser Plan sollte darstellen, mit welchen konkreten (Teil-)Maßnahmen das Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen auch die geplanten Zeiträume für Beginn und Abschluss der Umsetzung der jeweiligen Teilmaßnahme hinterfragt werden.


Im letzten Schritt kann der Betriebsrat die betriebswirtschaftlichen Wirkungen der geplanten Maßnahmen analysieren und bewerten. An dieser Stelle muss geklärt werden, welche dauerhaften Auswirkungen auf laufende Erträge und laufende Kosten bei Umsetzung der geplanten Veränderungen zu erwarten sind. Darüber hinaus ist es wichtig, zu erfassen, welcher Einmalaufwand nötig ist, um die geplanten Änderungen umzusetzen. Dabei sind sowohl notwendige Investitionen (etwa für IT-Systeme) als auch einmalige Aufwendungen für Restrukturierungsmaßnahmen (etwa für Abfindungszahlungen bei Personalabbau) zu erfassen.


Positionierung des Betriebsrats


Nach Abschluss der Informationsphase sollte der Betriebsrat den Vorschlag des Arbeitgebers inhaltlich und betriebswirtschaftlich beurteilen und rechtlich einordnen. In der Informationsphase hat sich der Betriebsrat ein klares und umfassendes Bild vom Ziel, von den Inhalten, vom Umfang und vom Zeitplan der Betriebsänderung gemacht. Auf dieser Grundlage sollte er in der Lage sein, die betriebswirtschaftlichen, organisatorischen und vor allem natürlich personellen Auswirkungen abzuschätzen und zu bewerten. Auf Basis dieser Analyse muss eine Grundsatzentscheidung getroffen werden: Hält der Betriebsrat die geplante Maßnahme in ihrer Grundausrichtung für notwendig und sinnvoll oder versucht er mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, eine Umsetzung der Maßnahme zu blockieren? Wenn Interessenvertreter die Maßnahme nicht grundsätzlich verhindern wollen (oder können), sollten sie sich jetzt die eigenen Ziele für den Interessenausgleich erarbeiten. Sie sollten auch ermitteln,welche spezifischen Nachteile für die Mitarbeiter durch die Maßnahme entstehen und wie diese im Rahmen des Sozialplans ausgeglichen werden können.


Leitfragen erleichtern die Positionierung


Interessenausgleich und Sozialplan verfolgen den Zweck, die nachteiligen Belastungen für Arbeitnehmer bei eineraus Sicht des Arbeitgebers notwendigen Betriebsänderung möglichst gering zu halten. Die Zielrichtung ist dabei aber unterschiedlich: Im Rahmen des Interessenausgleichs kann durch die Gestaltung der Maßnahme verhindert werden, dass überhaupt wirtschaftliche Nachteile für die Arbeitnehmer entstehen. Demgegenüber hat der Sozialplan die Aufgabe, dass entstehende wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen oder aber zumindest abgemildert werden. Vor diesem Hintergrund muss sich der Betriebsrat nach Abschluss der Informationsphase positionieren und beraten, wo er die Schwerpunkte der Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan legen möchte. Dabei können im Gremium etwa folgende Leitfragen erörtert werden:


  • Kann und will der Betriebsrat ein Alternativkonzept zur Arbeitgeberplanung erarbeiten und dem Arbeitgeber darüber Verhandlungen vorschlagen?


  • Sollen zumindest Einzelheiten des vorgelegten unternehmerischen Konzeptes verändert werden, etwa Erhalt von Funktionen/Arbeitsplätzen, Veränderung der Umsetzungszeitpläne, Ausgestaltung eines Change-Managements zur Begleitung der geplanten Veränderungen?


  • Gibt es Mehrarbeit und Überstunden, die einem geplanten Stellenabbau entgegenstehen?


  • Soll es ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen geben?


  • Soll es eine Verschiebung von Kündigungsterminen oder eine Verlängerung von Kündigungsfristen geben?


•       Sollen die Mitarbeiter in einem freiwilligen Programm die Möglichkeit haben, ohne Kündigung auszuscheiden?


  • Soll ein Interessenausgleich mit Namensliste formuliert werden? Wenn ja, zu welchem Preis?


•       Soll ein Kündigungsschutz für die verbleibenden Mitarbeiter in Form einer Standortsicherung vereinbart werden?



Ansprechpartner für Arbeitgeber klären


Für den Abschluss eines Interessenausgleichs muss zunächst der Arbeitgeber die Initiative ergreifen und den aus seiner Sicht zuständigen Betriebsrat ermitteln. Wenn für den Arbeitgeber Zweifel bestehen, ob zum Beispiel der Betriebsrat oder aber der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretungen zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auffordern. Kommen die betriebsverfassungsrechtlichen Gremien zu keinerEinigung, ist der Arbeitgeber berechtigt, mit dem Gremium zu verhandeln, welches er für zuständig hält.


Interessenausgleich ist nicht erzwingbar


Der Arbeitgeber ist laut Gesetz verpflichtet, den Abschluss eines Interessenausgleichs „zu versuchen“. ImGegensatz zum Sozialplan ist der Interessenausgleich nicht erzwingbar. Wir erinnern uns: Von einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht sprechen wir immer dann, wenn die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt und damit sichergestellt wird, dass es zu einer Regelung der Angelegenheit kommt.


Eigentlich ist es vor diesem Hintergrund auch ungenau, davon zu sprechen, dass nur der Betriebsrat einerzwingbares Mitbestimmungsrecht hat, denn genauso wie der Betriebsrat hat auch der Arbeitgeber inAngelegenheiten, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung ersetzt, ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht und kann bei einem Regelungsinteresse in diesen Angelegenheiten eine Regelung über einen Spruch der Einigungsstelle auch gegen den Willen des Betriebsrats erzwingen.


Wann ein solches erzwingbares Mitbestimmungsrecht vorliegt, erkennt man an der Formulierung im Betriebsverfassungsgesetz. Dort heißt es bei der erzwingbaren Mitbestimmung: „Kommt eine Einigung über die Angelegenheit nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt dieEinigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.“


Interessenausgleichsverfahren


Eine Besonderheit bietet hierzu das Interessenausgleichsverfahren. Kommt es im Rahmen von Interessenausgleichverhandlungen nicht zu einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, muss der Arbeitgeber zwar die Einigungsstelle einschalten. Denn nur das Einigungsstellenverfahren dokumentiert nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) den ernsthaften Versuch des Interessenausgleichs. Weil der Interessenausgleich aber nicht erzwingbar ist, kann die Einigungsstelle den Interessenausgleich nicht gegen denWillen von Betriebsrat oder Arbeitgeber durch einen Spruch festlegen. Natürlich können sich beide Parteien auch in der Einigungsstelle untereinander einigen. Weil aber die Einigungsstelle keine Entscheidungen über einen Interessenausgleich treffen kann, ist dieser nicht erzwingbar. Kann eine Einigung also im Einigungsstellenverfahren nicht erreicht werden, würde dort nach dem Feststellen des Scheiterns das Verfahren eingestellt, und der Arbeitgeber kann mit der Umsetzung beginnen. § 112 Abs. 2 S. 1 Betriebsverfassungsgesetzt (BetrVG) sieht für den Arbeitgeber und den Betriebsrat noch die Möglichkeit vor, die Bundesagentur für Arbeit zur Vermittlung einzuschalten. Von diesem fakultativen Vorgehen wird in der Praxis allerdings schon aus Zeitgründen eher selten Gebrauch gemacht.


Interessenausgleich und Sozialplan verbinden


In jedem Fall sollten die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan miteinander verbunden werden. Denn ohne die Verbindung hat der Betriebsrat nach Abschluss des (erzwingbaren) Sozialplans wenig verbleibenden Druck, den Interessenausgleich in seinem Sinne zu beeinflussen und zu gestalten und denArbeitgeber dazu zu bewegen, diesen Interessenausgleich tatsächlich abzuschließen. Die praktischen Erfahrungen aus zahlreichen Verhandlungen machen deutlich, dass hier ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Betriebsrat liegt. Durch geschickte Verknüpfung von Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlung ist es häufig möglich, auf die inhaltliche Ausgestaltung der Maßnahme im Interessenausgleich spürbaren Einfluss zu nehmen - im Interesse der Beschäftigten.


Anspruch aus dem Interessenausgleich


Umstritten ist, ob der Betriebsrat einen einklagbaren Anspruch auf Einhaltung des Interessenausgleichs hat. In der Praxis ist es daher für den Betriebsrat ratsam, den Interessenausgleich ausdrücklich als Betriebsvereinbarung zu verhandeln und darin den Durchführungsanspruch des Betriebsrats zu regeln. Soerreicht der Betriebsrat in jedem Fall einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Einhaltung des Interessenausgleichs. In der Praxis werden vielfach Interessenausgleich und Sozialplan in einem einheitlichenDokument niedergelegt. Das ist zulässig und ratsam. Die Zusammenfassung in einem Dokument berührt die Wirksamkeit von Interessenausgleich und Sozialplan nicht.


Unterlassungsanspruch bei vorzeitiger Umsetzung


Beginnt der Arbeitgeber mit der Betriebsänderung, bevor der Versuch unternommen wurde, einenInteressenausgleich herbeizuführen, muss der Betriebsrat versuchen, eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Betriebsänderung zu erwirken. Wichtig ist dabei, dass die Landesarbeitsgerichte in den einzelnen Bundesländern unterschiedlicher Auffassung sind, ob es in diesem Zusammenhang einenUnterlassungsanspruch im einstweiligen Rechtschutz gibt. Der rechtliche Berater des Betriebsrats hat daher zu prüfen, in welcher Weise das örtlich zuständige Landesarbeitsgericht entscheidet, um dem Betriebsrat die Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Daneben muss der Arbeitgeber – wenn er rechtswidrig das Interessenausgleichs und Sozialplanverfahren nicht durchführt – neben ordnungsrechtlichen Sanktionen noch Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG befürchten. Auch betriebspolitisch ist für den Arbeitgeber die Umsetzung einer Betriebsänderung ohne Einigung mit dem Betriebsrat äußerst unklug, muss sich der Arbeitgeber doch auf eine Konfrontation sowohl mit dem Betriebsrat als auch mit allen betroffenen Mitarbeitern einstellen.


RA Dr. Thomas Koeppen (KPN Legal; Frankfurt und Berlin) und Dipl.-Kfm. Dr. Christof Balkenhol (Matrix GmbH, München) beraten Betriebsräte bei Interessenausgleich und Sozialplanverhandlungen. Kontakt:koeppen@kpn-legal.de; C.Balkenhol@matrix-partners.de


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