IT Ausfall bei Lufthansa – die Rechte der Fluggäste

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Am 14. Februar 2023 hat ein Baggerführer bei Bauarbeiten, die von der Bundesbahn in Auftrag gegeben wurden, unbeabsichtigt ein Glasfaserkabel, das der Versorgung der Region Frankfurt am Main mit Internetdaten dient, durchtrennt. Folge war unter anderem der Ausfall der gesamten IT bei der Deutschen Lufthansa AG im Bereich des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main. Deshalb konnten Passagiere für bevorstehende Flüge ab Frankfurt am Main nicht mehr abgefertigt werden und Flugzeuge blieben am Boden. Viele Flüge wurden annulliert. Infolge des Nichtabfliegens der Flugzeuge mussten auch ankommende Flugzeuge auf Ausweichflughäfen wie Nürnberg, Köln oder Düsseldorf umgeleitet werden. 

Am Nachmittag des 15. Februar 2023 wurden die Computersysteme dann wieder hochgefahren, sodass nach und nach die Abfertigung der Flüge wieder aufgenommen werden konnte. Ausgefallen waren bis dahin unter anderem die IT-Systeme für das Boarding, den Check in und die Crew-Planung. 

Die Rechte der Fluggäste nach einer Annullierung von Flügen: 

  • vollständige Erstattung der Flugscheinkosten 

  • Rückflug zum ersten Abflugort 

  • anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes 

  • Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit 

  • Gegebenenfalls Unterbringung im Hotel einschließlich Beförderung dorthin und wieder zurück zum Flughafen 

  • Anspruch auf Ausgleichszahlung zwischen 250 und 600 € (je nach Flugentfernung) 

Die Verpflichtung zur Leistung der Ausgleichszahlung entfällt, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Ist der IT-Ausfall ein außergewöhnlicher Umstand? 

Fluggäste stellen sich die Frage, ob in der Zerstörung des Glasfaserkabels durch eine Baufirma ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen ist, der zu einer Entlastung der Lufthansa führen kann. Allzu voreilige Kommentare haben zum Inhalt, dass die Beschädigung des Erdkabels als außergewöhnlicher Umstand zu werten ist, der zur Entlastung der Fluggesellschaft führt.   

Die Bauarbeiten im Auftrag der Deutschen Bahn, ausgeführt von einem selbstständigen Bauunternehmen, sind ohne jeden Zweifel als außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung zu werten. Allerdings reicht das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nicht aus, um eine Entlastung der Lufthansa herbeizuführen. Die Entlastung eines Luftfahrtunternehmens nach einer Annullierung aufgrund außergewöhnlicher Umstände tritt erst dann ein, wenn alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um entweder die Annullierung als solche oder deren Folgen zu vermeiden. 

Entlastung bei allen außergewöhnlichen Umständen? 

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Januar 2019 (X ZR 15/18) bereits entschieden, dass ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Flughafenterminals, der einen erhöhten Aufwand bei der Abfertigung der Fluggäste zur Folge hat und damit den planmäßigen Start eines Flugs verhinderte, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung begründen kann. 

Weiter  hat der Bundesgerichtshof in diesem Urteil ausgeführt, dass es sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer großen Verspätung des Fluges führen oder Anlass zu einer Annullierung geben. Die Zumutbarkeit sei vom Tatrichter situationsabhängig zu beurteilen. Die Wirkung von Maßnahmen, zu denen die Parteien nichts vorgetragen haben und die sich auch nicht als zumutbar und erfolgversprechend aufdrängen, bedarf dabei keiner Aufklärung. In dem genannten Rechtsstreit hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern des von der Fluggesellschaft genutzten Flughafenterminals grundsätzlich geeignet war, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-Verordnung zu begründen, die unter den weiteren Voraussetzungen der Vorschrift das Luftverkehrsunternehmen von seiner Verpflichtung befreien, die Ausgleichszahlung leisten zu müssen.  

Der Bundesgerichtshof hat zwar betont, dass das Luftfahrtunternehmen ihm alles Mögliche und Zumutbare tun muss, um die Arbeitsvorgänge bei der Abfertigung seiner Fluggäste, die in seinem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich liegen, wie die Überprüfung der Beförderungsberechtigung, der Vergabe der Sitzplätze, die Behandlung von Handgepäck und aufzugebendem Gepäck sowie die Ausstellung der Bordkarte und des Gepäcksscheins, so zu organisieren, dass von seiner Seite die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass der Flug ordnungsgemäß und unter Einhaltung des Flugplans durchgeführt werden kann. Soweit das Luftverkehrsunternehmen zur Wahrnehmung dieser Aufgaben auf die technischen Einrichtungen des Flughafens angewiesen ist, hat es jedoch keinen Einfluss darauf, dass deren Funktionsfähigkeit sichergestellt ist. Der Betrieb und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der technischen Einrichtungen eines Flughafens, zu denen auch die Telekommunikationsleitungen gehören, obliegen dem Flughafenbetreiber. Ein Ausfall der elektronischen Systeme, der darauf beruht, dass die Funktionsfähigkeit derartiger Einrichtungen über mehrere Stunden durch einen von Dritten verursachten technischen Defekt beeinträchtigt oder verhindert wird, stellt ein Ereignis dar, das von außen auf den Flugbetrieb des Luftverkehrsunternehmens einwirkt und dessen Ablauf beeinflusst. 

Deshalb hat der BGH entschieden, dass die Entlastung der Fluggesellschaft eingetreten ist, da Gegebenheiten wie der in Rede stehende mehrstündige Ausfall des Computersystems außergewöhnliche Umstände begründet, wenn das Luftverkehrsunternehmen trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen die Annullierung oder großer Verspätung nicht verhindern konnte. Es bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, die Zumutbarkeit dieser Maßnahmen zu beurteilen. 

 Einerseits kommt es darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftverkehrsunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außerstande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan einzuhalten. Zum anderen muss das Luftverkehrsunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert.  

Danach bestehe keine Verpflichtung, Fachkräfte zur Aufrechterhaltung der vom Flughafenbetreiber zur Verfügung gestellten technischen Einrichtung vorzuhalten, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände zu begegnen. Insofern hat die Fluggesellschaft nach dem Systemausfall vor Ort mit der manuell durchgeführten Abfertigung alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den durch den Systemausfall bedingten Beeinträchtigungen entgegenzuwirken.  

Fazit:

Ein Luftfahrtunternehmen muss daher vortragen und gegebenenfalls beweisen, dass trotz manueller Abfertigung, d. h. ohne Nutzung der IT eine Abfertigung der Fluggäste bzw. der Flugzeuge nicht möglich war. Wenn allerdings auf andere Weise die Abfertigung der Fluggäste möglich war und dadurch die Annullierung der Flüge hätte vermieden werden können, sind diese tatsächlich zu ergreifen.  

Dazu ist von LH offenzulegen, welche Möglichkeiten zusätzlich bestanden und welcher personelle Einsatz notwendig war, diese Möglichkeiten zu nutzen.  

Abschließend stellt sich allerdings noch die Frage (die bislang unbeantwortet ist) ob sich die Lufthansa und andere Fluggesellschaften nicht gegen Beschädigungen der Infrastruktur dadurch absichern muss, dass gegebenenfalls die notwendigen (Internet-) Daten nicht alternativ über andere Zugangswege bezogen werden können. Eine Redundanz der Versorgung mit notwendigen Daten zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur kann durchaus gefordert werden. 

Aus diesen Gründen ist es nicht so eindeutig, dass Fluggästen wegen der Beschädigung des Glasfaserkabels zur Versorgung mit Internet-Dateien und der daraus resultierenden Annullierung keine Ausgleichszahlungen neben den ohne Zweifel zu erbringenden Unterstützungs- und Betreuungsleistungen zu gewähren sind. 

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Foto(s): Holger Hopperdietzel

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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