Leugnen des Holocaust durch Verteidigerhandeln – ist das strafbar?

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Stellt ein Strafverteidiger im Rahmen eines Verfahrens wegen Volksverhetzung Beweisanträge, um den durch das NS-Regime begangenen Genozid an der jüdischen Bevölkerung zu leugnen, so macht er sich nach der Entscheidung des BGH vom 10.04.2002 (5 StR 485/01) wiederum seinerseits wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB strafbar. Solche Beweisanträge sind als verteidigungsfremdes Verhalten zu qualifizieren, für die auch nicht die Tatbestandsausschlussklausel nach § 130 Abs. 8 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB gilt.


Sachverhalt

Der Angeklagte trat in einem vor dem Landgericht Hamburg geführten Verfahren als Strafverteidiger auf, welche die Berufung gegen die Verurteilung seines Mandanten wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verleumdung und mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zum Gegenstand hatte. Dieser hatte einen Artikel in einem rechtsradikalen Heft veröffentlicht, in welchem er die Massenvernichtung von Juden unter der nationalsozialistischen Diktatur leugnete. In seinem Plädoyer stellte der Strafverteidiger drei Hilfsbeweisanträge, die ihrerseits die Massentötung durch den Einsatz von Giftgas in den Konzentrationslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau dementieren sollten. Mit seinen Anträgen verfolgte der Strafverteidiger das Ziel, zu beweisen, dass diese Lager keine Vernichtungslager gewesen seien.


Beweisanträge des Verteidigers im Einzelnen

So beantragte der vormals Strafverteidiger und nunmehr Angeklagte die Vernehmung des Chemikers R. als Sachverständigen. Dieser sollte anhand physikalisch-chemischer Erkenntnisse sowie Rückschlüsse bekunden, dass einerseits keine Zyanid-Rückstände an den Mauern der in den Konzentrationslagern befindlichen Gaskammern feststellbar seien und andererseits, dass die Wirkung des Giftgases Zyklon B nicht zur Massentötung der jüdischen Bevölkerung in Auschwitz geführt habe. Der vom Anklagten als Sachverständige benannte Chemiker ist jedoch selbst wegen eines solchen Gutachtens rechtskräftig wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden – dessen sich der Angeklagte in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger auch bewusst war. Weiterhin beantragte der Angeklagte darüber hinaus die Inaugenscheinnahme alliierter Luftaufnahmen sowie Urkundenverlesungen, womit er beweisen wollte, dass es sich bei den Konzentrationslagern Auschwitz sowie Auschwitz-Birkenau lediglich um „Arbeitslager“ gehandelt habe; die systematische Massentötung von Juden habe dort nie statt gefunden.


Entscheidung des Landgerichts 

Das Landgericht Hamburg befand in seiner Entscheidung, dass der Angeklagte durch Stellung dieser Beweisanträge den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Genozid an den Juden geleugnet hat und somit den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB grundsätzlich erfüllt hat. Allerdings sei die Strafbarkeit letztlich wegen der Tatbestandsausschlussklausel nach § 130 Abs. 5 i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB (§ 130 Abs. 8 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB n.F.) auszuschließen. Auch die angeklagte Beleidigung sowie Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener seien durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt. Demnach erfolgte durch das Landgericht Hamburg ein Freispruch des Angeklagten.


Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft erfolgreich Revision ein, sodass das Urteil aufgehoben und an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen wurde.


Volksverhetzung oder noch zulässiges Verteidigerhandeln?

In seiner Entscheidung hat der BGH sowohl die Strafbarkeit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB in Form des Leugnens des Holocausts angenommen als auch Tatbestandsausschluss nach § 130 Abs. 8 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB n.F. abgelehnt. Demnach handelt es sich bei denen vom Angeklagten gestellten Beweisanträgen nicht mehr um zulässiges Verteidigerhandeln, sondern um verteidigungsfremdes Verhalten – gerade in Anbetracht des historisch eindeutig belegten Genozids an der jüdischen Bevölkerung in den Konzentrationslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau.


Voraussetzungen der Volksverhetzung

Wegen der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands soll das Leugnen des Holocausts gemäß § 130 Abs. 3 StGB ausschließlich bestimmte Negativäußerungen erfassen. Dies spiegelt sich darin wider, dass das zur Störung des öffentlichen Friedens geeignete öffentliche Leugnen einer Völkermordhandlung dergestalt verfolgt und verhindert wird, das rechtsextremistische Propaganda, welche zur Vergiftung des politischen Klimas geeignet, bestraft wird. So gehen bei entsprechenden Äußerungen mit Öffentlichkeitsbezug automatisch eine solche Friedensgefährdung einher. Die Tatbestandsvarianten des „Billigen“, „Leugnens“ und „Verharmlosens“ gehen dabei zum Teil ineinander über. Gerade zwischen den Varianten des Billigens und des „qualitativen“ Verharmlosens sowie des Leugnens und „quantitativen“ Verharmlosens muss klar getrennt werden.



Leugnen des Holocausts durch den Strafverteidiger

Mit den Beweisanträgen des Angeklagten, die die Widerlegung der in den Konzentrationslagern begangenen Massenvernichtungen der Juden bezwecken sollte, dementierte der Angeklagte den über Jahre hinweg dort stattgefundenen Genozid. Insbesondere mit Blick auf die historisch besonders bekannten Konzentrationslager Auschwitz sowie Auschwitz-Birkenau ist dieses Vorgehen als sog. „Auschwitzlüge“ einzuordnen. Gerade weil es sich bei diesen beiden Konzentrationslagern um ein besonders kennzeichnendes Teilgeschehen des Holocausts handelt, kann hinsichtlich des Vorsatzes des Angeklagten hierbei nicht die Beantwortung der Frage maßgeblich sein, ob er die historisch unzweifelhaft belegten Geschehen in den Konzentrationslagern in Auschwitz schlicht in revisionistischer Verblendung verneint hat. Darauf kann es nicht ankommen, denn es entsprach vielmehr dem Willen des Gesetzgebers, dass die Vorschrift des § 130 Abs. 3 StGB gerade auch die „Unbelehrbaren“ tangieren sollte. So sollten sich diese nicht wegen mangelnder Belehrbarkeit einer Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 StGB entziehen können. Der innere Tatbestand wird also nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt ist. Demnach reicht das bewusste Abstreiten des bekanntermaßen historisch anerkannten Holocausts für die Annahme des vorsätzlichen Leugnens im Sinne dieser Vorschrift aus; eine „bewusste Lüge“ ist hierfür nicht erforderlich.


Durch die Stellung dieser Anträge in einer öffentlichen Hauptverhandlung im Beisein von Öffentlichkeit und Presse erfüllt der Angeklagte zudem das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Äußerung in einer zur Störung des öffentlichen Friedens geeigneten Weise. Eine weitergehende Verbreitungsgefahr ist nicht tatbestandlich nicht erforderlich. Insoweit bestätigt der BGH bisher die Erwägungen des Landgericht Hamburg.



Tatbestandsausschluss?

Der BGH beanstandet in seiner Entscheidung jedcoh die Erwägungen des Landgericht Hamburgs dahingehend, als das es dem Angeklagten einen Tatbestandsausschluss nach § 130 Abs. 8 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB n.F. zugestanden hat. Nach dieser Vorschrift ist der Straftatbestand des § 130 Abs. 3 StGB tatbestandlich dann nicht erfüllt, wenn die Äußerung des Angeklagten einer der in § 86 Abs. 4 StGB benannten Zwecken dient; die Wahrnehmung der Strafverteidigung ist als ein solcher Zweck höchstrichterlich anerkannt.


Im Wege der Festlegung der Reichweite dieser Vorschrift ist – gerade mit Blick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete Berufsfreiheit nach Art. 12 GG – die rechtsstaatlich geforderte Gewährleistung einer effektiven Strafverteidigung zu beachten. Aus diesem Grund ist bei der gerichtlichen Inhaltskontrolle auch Zurückhaltung geboten.



Verteidigung ohne jeden Bezug bzw. verteidigungsfremdes Verhalten?

Um die „Gradwanderung“ der Differenzierung zwischen zulässigem und unzulässigem Verteidigerhandeln näher spezifizieren zu können, sind gewisse Anhaltspunkte heranzuziehen. So handelt es sich um unzulässiges Verteidigerhandeln, wenn dessen Prozesserklärung entweder ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das nur dem äußeren Anschein nach zu urteilen eine Verteidigung darstellt, jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht nach den Maßstäben des Strafverfahrensrecht sowie des materiellen Strafrechts als solches zu bewerten ist.


Aussichtslosigkeit der Beweisanträge

Vorliegend drängt sich das verteidigungsfremde Verhalten des Angeklagten dahingehend auf, dass er das im Rahmen der Beweisanträge kennzeichnende Teilgeschehen des Holocausts geleugnet hat. Zwar hat der Angeklagte mit der Beweisantragsstellung nach äußerem Anschein Verteidigerhandeln an den Tag gelegt. Allerdings dienen diese Äußerungen bzw. diese Anträge in keiner Hinsicht der Sachaufklärung oder der rechtlichen Beurteilung im konkreten Verfahren, weshalb sie auch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt etwas dazu beizutragen vermögen. Denn das Leugnen der Massenvernichtung der Juden in den Konzentrationslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau im Rahmen der Beweisanträge ist sachlich dergestalt gänzlich aussichtslos, dass die Anträge – wie generell in jedem Strafverfahren – wegen Offenkundigkeit gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 StPO als überflüssig abzulehnen sind. Der Ausnahmefall einer Berufung auf präsente Beweismittel gemäß § 245 Abs. 2 S. 3 StPO ist vorliegend auch nicht ersichtlich. Für derartig sinnlose bzw. aussichtslose Beweisanträge gilt der Tatbestandsausschluss nach § 130 Abs. 8 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB n.F. letztlich nicht, denn diese können schlicht nichts zur Verteidigung beitragen.


Die Aussichtslosigkeit der Beweisanträge sind wegen ihres evidenten Leugnens des Holocausts derart eklatant aufgrund des historischen Kontexts, dass allein darin ein tragfähiges Indiz für verteidigungsfremdes Verhalten zu sehen ist. Hinzu kommt, dass der Angeklagte als Strafverteidiger die dafür erforderliche Sachkundigkeit auch vorweisen kann, zumal er sich der Verurteilung des von ihm als Sachverständiger beantragten Chemikers eben wegen Volksverhetzung bewusst war. Dem Angeklagten hätte sich die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens mit diesen Beweisanträgen demnach aufdrängen müssen.


Ergebnis

Mit diesem Entscheidung schneidet der BGH Strafverteidigern die Möglichkeit ab, sich bei tatbestandlicher Erfüllung des Leugnens des Holocausts in den Tatbestandsausschluss des Verteidigerhandelns zu fliehen. Vielmehr ordnet der BGH das Bezweifeln der Massenvernichtung von Juden in den Konzentrationslagern im Rahmen von Beweisanträgen als derart aussichtslos ein, dass diese wegen Offenkundigkeit abzulehnen sind und als verteidigungsfremdes Verhalten zu qualifizieren sind.





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