Mietrechtlichen Folgekündigungen im gerichtlichen Verfahren sind derzeit unwirksam

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Eine Schriftsatzkündigung als Folgekündigung ist gerade in mietrechtlichen Rechtsstreiten ein wirksames Mittel, unwirksame oder nicht eindeutige Kündigungen zu ergänzen.

Vielfach wird ein Mietverhältnis gekündigt, eine Räumungsklage eingereicht und dann abgewartet, ob der Mieter während des Prozesses unvorsichtig wird und einen neuen Kündigungsgrund bietet, der leichter nachzuweisen ist.

Oder eine neue Kündigung muss ausgesprochen werden, wenn nach einem Hinweis des Gerichts oder aufgrund eigener Sicht die Wirksamkeit der bisherigen Kündigung für nicht ausreichend angesehen wird.


Die Schriftsatzkündigung war bislang technisch einfach.

Der Prozessbevollmächtigte der Vermieterseite kündigt in einem gerichtlichen Schriftsatz während eines laufenden gerichtlichen Räumungsverfahrens das Mietverhältnis erneut.

Der Beifügung einer (neuen) Vollmacht bedarf es dabei nicht. Die neue Kündigung ist durch die Prozessvollmacht umfasst.


Seit dem 01. Januar 2022 dürfen Rechtsanwälte mit den Gerichten gemäß § 31a BRAO ausschließlich elektronisch unter Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (beA) kommunizieren.


Das bedeutet aber gleichzeitig, dass auf den dann von den Gerichten weitergeleiteten Schriftsätzen keine Originalunterschrift der Prozessbevollmächtigten vorhanden ist.


Sinn der elektronischen Übermittlung sollte eine Vereinfachung des Schriftwechsels sein.

Daran gemessen hapert es in der Realität, vor allem bei Schriftsatzkündigungen.


Die erforderliche Übermittlung in der elektronischen Form kann von dem absendenden Prozessbevollmächtigten eingehalten werden.

Aber die Schwierigkeit liegt an der Weiterleitung durch die Gerichte.

Denn diese müssten den Schriftsatz selber an die Gegenseite in entsprechende Form weiterleiten. Dies geschieht aber nicht automatisch.

Entweder der Schriftsatz wird kopiert, die Kopie gescannt und dann per beA weitergeleitet, oder die Kopie wird mittels Post analog an die Gegenseite versendet. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn der Prozessgegner nicht anwaltlich vertreten ist.

Dann ist zwar die elektronische wirksame Form im Verhältnis Absender zu Gericht eingehalten, nicht aber zwischen Gericht und Empfänger.

Die Gerichte selber müssen den elektrischen Verkehr mit den Prozessbevollmächtigten gemäß § 298 a Abs. 1a ZPO erst ab 2026 einhalten.


Die Weiterleitung erfolgt bislang durch die Geschäftsstellen nach Wahl per bea, Post oder Telefax. Der Absender des Schriftsatzes selber hat keinen Einfluss auf die Form der weiteren Übermittlung.

Ist der Prozessgegner nicht anwaltlich vertreten, werden die Schriftsätze nur per Post weitergeleitet.


Ein Rechtsanwalt ist gehalten, den sichersten Weg einzuhalten. Ansonsten macht er sich haftbar.

Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 05. November 1987, IX ZR 86/86 erläutert. Demnach muss der Rechtsanwalt sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, die die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem diese am sichersten zu erreichen ist.


Wie das Gericht den eigenen Schriftsatz mit der ergänzenden Kündigung weitergeleitet, unterliegt nicht dem Einflussbereich des absendenden Prozessbevollmächtigten.

Ob das Gericht einen nach § 298 ZPO notwendigen Prüfvermerk vornimmt oder an den Gegner weiterleitet, der das Ergebnis der Integritäts- und Signaturprüfung übermittelt, was ausreichend ist (so auch Streyl in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2022, § 568 BGB, RN 29) liegt ebenfalls außerhalb des Einflussbereiches des Absenders. Dieser bekommt auch keine Kenntnis, was das Gericht wie weiterleitet.

Das elektronische Dokument kann nach § 298 Abs. 4 ZPO nach sechs Monaten gelöscht werden, also noch während des laufenden gerichtlichen Verfahrens.


Das Amtsgericht Hamburg hat in seiner Entscheidung vom 25. Februar 2022, 48 C 304/21, ausgeurteilt, dass die erfolgte Schriftsatzkündigung nicht der Schriftform und auch nicht der elektronischen Form genügte, weil die Legitimationswirkung der Absendersignatur nur gegenüber dem Gericht bestehe und der vom Gericht per Post übermittelte Ausdruck nicht ausreichend ist.


Das Amtsgericht Düren hat in einem Beschluss vom 17. Mai 2023, 41 C 20/23, im Rahmen einer Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache entschieden, dass eine Übermittlung des Ausdruckes des Schriftsatzes an den Gegner nicht ausreichend für die Einhaltung der Schriftform war.


Das Landgericht Gießen hat in seinem Urteil vom 21. Juni 2023, 1 S 194/22, entschieden, dass die Schriftform einer Schriftsatzkündigung nicht gewahrt ist, wenn der Schriftsatz zwar elektronisch qualifiziert signiert wurde, aber mangels Prüfprotokoll nicht nachgewiesen werden kann, dass das Gericht den Schriftsatz qualifiziert an den Prozessgegner weitergeleitet hat.


Die derzeit herrschende Auffassung sieht in der Übermittlung einer Schriftsatzkündigung im elektronischen Rechtsverkehr eine unwirksame Kündigung, weil die notwendige Schriftform nicht eingehalten worden ist.


Es entsteht ein erhebliches Prozessrisiko und damit ein Haftungsproblem für die Prozessbevollmächtigten der Vermieterseite.

Die meisten Rechtsanwälte und Richter sind bei dieser Frage nicht hinreichend sensibilisiert.


Was folgt?

Die Konsequenz für die Praxis und der sichere Weg gestalten sich derzeit wie folgt:


1.

Der Prozessbevollmächtigte übermittelt wie in früheren Zeiten das Original des Kündigungsschreibens analog und in Papierform direkt von Anwalt zu Anwalt gemäß § 195 Abs. 1 ZPO oder an die gegnerische Partei.

Die Pflicht zur Einreichung von Schriftsätzen in elektronischer Form besteht nur gegenüber dem Gericht, nicht aber gegenüber anderen Rechtsanwälten.


2.

Ein formwirksames Kündigungsschreiben wird im Verhandlungstermin dem Gegner oder dem Prozessbevollmächtigten direkt übergeben.

Die Übergabe eines vor per beA bereits übermittelten und jetzt unterschriebenen Schriftsatzes in der Verhandlung dürfte nicht wirksam sein.


3.

Sofern der Mieter von einem Rechtsanwalt vertreten wird, bietet sich auch gemäß § 195 Abs. 1, 173 Abs. 1 ZPO die elektronische Übermittlung an diesen an, sofern die Voraussetzungen des § 126a Abs. 1 BGB eingehalten werden.


4.

In allen Fällen muss dann die Kündigung dem Gericht schriftsätzlich als ergänzender Sachvortrag zur Kenntnis gebracht werden.



Die Digitalisierung führt nicht zu einer Vereinfachung und Entlastung, sondern zu einer Belastung, zusätzlichem Aufwand und zu einer neuen Haftungsproblematik. Wieder ist eine gesetzliche Regelung nicht zu Ende gedacht. 



Frank Hartmann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht





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