Mord als Mangel der Immobilie?

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Doppelmord berechtigt nicht zur Anfechtung eines Immobilienkaufvertrags

16.02.2022

von RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Beim Erwerb von gebrauchten Immobilien wird regelmäßig die Sachmängelgewährleistung ganz oder zumindest teilweise ausgeschlossen. Erfährt der Käufer daher nach Abschluss des Kaufvertrags, dass die Immobilie unter einem Mangel leidet, bleibt ihm häufig nur die Anfechtung des Kaufvertrags, um sich von dem Geschäft wieder zu lösen. Die Rechtsprechung hierzu ist vielfältig. Mit einer „besonderen“ Fallkonstellation hatte sich nunmehr aber das LG Coburg (Urteil vom 06.10.2020, Az. 11 O 92/20) und in der Berufungsinstanz das OLG Bamberg zu beschäftigen.  

Die Klägerin des Verfahrens hatte im Jahr 2018 von der Beklagten eine Immobilie erworben, der Kaufvertrag wurde im weiteren erfüllt und die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Ende 2019 erfuhr die Klägerin dann, dass in dem Gebäude 1998 ein zweifacher Mord an einer Frau und ihrem Kleinkind stattgefunden hat. Nach den Feststellungen des Gerichts hätte die Frau die Immobilie nicht gekauft, wenn sie dies gewusst hätte. Die Beklagte selbst hatte die Immobilie im Jahr 2004 gekauft, ohne dass sie von dem Verbrechen Kenntnis gehabt hätte. Sie erfuhr davon jedoch um das Jahr 2007 herum.

Die Klägerin ließ den Kaufvertrag durch ihren Rechtsanwalt wegen arglistiger Täuschung anfechten, nachdem sie von dem zweifachen Mord erfahren hatte und verlangte die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Nachdem die Beklagte dies außergerichtlich zurückgewiesen hat, erhob die Klägerin Klage.

Damit stellte sich für das Gericht die Frage, ob vorliegend die Anfechtung des Kaufvertrags möglich war.

Das Bürgerliche Gesetzbuch („BGB“) kennt zwei Grundlagen für die Anfechtung von Rechtsgeschäften, nämlich §§ 119 BGB, wenn der Erklärende unter einem „Erklärungs- oder Inhaltsirrtum“ gelitten hat (und den Vertrag so nicht abschließen wollte) oder nach § 123 BGB, wenn der Erklärende durch „arglistige Täuschung oder Drohung“ zur Abgabe der Willenserklärung verleitet wurde.

Im Zusammenhang mit notariell beglaubigten Immobilienkaufverträgen liegen Erklärungs- und Inhaltsirrtum eher fern. Ebenso selten dürfte der Käufer durch eine Drohung zum Abschluss des Vertrags genötigt werden.

Juristisch möglich ist bei Immobilienkaufverträgen eine arglistige Täuschung durch Verschweigen von Mängeln. Fraglich ist dann, über welche Mängel der Verkäufer einer Immobilie ungefragt aufklären muss.

Hierbei gilt nach der Rechtsprechung der Grundsatz, dass an sich keine Aufklärungspflicht für den Verkäufer besteht, soweit es sich um Mängel handelt, die der Käufer im Rahmen einer sorgsamen Besichtigung erkennen kann („offene Mängel“). Unterlässt der Käufer diese Besichtigung, ist es sozusagen „seine eigene Schuld“. Fragt der Käufer jedoch ausdrücklich nach einem Mangel oder Beschaffenheit der Immobilie, so muss der Verkäufer die Frage wahrheitsgemäß beantworten oder, sofern er die „richtige“ Antwort nicht kennt, dies offenlegen. Nach dieser Rechtsprechung führen also bewusst unwahre Auskünfte und sog. „Erklärungen ins Blaue hinein“ (wenn der Verkäufer eine Auskunft gibt, von der er weiß, dass diese falsch sein könnte, er dies aber nicht offen legt) zu einer arglistigen Täuschung und damit zu einem Anfechtungsrecht für den Käufer.

All dies lag vorliegend nicht vor. Vielmehr hatte die Beklagte einen Umstand – nämlich den zweifachen Mord aus dem Jahr 1998 – trotz Kenntnis nicht offenbart. Entscheidend war somit die Frage, wann der Verkäufer ungefragt auf einen Umstand hinweisen muss, der kein „offener Mangel“ ist und nach dem nicht gefragt wird. Die Rechtsprechung arbeitet dabei mit der Formel, dass eine ungefragte Aufklärungspflicht besteht, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung über den betreffenden Umstand erwarten darf. Dabei muss jede Partei grundsätzlich ihre Interessen selbst wahrnehmen und es besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für den Entschluss der anderen Partei von Bedeutung sein könnten. Jeder Partei obliegt es jedoch, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsanschauung erwarten konnte.

Das Landgericht hat in seiner Entscheidung dabei grundsätzlich erklärt, dass die Tatsache, dass in einem zum Verkauf stehenden Gebäude ein Verbrechen stattgefunden hat, je nach den Umständen des Einzelfalls auch ungefragt offen gelegt werden muss. Dies soll jedoch nicht unbeschränkt gelten, sondern bedarf der Abwägung im Einzelfall. Insbesondere der zeitliche Abstand zwischen Verbrechen und Kaufentscheidung soll dabei eine Rolle spielen. Angesichts der Tatsache, dass zwischen dem Verbrechen und dem Abschluss des Kaufvertrags 20 Jahre lagen, sah das Landgericht eine Aufklärungspflicht nicht mehr als gegeben an.

Damit allein hätte das Landgericht die Abweisung der Klage schon begründen können. In einem obiter dictum führte das Landgericht jedoch aus, dass selbst, wenn man eine Offenbarungspflicht annehmen würde, vorliegend kein Anspruch besteht. Denn eine arglistige Täuschung setzt bei dem Täuschenden subjektiv auch voraus, dass er arglistig handelt. Arglistig handelt aber nur der, der damit rechnet bzw. es billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Umstand nicht kennt und bei Offenlegung den Vertrag nicht oder nicht mit dem Inhalt abgeschlossen hätte. Die Beklagte hat dem Gericht jedoch offenbar glaubhaft erklärt, dass für sie selbst und ihren vorverstorbenen Ehemann das Verbrechen selbst keine Bedeutung gehabt habe, was man auch daran erkenne, dass sie selbst nach Kenntnis noch über 10 Jahre in dem Haus gewohnt hat. Deshalb habe sie sich beim Verkauf keine Gedanken über die Geschichte des Hauses gemacht und das Verbrechen nur ganz weit hinten in ihrem Kopf gehabt. Nach Wertung des Gerichts habe sie damit nicht „billigend in Kauf genommen“ dass die Klägerin den Vertrag bei Kenntnis des Verbrechens nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätte. Jedenfalls könne die insoweit beweisbelastete Klägerin die Arglist nicht nachweisen.

Nach dem Inhalt der Pressemitteilung des LG Coburg hat die Klägerin gegen das klageabweisende Urteil Berufung zum OLG Bamberg eingelegt, die Berufung aber nach einem Hinweis des Oberlandesgerichts zurückgenommen, so dass das Urteil nun rechtskräftig ist.

Die vorliegende Entscheidung betrifft sicherlich einen besonders gelagerten Einzelfall. Sie zeigt jedoch die juristischen Probleme für den Anfechtenden recht deutlich auf. Soweit – wie meistens – das Verschweigen eines Mangels im Raum steht, muss der Anfechtende nachweisen, dass er nach Treu und Glauben erwarten konnte, dass ihm der Umstand auch ungefragt offengelegt wird, weil sie vernünftigerweise Einfluss auf seine Entscheidung, die Immobilie zu erwerben gehabt hätte. Im Falle eines Verbrechens dürfte dabei insbesondere die Schwere des Verbrechens, der Zeitablauf und die Aufmerksamkeit, die das damalige Verbrechen bekommen hat, eine Rolle spielen. Wird dies bejaht, trifft ihn der Nachweis, dass sein Vertragspartner arglistig gehandelt hat. Dazu muss der Gegner Kenntnis von dem Umstand gehabt haben und er musste für möglich halten, dass der Umstand Bedeutung für die Kaufentscheidung hat. Je schwerer dabei der verschwiegene Umstand objektiv wiegt, desto eher wird man von Arglist ausgehen können.

Aufgrund der Komplexität des jeweiligen Sachvortrags etc. ist es dabei in einem Fall, in dem das Verschweigen eines Mangels im Raum steht, sowohl für Verkäufer als auch Käufer ratsam, sich früh um qualifizierten anwaltlichen Rat zu bemühen, weil Änderungen des eigenen Vortrags im laufenden Verfahren die Position der Gegenseite stärken können.

HE

Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht und befasst sich seit seiner Zulassung 2005 u.a. mit den Rechtsfragen des Immobilienkaufs, der Immobilienfinanzierung und immobiliennahen Versicherungsleistungen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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