Neue EuGH-Entscheidung bezüglich Syrien führt nicht automatisch zum Flüchtlingsschutz

  • 3 Minuten Lesezeit

Die Erwartungshaltung sowohl bei den syrischen Mandanten wie auch bei den sie unterstützenden Initiativen und Vereinen war groß, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) im November 2020 entschied, dass die Verweigerung des Militärdienstes in Syrien als ein Akt politischer Opposition ausgelegt werden kann; vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2020, Az. C-238/19.

Diese Entscheidung führte im betreffenden Fall dazu, dass dem - nunmehr im wehrpflichtigen Alter befindlichen - Kläger statt einem subsidiären Schutzstatus vielmehr die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen sei. Dies hat, neben der bloßen Entscheidung über den Asylantrag und einer nunmehr dreijährigen statt einjähriger Aufenthaltserlaubnis, auch zur Folge, dass sich Vorteile hinsichtlich des Familiennachzugs und der Erteilung des blauen Flüchtlingsreiseausweises ergeben.

 

Erste Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte

Inzwischen liegen dazu die ersten Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte vor, die die Freude über die Entscheidung des EuGHs etwas trüben. Denn entgegen vieler Erwartungen folgten bislang zumindest die Verwaltungsrichter am VG Regensburg, VG Göttingen oder VGH Baden-Württemberg nicht der Auffassung, dass unterschiedslos jedem Syrer im wehr­pflichtigen Alter „automatisch“ die Flüchtlings­eigenschaft zuzuerkennen sei.

In diesen jüngsten Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wurden die auf die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes abzielenden Klagen abgewiesen. Dabei wurde unterstrichen, dass die vom EuGH formulierte „starke Vermutung“ bei einer tatsächlich anzunehmenden Militärdienstverweigerung primär auf die Frage nach einer politischer Vorverfolgung zielt. Wie insbesondere im Beschluss des VGH Baden-Württemberg ausgeführt wird, habe der EuGH vielmehr bekräftigt, dass dem europäischen Asylrecht jeder Automatismus grundsätzlich wesensfremd sei; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2020, Az. VGH A 4 S 4001/20.

Es gilt somit weiterhin: Jeder einzelne Asylantrag muss individuell geprüft werden! Eine Entscheidung eines Gerichts und sei es auch der EuGH, kann und darf nicht pauschal auf jeden weiteren Sachverhalt übertragen werden. In den entsprechenden Sachverhalten der syrischen Staats­angehörigen bedeutet dies, dass nicht jeder die Flüchtlingseigenschaft ablehnende Bescheid des BAMF automatisch als (unions-) rechtswidrig anzusehen ist.

 

Was bedeutet das nun für die syrischen Mandanten?

Erst einmal ist die Entscheidung des EuGHs richtig einzuordnen. Wichtig ist zu beachten: Das Urteil des EuGHs aus dem November 2020 bezieht sich auf die tatsächliche Situation in Syrien zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des syrischen Staatsangehörigen, der letztlich vor dem EuGH geklagt hatte – und das war der April 2017!

Keine Frage: Noch immer sind zahlreiche Städte und Regionen mit komplexen militärischen Auseinander­setzungen verschiedener Gruppierungen konfrontiert. Aber in den inzwischen vergangenen knapp vier Jahren hat es vielfältige Veränderungen im Land gegeben. So hat sich die militärische Lage in Syrien zugunsten des Regimes entwickelt, welches zudem Amnestieerlasse und einen Demobilisierungserlass beschlossen hat. Diese Veränderungen betreffen auch und insbesondere die Frage nach den Konsequenzen einer früheren Wehr­dienstverweigerung bei der syrischen Armee.

 Es ist somit dringend anzuraten, dass den Mandanten keine vorschnellen Entschlüsse geraten werden. Jeder einzelne Sachverhalt sollte vorab individuell geprüft werden, um dabei die Erfolgschancen auszuloten. Dabei sollte es vor allem um die Fragen gehen, ob die Mandanten vor ihrer Flucht aus Syrien den Militär­dienst verweigern konnten und tatsächlich verweigert haben, aus welchen konkreten Gründen dies erfolgte, ob zusätzliche individuell gefahr­erhöhende Umstände feststellbar sind, die ein Wahrnehmung des Mandanten als Regimefeind annehmen lassen und wie sich letztlich die aktuelle Lage in Syrien darstellt.

 

Gerne berate ich Sie zu diesem Thema.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Heidi Schairer

Beiträge zum Thema