Neues Kaufrecht ab 2022: Änderung des Sachmangelbegriffs

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Sehr geehrte Mandantschaft,

der Gesetzgeber erneuert ab 2022 das Kaufrecht. 

Mit dem Kaufrecht kommt jeder Bürger in Kontakt. Wer etwas kauft oder etwas verkauft schliesst einen Kaufvertrag. Das Kaufrecht regelt und modifiziert dabei insbesondere die Rechte des Käufers bei Mängeln der Kaufsache. 

Während viele Käufer mögliche Mängel bei billigen Artikeln schlicht in Kauf nehmen, weil für sie Gewährleistungsansprüche durchzusetzen den Aufwand im Verhältnis nicht wert ist, werden Mängelrechte gerade bei teuren Artikeln wie beispielsweise Autos oder Pferden (die selbstverständlich Tiere sind, aber vom Gesetzgeber rechtlich wie Sachen behandelt werden) ganz besonders interessant.

§434 BGB in seiner aktuellen Fassung definiert nicht direkt was ein Mangel ist, sondern beschreibt umgekehrt, wann bei einer Kaufsache zumindest kein Mangel vorliegt.

Danach ist es so, dass der Kaufgegenstand jedenfalls dann nicht mangelhaft ist, wenn er die vereinbarte Beschaffenheit hat. 

Wurde nichts ausdrücklich vereinbart, dann ist der Kaufgegenstand nicht mangelhaft, wenn er für die gewöhnliche Verwendung geeignet ist und er eine ähnliche Beschaffenheit wie andere solcher Gegenstände hat, weswegen der Käufer auch bei diesem Gegenstand eine solche Beschaffenheit erwarten darf. 

Ein Mangel liegt ebenfalls vor, wenn in einer Werbung vom Hersteller oder Verkäufer irgendwelche Eigenschaften zugesichert wurden, diese aber nicht vorliegen. Dies betrifft natürlich nicht "marktschreierische Äußerungen", sondern nur realitisch vorstellbare Eigenschaften. Wenn Red Bull Ihnen trotz Werbeaussage keine Flügel verleiht, ist Ihr Red Bull nicht mangelhaft. Wenn Ihr Jeep in der Werbung wie ein Geländewagen durch die Wildnis brettert, aber rein faktisch für Geländefahrten komplett ungeeignet ist, kann man schon eher von einem Mangel sprechen.

Ist die Sache vom Verkäufer zu montieren und wird die Montage (z.B. einer Küche) durch die beauftragten Monteure des Verkäufers verbockt, oder ist nach der sogenannten "Ikea-Klausel" bei zu montierenden Sachen keine oder eine nur eine grottenschlechte Anleitung dabei, wird auch von Mangelhaftigkeit ausgegangen. Der Begriff "Ikea-Klausel" wird im Übrigen nicht abwertend gegenüber dem Möbelhersteller verwendet. Ikea verkauft schlicht am häufigsten Möbel in Einzelteilen zusammen mit einer Aufbauanleitung, so dass der Begriff sich irgendwann eingebürgert hat.

Mängel selber machen aber keine Ansprüche. Der Mangel muss vielmehr bei "Gefahrübergang" vorgelegen haben. Dieser Begriff bedeutet den Zeitpunkt, ab dem die Sache sozusagen "Ihr Problem" und nicht mehr das des Verkäufers ist. Kaufen Sie ein Pferd und stürzt es 10 Minuten später auf der Wiese und bricht sich das Bein, dann ist das Pferd hierdurch mangelhaft. Es war Ihnen dabei aber bereits übergeben und die Gefahr, dass ein Mangel auftritt, ging auf Sie über. Hatte das Pferd eine versteckte Krankheit bereits vor dem Kauf, dann lag ein Mangel bei Gefahrübergang vor. 

Wann Gefahrübergang vorliegt ist mitunter unterschiedlich geregelt, die Beispiele dienten nur zur Veranschaulichung.


In der neuen Fassung des §434 BGB ab 2022 wird der bisherige Mangelbegriff zugunsten der Käufer weiter präzisiert und ausgedehnt. 

Der erste Absatz lautet dann:
"Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht. "

Das Wörtchen "und" deutet normalerweise an, dass alle drei Voraussetzungen nebeneinander vorliegen müssen. Das entspricht aber nicht der im Entwurf niedergeschriebenen Intention des Gesetzgebers, den Mangelberiff aus Verbraucherschutzgründen neu zu definieren. Deshalb dürfte es sich hierbei eher um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers handeln, aufgrund dessen das Wort "und" eher als ein "oder" gelesen werden sollte. 

Durch die vom Gesetzgeber vorgenommene Neudefinition wird im Wesentlichen die oben geschilderte, bisherige Regelung "aufgedröselt", teilweise ergänzt und in Unterkategorien aufgeteilt, die jetzt weiter definiert werden.

Um den neuen subjektiven Anforderungen gerecht zu werden, muss die Kaufsache ab 2022 die "vereinbarte Beschaffenheit" haben. 

Hierzu gehören nunmehr Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale, die vertraglich als Anforderung an die Sache vereinbart wurden. Die Kaufsache muss sich dazu auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen, mit dem vertraglich vereinbarten Zubehör und mit Montage-, Installations- und sonstigen Anleitungen versehen sein.

Neu ist dabei insbesondere, dass von "subjektiven" Anforderungen gesprochen wird. Dies kann einerseits bedeuten, dass nur die Käuferperspektive oder aber schlicht der konkrete Vertrag sowohl aus Käufer- als auch Verkäufersicht von nun an relevant ist.

Nach der Richtlinie (EU) 2019/770, auf der diese Änderung des §434 BGB basiert, sollen Verbraucher nicht mehr durch unterschiedliche oder unklare Regeln verunsichert werden. Dort heisst es: "[...]in Fällen, in denen der Vertrag sehr niedrige Standards festlegt, sollten die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht nur den subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit entsprechen, sondern darüber hinaus die in dieser Richtlinie festgelegten objektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit erfüllen."


Damit deutet die Richtlinie an, dass eher das konkrete Vertragswerk aus Sicht beider Vertragsparteien für die Frage, ob ein subjektiver Mangel vorliegt, relevant ist. Ob dem die Gerichte in Zukunft folgen werden, bleibt momentan noch offen. Ob die Richtlinie durch Begriffe wie "Interoperabilität" ihren Zweck, Verunsicherungen der Verbraucher zu verhindern, tatsächlich erfüllt, erscheint fraglich.


Die neuen objektiven Anforderungen entsprechen dabei im Wesentlichen den Anforderungen des §434 BGB in der alten Fassung, wenn keine Beschaffenheit vereinbart wurde. Neu ist, dass nunmehr Proben oder Muster, die im Vorfeld mitgegeben wurden, mit der Kaufsache übereinstimmen müssen (z.B. ein Farbton). Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale sind dabei auch Bestandteile der objektiven Anforderungen.

Die Montageanforderungen sind im Übrigen wie bei der oben beschriebenen "Ikea-Klausel" weiterhin vorhanden. 


Ganz neu ist auch: Ab 2022 wird nunmehr auch ein weiterer Sachmangelbegriff in §§ 475b Abs. 2 – 4, 475c BGB für Sachen mit digitalen Inhalten geprägt.  

Eine Sache mit digitalen Elementen ist danach eine Sache, die in einer solchen Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthält oder mit ihnen verbunden ist, dass sie ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen kann. Der Hauptanwendungsfall sind hierbei wohl eher Smartphones und Computer, während der Smart-Kühlschrank oder ein Auto mit "smarten Steuerungselementen" hierunter wohl nicht fallen dürften, weil sie ohne digitale Dienstleistungen oder Inhalte immernoch funktionieren.

Während für solche Gegenstände auch das neue Sachmängelrecht gilt, werden die neuen subjektiven Anforderungen ergänzt. Eine solche Sache ist dann mangelfrei, wenn für die digitalen Elemente die im Kaufvertrag vereinbarten Aktualisierungen vom Verkäufer bereitgestellt werden. 

Zu den neuen objektiven Anforderungen gehört für digitale Sachen nunmehr ergänzend zu den oben schon beschriebenen Anforderungen, dass dem Verbraucher vom Verkäufer Updates bereitgestellt werden, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Sache erforderlich sind. Zudem muss der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert werden.  


Neu ist dabei auch, dass die Montageanforderungen eine Installationsanleitung für Updates umfassen müssen.

In zeitlicher Hinsicht gilt für die Aktualisierungspflicht entweder direkt die vertragliche Vereinbarung oder aber der Zeitraum, für den der Verbraucher Aktualisierungen aufgrund der Art und des Zwecks der Sache und ihrer digitalen Elemente (auch unter Berücksichtigung der Vertragsumstände und der Art des Vertrags) erwarten kann. Die Aktualisierungspflicht gilt aber mindestens zwei Jahre ab Ablieferung der Sache.


Dies sind damit die wesentlichen Änderungen des Sachmangelbegriffes, die auf Verträge ab dem 01.01.2022  anwendbar sind. Weitere Änderungen gibt es dabei auch bezüglich des Verbrauchsgüterkaufs, der Verjährung und zur Beweislastumkehr im Zusammenhang mit Mängeln bei Gefahrübergang.

Für alle Kaufverträge die vor diesem Datum geschlossen werden, gilt aber weiterhin das bisherige Kaufrecht. 

Was man der Änderung entnehmen kann ist, dass es für Verkäufer und Käufer eine unsichere Phase geben wird, bis die Gerichte die Frage mit den subjektiven Anforderungen ausreichend geklärt haben. In Zukunft ist es aber sinnvoll, für relevante Verträge (teure Verträge, z.B. Pferde- /Autokauf) eine Leistungsbeschreibung in den Kaufvertrag mit aufzunehmen und Vertragsbestandteil werden zu lassen, damit sich hierzu erst gar keine langwierigen Rechtsstreite entwickeln. 

Als Ihr Anwalt in Trier und Umgebung stehe ich Ihnen gerne beratend zur Hand! Sowohl für Käufer, die Mängelrechte geltend machen wollen als auch für Verkäufer, die solche abwehren wollen oder Beratung zur Vertragsgestaltung wünschen.

Viele Grüße,


Ihr Rechtsanwalt Martin Scheibner






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