Nichtige Gerichtsstandsvereinbarung nach Schweizer Recht (Mäklervertrag) kann Wirkung entfalten

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(Bundesgericht Schweiz, Urt. v. 21.9.2017 – 4AJ31/2017)

Eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der ein gemäß prozessualer lex fori in sachlicher Hinsicht nicht zur Verfügung stehendes Gericht vereinbart ist, kann in internationaler und örtlicher Hinsicht dennoch wirksam sein.

Für die Auslegung einer dem LugÜ unterstellten Gerichtsstandsvereinbarung ist auf das Recht zurückzugreifen, das auf den Hauptvertrag anwendbar ist. Haben sich die Parteien geeinigt, den zwischen ihnen geschlossenen Mäklervertrag Schweizer Recht zu unterstellen, richtet sich die Auslegung der in den Vertrag einbezogenen Gerichtsstandsvereinbarung deshalb nach den Regeln des Schweizer Obligationenrechts.

Sachverhalt

Zwischen der B GmbH und A besteht ein Exklusiv-Mäklervertrag (nachfolgend: Mäklervertrag) im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Liegenschaft in Herrliberg/ZH. In diesem Mäklervertrag vereinbarten die Parteien u. a. folgendes: „Als Gerichtsstand für allfällige Streitigkeiten aus vorliegender Vereinbarung wird das Handelsgericht Zürich vereinbart. Es gilt Schweizer Recht.“

Problem hierbei: Wenn eine der Vertragsparteien des Mäklervertrages nach Schweizer Recht nicht im Handelsregister eingetragen ist, ist das von den Parteien vertraglich vereinbarte Schweizer Handelsgericht sachlich nicht zuständig (Art. 6 Abs. 2 lit. c Schweizer ZPO). Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte ist der Disposition der Parteien grundsätzlich entzogen (BGE 138 III 471 E. 3.15.477). Namentlich kann auch im Anwendungsbereich des Klägerwahlrechts gem. Art. 6 Abs. 3 ZPO die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht vorgängig vereinbart werden (BGE 142 III 623 E. 2 S. 624 ff). 

Die Parteien des hier zu entscheidenden Falles haben sich somit auf einen für sie sachlich nicht zur Verfügung stehenden Gerichtsstand geeinigt, insofern ist ihre Vereinbarung nach schweizerischem Recht ohne Weiteres zunächst nichtig. Nach der obigen Entscheidung des Bundesgerichts ist jedoch bei Auslandsbezug auch zu prüfen, ob bzw. inwieweit eine Parteivereinbarung im internationalen Verhältnis bzw. in örtlicher Hinsicht nicht trotzdem gültig ist.

Im Hinblick auf den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich von Art. 2 aLugÜ hat das Schweizer Bundesgericht anerkannt, diese Bestimmung knüpfe an den Wohnsitz des Beklagten in einem Vertragsstaat an und setze zudem ein internationales Element voraus, z. B. den Wohnsitz des Klägers im Ausland. Ein Bezug zu einem zweiten Vertragsstaat sei jedoch nicht erforderlich (BGE 135 III 185 E. 3.3 S. 189 f. unter Hinweis auf ein entsprechendes Urteil des EuGH v. 1.3.2005 C-281/02 Owusu, Slg. 2005 1-1383 Rz. 24 ff).

Die Lehre geht unter Hinweis auf BGJE 135 III 185 und den Entscheid des EuGH in Sachen Owusu davon aus, es bedürfe auch bei Art. 23 LugÜ keiner Berührungspunkte zu mehreren durch dieses Übereinkommen gebundenen Staaten (nachfolgend weiterhin: Vertragsstaaten). Nebst einem internationalen Element genüge es, wenn eine Partei in einem Vertragsstaat wohne und die Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats vereinbart worden sei – auch wenn es sich dabei um denselben Vertragsstaat handle [Red.: Nachweise weggelassen]. 

Sowohl BGE 135 III 185 als auch der Entscheid des EuGH in Sachen Owusu betrafen nicht eine Gerichtsstandsvereinbarung, sondern den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten an seinem Wohnsitz, also die Auslegung von Art. 2(a) LugÜ bzw. Art. 2 EuGVÜ. Lediglich in einem obiter dictum (Rz. 28) wies der EuGH darauf hin, dass auch bei einer Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 17 EuGVÜ) ein Bezug nur zu einem Vertragsstaat erforderlich sei, ohne weiter auf diese Norm einzugehen.

Hat der Beklagte, wie hier, seinen Wohnsitz in einem Drittstaat, weist die Streitigkeit ein ausreichendes (rechtsrelevantes) internationales Element auf, das bei Art. 23 Abs. 1 LugÜ ebenso erforderlich ist wie bei Art. 2 LugÜ. Der Fall befindet sich nach dem Gesagten im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 LugÜ.

In Bezug auf die in Frage stehende Gerichtsstandsvereinbarung stellt sich vorab die Frage, nach welchem Recht zu beurteilen ist, ob diese trotz nach Schweizer ZPO unzulässiger Wahl des sachlich zuständigen Gerichts im Übrigen, d. h. bezüglich der internationalen und örtlichen Zuständigkeit, gültig bleibt. Die Vorinstanz, wie auch die Parteien, gingen ohne Weiteres von einer Anwendbarkeit des Obligationenrechts, OR, aus, insbesondere von Art. 1, 18 und 20 OR. 

Nachdem vorliegend die Tatsache der Einigung sowie die Einhaltung der Formvorschriften nach Art. 23 Abs. 1 LugÜ unbestritten ist, es vorab um eine Frage der Vertragsauslegung geht und die Parteien auch eine Rechtswahl zugunsten des schweizerischen Rechts getroffen haben, erscheint es sachgerecht, auf die lex causae abzustellen und nicht autonom gestützt auf das LugÜ (in diesem Sinn auch das Urteil 4C.163/2001 vom 7.8.2001 E. 2b), zumal auch in der Lehre anerkannt wird, dass ein Rückgriff auf die lex causae teilweise unumgänglich ist (Grolimund in Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Kommentar, Schnyder [Hrsg.], 2011, N 12 zu Art. 23 LugÜ).

Es liegt eine (wenigstens teilweise) Analogie zur Praxis betreffend sog. pathologische – d. h. unvollständige, unklare oder widersprüchliche – Schiedsvereinbarungen nahe (ebenso: Berger, a.a.O., N 34 zu Art. 23 LugÜ). Danach gilt folgendes: Steht der grundsätzliche Wille der Parteien, sich einem Schiedsgericht zu unterstellen, fest, ist durch Auslegung und allenfalls auch Vertragsergänzung in Anlehnung an das allgemeine Vertragsrecht nach einer Lösung zu suchen, die die Rechnung trägt (BGE 138 III 29 E. 2.2.3 S. 35 mit Hinweis). Bei Teilnichtigkeit (Art. 20 Abs. 2 OR) einer solchen Vereinbarung ist nach dem hypothetischen Willen zu ermitteln, was die Parteien vereinbart hätten, wäre ihnen diese bei Vertragsabschluss bewusst gewesen. Bei Zweifeln am Bestehen eines auf Ganznichtigkeit gerichteten hypothetischen Parteiwillens ist nach den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts der Teilnichtigkeit der Vorzug zu geben (BGE 138 III 29 E. 2.3.2 und 2.3., S. 37 ff.).

Fraglich ist aber, ob mit der Vorinstanz davon auszugehen ist, die Parteien hätten sich hypothetisch auf die innerstaatliche Zuständigkeit des Kantons Zürich geeinigt. Sie begründet dies damit, dass die Parteien das Handelsgericht des Kantons Zürich „(und nicht eines anderen Handelsgerichtskantons) vereinbart“ hätten. Außerdem weist sie darauf hin, damit hätten beide Parteien auf ihren Heimatgerichtsstand verzichtet, der beim Beschwerdeführer in Monaco und bei der Beschwerdegegnerin in Pfäffikon/Schwyz liege.

Aus der Tatsache, dass im Vertragstext nicht beispielsweise das Handelsgericht des Kantons St. Gallen vorgesehen war, lässt sich nicht umgekehrt ableiten, die Parteien hätten sich hypothetisch auf den Kanton Zürich geeinigt. Die entscheidende, von der Vorinstanz aber nicht gestellte Frage ist nämlich: Hätten die Parteien bei Kenntnis der fehlenden Möglichkeit, ein Handelsgericht zu vereinbaren, von dem es in einem Kanton höchstens eines gibt, gleichwohl lediglich die innerstaatliche Zuständigkeit eines ganzen Kantons vorgesehen, der mehrere sachlich zuständige, erstinstanzliche Gerichte umfasst, oder hätten sie sich diesfalls auf ein bestimmtes örtliches erstinstanzliches Gericht innerhalb oder außerhalb dieses Kantons geeinigt? 

Orientiert man sich am Denken und Handeln von vernünftigen und redlichen Vertragspartnern (vgl. E. 4.1.1 hiervor), ist die Frage in zweitem Sinne zu beantworten. Gerichtsstandvereinbarungen sollten möglichst eindeutig sein, um unnötige Diskussionen bereits über Eintretensfragen im Streitfall zu vermeiden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich vernünftige Parteien im hypothetischen Fall auf ein bestimmtes örtliches Gericht geeinigt hätten und nicht auf einen ganzen Kanton oder gar noch unbestimmter auf die gesamte Schweiz. Dass dies das Bezirksgericht Zürich gewesen wäre, zu dem überhaupt kein Bezugspunkt besteht, ist nach BG zu verneinen. Viel naheliegender wäre die Einigung auf das Bezirksgericht Meilen [ebenfalls im Kanton Zürich gelegen], in dessen Bezirk die zu verkaufende Wohnung liegt, oder der Gerichtsstand am Sitz der Beschwerdegegnerin in Pfäffikon/Schwyz gewesen. 

Die Beschwerdegegnerin hat mit der von ihr redigierten Gerichtsstandsklausel gezeigt, dass sie bereit war, auf ihren Sitzgerichtsstand zu verzichten. Andererseits wäre es im Interesse des Beschwerdeführers gewesen, nicht das Gericht am Sitz der Beschwerdegegnerin zu wählen, zumal [,] wie bereits erwähnt, die Parteien hätten davon ausgehen können, dass das Bezirksgericht Meilen die Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, die bei einem Mäklervertrag allenfalls eine Rolle spielen kann, besser kennt. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Parteien im hypothetischen Fall auf das Bezirksgericht Meilen geeinigt hätten. In diesem Sinn ist ihre Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen, womit auf die Klage beim Bezirksgericht Zürich nicht einzutreten ist.

5. [...]

Demnach erkannte das Bundesgericht:

1. Die Beschwerde wird gutgeheißen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 01.02.2017 wird aufgehoben und auf die Klage wird nicht eingetreten.



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