OLG Düsseldorf lässt Aufsichtsrat für unterlassene Prüfung des Jahresabschlusses haften

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OLG Düsseldorf konkretisiert Haftungsrisiken des neuen Aufsichtsrats

In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl der Fälle, in denen Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte wegen (angeblicher) Pflichtverletzungen auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden, stetig gestiegen. Infolgedessen sind die das jeweilige Organ treffenden Pflichten inzwischen wesentlich besser durch die Rechtsprechung konkretisiert, als dies noch vor Jahren der Fall war. Zur weiteren Festigung des Pflichtenkanons der Aufsichtsräte trägt die jetzt veröffentlichte und gut begründete Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 06.11.2014, Az. I-6 U 16/14, bei.

Sachverhalt

Mit der Klage machte der Insolvenzverwalter der A-AG Schadenersatzansprüche gegenüber einem ehemaligen Aufsichtsrat wegen fehlerhafter Beaufsichtigung des Vorstands geltend.

Der zu entscheidende Sachverhalt stellt sich dabei vereinfacht wie folgt dar:

Die A-AG war eine Gesellschaft, deren Zweck in dem Erwerb und der Veräußerung von Gesellschaftsbeteiligungen lag. Die A-AG finanzierte sich über die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen, wobei nach den Feststellungen des Urteils wohl ein Schneeballsystem vorlag, in dem neu geworbene Investoren die Zinsen und Rückzahlung der Altinvestoren finanzierten. Infolgedessen war absehbar, dass die den Schuldverschreibungsinhabern versprochenen Zinsen durch Kapitalanlagen nicht würden erwirtschaftet werden können.

Die A-AG hatte vor der Bestellung des beklagten Aufsichtsratsmitglieds weit überteuerte Geschäftsanteile an einer B-GmbH erworben. Aufgrund der zwischenzeitlichen Schieflage der Gesellschaft befürwortete der damalige Aufsichtsrat die Rückgängigmachung des Anteilskaufs an der GmbH. Nachdem dies nicht durchgesetzt werden konnte, legte der gesamte Aufsichtsrat sein Mandat nieder. Unmittelbar danach wurden in einer Hauptversammlung drei neue Aufsichtsratsmitglieder gewählt, u.a. der Beklagte. In der – sich an die Wahl anschließenden – Aufsichtsratssitzung beschlossen die drei neuen Aufsichtsräte, die ihnen vorgelegten Jahresabschlüsse zur Feststellung an die Hauptversammlung zu übertragen, ohne selbst eine Prüfung der Abschlüsse vorzunehmen. Die danach stattfindende „zweite“ Hauptversammlung des Tages verabschiedete dann den Jahresabschluss.

Kurze Zeit später erwarb die A-AG dann weitere Geschäftsanteile an der B-GmbH, die wiederum überteuert waren.

Später wurde sowohl über das Vermögen der B-GmbH als auch über das Vermögen der A-AG das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Insolvenzverwalter der A-AG verfolgte gegenüber den drei Aufsichtsräten Schadenersatzansprüche wegen des Anteilserwerbs. Nachdem ein Aufsichtsrat ebenfalls das Insolvenzverfahren über sein Vermögen beantragte, wurde Klage gegen die verbleibenden zwei Aufsichtsräte erhoben. Der zweite Aufsichtsrat verstarb während des Verfahrens und das ihn betreffende Verfahren wurde ruhend gestellt. Somit erging das Urteil nunmehr nur gegen einen Aufsichtsrat.

Nachdem das Landgericht die Klage noch abgewiesen hatte, legte der Insolvenzverwalter der A-AG Berufung ein, die im Ergebnis erfolgreich war.

Entscheidung

Das OLG sah im Ergebnis zwei Pflichtverletzungen im Ergebnis als gegeben an:

Zum einen sei der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft verpflichtet, den Jahresabschluss der AG selbst zu überprüfen und der Hauptversammlung über das Ergebnis seiner Prüfung zu berichten. Zum anderen ist ein Aufsichtsrat bei Übernahme eines Mandats verpflichtet, sich ein Bild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und die Tätigkeit des vorherigen Aufsichtsrats zu machen. Hierzu hätte er nach Ansicht des OLG zwingend einen Bericht des Vorstands über die Arbeit der vorherigen Aufsichtsratsmitglieder verlangen und sich die Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vorlegen lassen müssen, § 90 Abs. 3 AktG. Dies sei insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil der vorherige Aufsichtsrat geschlossen zurückgetreten ist.

Aufgrund der dargelegten Pflichtverletzungen hätte es dann dem Beklagten oblegen, darzulegen und zu beweisen, dass das Verhalten ausnahmsweise nicht pflichtwidrig gewesen ist oder dass der eingetretene Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn er seiner Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre. Dies konnte er nach den Feststellungen des OLG nicht.

Fazit:

Die Entscheidung stellt lehrbuchhaft das Zusammenspiel der Darlegungs- und Beweislast zwischen der Gesellschaft und dem in Anspruch genommenen Organ dar. Schon insofern ist es sehr instruktiv, weil es zeigt, dass auch ein „unbescholtener“ Organwalter in prozessuale Probleme gelangen kann, wenn ihm gegenüber objektiv ein Pflichtverstoß dargelegt werden kann, weil dann er Tatsachen vortragen und beweisen muss, die sein Verhalten als nicht pflichtwidrig erscheinen lassen. In der Praxis stellt dies eine nicht zu unterschätzende Hürde dar, insbesondere wenn der ausgeschiedene Aufsichtsrat – wie üblich – über keinerlei Unterlagen mehr verfügt und die Erinnerung in dem mehrere Jahre dauernden Verfahren unter Umständen nachlässt.

Unabhängig davon zeigt die Entscheidung aber deutlich auf, welchen Pflichten der Aufsichtsrat unterliegt. Schon seit der ARAG Garmenbeck-Entscheidung ist bekannt, dass der Aufsichtsrat nach Übernahme des Mandats verpflichtet ist, etwaige Pflichtverletzungen des vorherigen Aufsichtsrats zu überprüfen und ggf. geltend zu machen. Die jetzige Entscheidung geht sogar noch weiter und verpflichtet den Aufsichtsrat dazu, sich auch ohne Anlass unmittelbar nach Mandatsübernahme Bericht über die vorherige Arbeit des Aufsichtsrats geben zu lassen und dessen Protokolle einzusehen. Es kann also jedem Aufsichtsrat nur angeraten werden, dies – evtl. auch gegen den Widerstand von Vorstand und ehemaligen Aufsichtsräten – durchzusetzen.

Eher eine Selbstverständlichkeit dürfte dagegen sein, dass der Aufsichtsrat verpflichtet ist, Jahresabschluss, Lagebericht und Verwendungsvorschlag für den Gewinn zu prüfen und der Hauptversammlung über die Prüfung zu berichten. Denn unabhängig davon, dass sich diese Verpflichtung schon aus dem Gesetz ergibt, ist eine wirksame Kontrolle der Gesellschaft ohne Prüfung der genannten Unterlagen schwer vorstellbar.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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