Online Glücksspiel – OLG Stuttgart 5 U 149/23 – Rückforderung nach 3 Jahren verjährt oder am Ende doch nicht?

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Vom OLG Stuttgart 5 U 149/23 kommt eine interessante Entscheidung vom 12.04.2024, in welcher es um die Rückforderung von Verlusten an der Teilnahme eines online-Glücksspiels geht. Spannend ist die Entscheidung deshalb, weil das OLG Stuttgart sich hier ausdrücklich auch mit Fragen der Verjährung von Rückforderungsansprüchen auseinandersetzt. Dabei kommt das OLG Stuttgart zu einer Lösung, welche zu einem weiteren, nicht unumstrittenen Problem führt.

Man muss nicht wirklich prophetisch an die Sache rangehen, um annehmen zu können, dass sich nach dem Hinweisbeschluss des BGH I ZR 88/23 und den daraus resultierenden Konsequenzen der Fokus in den Rückforderungsklagen verschieben wird. Nicht alle relevanten Punkte sind durch BGH angesprochen worden, wobei dies auch dann nicht der Fall sein wird, wenn es über den Hinweisbeschluss hinaus ein echtes Urteil geben wird. Schlicht aus dem Grund, da viele weitere Problempunkte nicht Gegenstand des BGH-Verfahrens waren.

Mit den Ausführungen des BGH setzt sich das OLG Stuttgart nicht auseinander. Schlicht aus dem Grund, als dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Hinweisbeschluss noch nicht vorlag bzw. an diesem Tag erst veröffentlicht wurde. Darauf kommt es aber auch weniger an, denn im Grundtenor decken sich die Ausführungen des BGH und des OLG Stuttgart.


Verjährung eines Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB?

Im Einklang mit der Rechtsauffassung des BGH spricht auch das OLG Stuttgart dem Spieler einen grundsätzlichen Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB zu. Dabei decken sich die relevanten Argumente mit denen der einheitlichen OLG-Rechtsprechung, sodass auch das OLG Stuttgart die Nichtigkeit der Spielverträge nach § 134 BGB annimmt und auch eine Sperre der Rückforderung über § 817 S. 2 BGB verneint. Dabei geht das OLG Stuttgart insbesondere davon aus, dass es unerheblich ist, ob der Spieler sich nun durch seine Teilnahme am lizenzlosen und damit illegalen Glücksspiel selbst strafbar gemacht hat oder nicht. Auch eine Kenntnis oder ein unterstelltes Kennenmüssen der Illegalität des Glücksspiels war für das OLG Stuttgart letztlich unerheblich und für den klagenden Spieler nicht anzunehmen.

Allerdings geht das OLG Stuttgart davon aus, dass die Rückforderung weitestgehend verjährt ist, entsprechend dem Spieler also auch kein Anspruch aus § 812 BGB zusteht.

Der Spieler nahm am Glücksspiel in der Zeit 2017 bis 2022 teil, er klagte vor dem Landgericht 2023. Ausgehend von einer 3-jährigen Verjährung, beginnend jeweils mit dem Tag der Einzahlung des Geldes, sah das OLG Stuttgart alle Teilbeträge, welche vor 2020 gezahlt bzw. verloren wurden, als verjährt an. Das OLG geht davon aus, dass für den Beginn der Verjährungsfrist „die Kenntnis der anspruchsrelevanten Umstände“ erforderlich ist. Sobald diese Kenntnis vorliegt oder aber die entsprechenden Umstände als bekannt unterstellt werden müssen, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen.

Dieser Ansatzpunkt als solches ist auch richtig und nicht wirklich neu, denn Kernfrage ist stets, wann die Kenntnis für den Spieler gegeben war. Die Begründung des OLG Stuttgart dazu erscheint aber ein wenig dünn, vielleicht auch widersprüchlich. So geht es davon aus, dass, dass die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände bereits deshalb zum Tag der Einzahlung im Jahr 2017 vorliege, da es ein Totalverbot für online-Glücksspiele (außerhalb von Sportwetten) gab. Diese Grundkenntnis sei wohl anzunehmen. Aber auch dann, wenn man zugunsten des Spielers von einer unsicheren Rechtslage ausgehen würde, sei nichts anderes anzunehmen, denn das Bundesverwaltungsgericht habe im Jahr 2017 ausdrücklich das Totalverbot als zulässig bestätigt, sodass hieraus auch die Kenntnis herzuleiten ist.

Das ist dann schon doch recht fragwürdig. Wenn ich dem Spieler zugutehalte, dass es für den grundsätzlichen Rückforderungsanspruch nicht auf irgendwelche Kenntnisse oder einem Kennenmüssen aus irgendwelchen Medienberichten ankommt, dann bedarf es schon ein wenig mehr Begründungsaufwand, warum nun diese Kenntnis über die Hintertür im Rahmen der Verjährung doch in irgendeiner Form relevant sein soll. Diesen Widerspruch klärt jedenfalls das OLG Stuttgart nicht auf und erscheint damit in seiner Begründung nicht schlüssig.


Anspruch des Spielers auch aus § 823 Abs.2 BGB?

Im Ergebnis kam es dem OLG Stuttgart darauf aber nicht weiter an, denn es nahm ausdrücklich einen weiteren Rückforderungsanspruch aus § 823 BGB, § 852 BGB an. Es kommt in seiner Betrachtung zu dem Ergebnis, dass die relevante Norm des GlüStV als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (Achtung: Schutzgesetz und Verbotsnorm sind unterschiedliche Dinge) anzusehen sei. Es führt dazu aus:

„Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Es reicht deshalb nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Ein gesetzliches Gebot oder Verbot ist als Schutzgesetz nur geeignet, soweit das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind (…). Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint.“

Bezogen auf den GlüStV 2012 sieht das OLG Stuttgart den individuellen Schutz des Spielers unmittelbar aus dem Gesetzeszweck als gegeben an. Dabei bezieht es sich direkt auf § 1 des GlüStV 2012, in welchem die Ziele des Gesetzes benannt sind. Dazu gibt das OLG an:

„Der GlüStV 2012 soll aber jedenfalls auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen, nämlich die betroffenen Spieler selbst, was aus § 1 S. 1 Nr. 3 und 4 GlüStV 2012 folgt, in welchen der Spielerschutz konkret angesprochen wird und die Zwecke verfolgen, welche über die in § 1 S. 1 Nr. 1 GlüStV normierten Ziele der Verhinderung von Glücksspielsucht und Wettsucht hinausgehen. Das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verankerte und für Casinospiele ausnahmslos geltende Internetverbot hat der Gesetzgeber zudem u.a. mit dem „herausragenden Suchtpotential“ begründet, dessen Verstöße „mit Nachdruck bekämpft werden“ sollten (…), was für eine Individualschutzintention des Gesetzgebers spricht.“

Ferner komme es nicht darauf an, dass nun der einzelne Spieler als schutzbedürftig in der relevanten Norm §4 Abs.4 GlüStV 2012 nicht erwähnt ist. So könne der Individualschutz des Einzelnen schon deshalb nicht verneint werden, da ein Totalverbot geregelt war, dessen Geltung umfassend sei. Das Nennen des individuellen Spielers als Betroffener, der ausdrücklich geschützt sein sollen, ist daher schlicht nicht notwendig.

Letztlich sei ein individueller Schadensersatz auf Grundlage des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 auch deshalb notwendig, da nur so die Bekämpfung des illegalen online-Glücksspiels zielführend sei, denn allein staatliche Maßnahmen gegen Unternehmen, welche vom Ausland aus operieren, kaum effektiv möglich ist. Mit diesen Gedanken ist das OLG Stuttgart auf einer Linie mit dem BGH, der vor allem diesen Punkt auch außerhalb des § 823 BGB für § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 annimmt.

Soweit das OLG Stuttgart daher mit diesen Erwägungen in § 4 Abs. 4 GlüStV ein Schutzgesetz annimmt, sieht es in einen Verstoß des Anbieters gegen das Totalverbot auch als relevanten Verstoß im Sinne des § 823 BGB an.


Herausgabe der Verluste mit Verweis auf die 10-jährige Frist des § 852 BGB?

Die Folge der Erfüllung des § 823 Abs.2 BGB ist, dass eine Herausgabe des eigentlich verjährten Verlustes nun über § 852 BGB möglich ist. Grob gesagt geht § 852 BGB davon aus, dass jedenfalls in dem Fall, dass der verjährte Anspruch aus § 812 BGB auch über § 823 Abs. 2 BGB erfüllt ist, es nicht einzusehen ist, dass der Schädiger, hier also der Casino-Betreibe, den erhaltenen Betrag trotz Verjährung behalten darf.

Übersetzt und vereinfacht: auch dann, wenn die Rückforderung der Spielverluste aus § 812 BGB verjährt ist, dann hat der Anbieter jedenfalls dann die Verluste trotzdem herauszugeben, wenn er verbotenerweise im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB vorgegangen ist. Das wiederum ist dann gegeben, wenn bewusst gegen das Totalverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verstoßen wurde und betrifft sodann all diejenigen Verluste, welche 10 Jahre rückwirkend, ab Tag der Einzahlung, entstanden sind.

Zugegeben, für den Laien ist das alles spitzfindig und beim Lesen verwirrend und schwer verständlich. Daher vielleicht einfacher zu merken: sofern der Rückforderungsanspruch auch aus § 823 Abs.2 BGB hergeleitet werden kann, besteht die Option der Rückforderung für die jeweils letzten 10 Jahre ab Einzahlung der Einsätze.

Mit diesem Ergebnis kommt letztendlich auch das OLG Stuttgart zur Rückforderung der Spielverluste trotz eigentlichem Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist.


Wie sehen andere Gerichte die Anwendung des § 823 Abs.2 BGB?

Die Problematik des § 823 BGB ist unter den Gerichten recht umstritten, dass muss jedem klagenden Spieler bewusst sein. Für viele weitere Entscheidungen der Vergangenheit ist zudem auch festzuhalten, dass es dort auf die Anwendung des § 823 BGB nicht ankam, sofern die Gerichte bereits § 812 BGB als erfüllt angesehen haben. Dabei entweder, weil die Rückforderungen sowieso innerhalb der 3-Jahresfrist geltend gemacht wurden oder aber, weil für den Beginn der 3-Jahresfrist nicht der Tag der Einzahlung gesehen wurde, sondern der Tag der Kenntniserlangung des Spielers. Das ist vermutlich regelmäßig allerspätestens zu dem Zeitpunkt unwidersprochen der Fall, an dem die Transaktionslisten über den jeweiligen Anbieter angefordert werden. Als Beispiel sieht etwa das LG München I durchaus § 823 Abs. 2 BGB als gegeben, das LG München II hingegen verneint dies ausdrücklich. Schon das zeigt, wie umstritten dieser Punkt ist.

Auch unter den einzelnen OLG ist umstritten, ob nun § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ein Schutzgesetz zugunsten der Spieler ist oder nicht. So lehnt beispielsweise das OLG Oldenburg 1 U 14/23 den Schutz des einzelnen Spielers deshalb ab, dass zwar der Einzelne vor einer möglichen Spielsucht geschützt werden soll, jedoch nicht das Vermögen. Das allerdings erscheint diskutabel, denn Folge der Spielsucht ist in aller Regel auch der meist unkontrollierte Verlust des Vermögens und damit der Verlust der wirtschaftlichen Existenz. Ob dieser Ansatz zudem mit Blick auf die Ausführungen des BGH I ZR 88/23 noch haltbar ist, sei dahingestellt.

Das OLG Köln 19 U 51/22 hingegen sieht auch § 823 Abs.2 BGB als unproblematisch erfüllt, andere OLG-Entscheidungen sehen zwar zumindest den Diskussionspunkt zu § 823 BGB gegeben, lassen aber alles weitere ausdrücklich offen, da sich die Ansprüche regelmäßig dort bereits aus § 812 BGB ergeben. Kein Pferd springt eben höher als es muss.


Fazit

Klar ist, dass das OLG Stuttgart die derzeitige Problematik deutlich aufzeigt. Die Diskussion um die Verjährung wird naturgemäß mehr und mehr Fahrt aufnehmen, schon allein deshalb, weil der Zeitabstand zu den seinerzeit getätigten Einzahlungen von Tag zu Tag größer wird. Knackpunkte werden dabei sein, wann die 3-jährige Verjährung zu laufen beginnt und ob möglicherweise ein Rückgriff auf § 852 BGB über die Anwendung des § 823 Abs.2 BGB denkbar ist.

Die Konsequenz daraus ist, dass nicht unbedingt empfohlen werden kann, mit der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen lange zu zögern. Die Verjährungsfristen laufen unerbittlich, egal welche Berechnungsvariante man zugrunde legt. Allerdings – und das muss trotz all der derzeitigen sehr positiven Entwicklung der Rechtsprechung klar und ehrlich gesagt werden – bleibt die aktuelle Unwägbarkeit dahingehend, wie sich die einzelnen Gerichte sowohl zur Frage des Beginns der 3-jährigen Verjährungsfrist als auch zur Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB positionieren werden. Bis es dazu eine verbindliche Klärung des BGH gibt, dürfte es noch eine Weile dauern. Dennoch stehen die Chancen weiterhin gut und sollten genutzt werden.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.


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